Dokudrama über Joe McCarthy: Kommunistenhass in Boxershorts
Am Ende wurde eine ganze Ära nach ihm benannt: Joseph McCarthy hat als US-Senator Anfang der 1950er Jahre eine fanatische Jagd auf angebliche Kommunisten angeheizt. Das Dokudrama von Lutz Hachmeister zeugt auch von der Macht des Fernsehens.
Am Ende wurde eine ganze Ära nach ihm benannt: Joseph McCarthy hatte als US-Senator Anfang der 1950er Jahre eine fanatische Jagd auf angebliche Kommunisten angeheizt. „Für mich ist jeder Kommunist ein Bürger zweiter Klasse und sollte auch als solcher behandelt werden“, wetterte er. Lutz Hachmeisters Dokudrama „Der wirkliche Amerikaner – Joe McCarthy“ zeichnet seinen Werdegang vom Farmerssohn zum populistischen Karrieristen nach, der sich öffentlichkeitswirksam mit dem Außenministerium, der CIA, der Armee und sogar dem Präsidenten anlegte.
McCarthy stellt man sich gemeinhin als einen bulligen Mann vor, der Hollywood-Schauspieler und Regisseure verhört, sich mit Bertolt Brecht anlegt und dem „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ vorsitzt. Mit diesen Vorgängen im US-Repräsentantenhaus hatte er allerdings gar nichts zu tun. Er saß seit 1946 für die Republikanische Partei im Senat, wo er ab 1953 in einem Unterausschuss des Government Operations Committee vor laufenden Kameras Gesinnungsprüfungen innerhalb des Regierungsapparats durchführte.
Er trinkt sich buchstäblich zu Tode
Der trinkfeste Ire war als Neuling in Washington auf der Suche nach einem erfolgversprechenden Thema und hatte 1950 in einer Rede behauptet, er sei im Besitz einer Liste von 205 Kommunisten, die im Außenministerium tätig seien. Das brachte in der Frühphase des Kalten Krieges Schlagzeilen und sicherte ihm die Wiederwahl. Später wurde deutlich, dass die Liste ein Schwindel gewesen war, auch in den darauffolgenden Jahren konnte McCarthy keinen einzigen sowjetischen Spion enttarnen. „Er klammerte sich an ein Thema, das dann mit ihm durchging“, sagt Henry Kissinger im Film über ihn. Watergate-Enthüller Carl Bernstein bezeichnet ihn schlicht als „publicitysüchtigen Fabulisten“. Tatsächlich spielte McCarthy mit der Presse, gab Interviews beim Rasieren in Boxershorts und nutzte die Wirkung des neu aufkommenden Fernsehens. Auch das abrupte Ende seiner Karriere 1954 wurde von den Medien intensiv begleitet. Seine Beschimpfungen von Armeemitgliedern bei den Anhörungen brachen ihm damals den Hals, und er wurde als Ausschussvorsitzender abberufen. 1957 starb er im Alter von nur 48 Jahren. Er hatte sich buchstäblich zu Tode getrunken.
Der Typus ist in der US-Politik noch heute aktuell
Der Film erzählt darüber hinaus von der Atmosphäre in den USA während der 1950er Jahre, wie öffentliche Meinung entsteht und warum der Typus McCarthy auch heute in der US-amerikanischen Politik noch aktuell ist.
Journalistikprofessor Lutz Hachmeister drehte zahlreiche Dokumentarfilme etwa über Marcel Reich-Ranicki oder Peter Hartz. Für ein Porträt über Hanns Martin Schleyer erhielt er den Grimme-Preis. Fünf Jahre recherchierte er in internationalen Archiven, führte zahlreiche Interviews, etwa mit einem früheren Mitarbeiter McCarthys und mit einem Ex-KGB-General. Erstmals verwendet er für den 90-minütigen Film auch nachgestellte Szenen, die allerdings jeweils kaum länger als eine Minute sind. Insgesamt machen sie etwa ein Drittel des Films aus. Auch wenn der schottische Schauspieler John Sessions seine Sache als selbstgerechter Popanz gut macht, fragt man sich doch, warum dieser „Guido Knoppismus“ zwischen all den lebendigen O-Tönen und den kunstvoll historischen Eindrücken nötig war.
Im Kinofilm über die McCarthy-Ära „Good Night, and Good Luck“ verwendete George Clooney 2005 einige Originalaufnahmen von Joseph McCarthy, die die Schauspielszenen im Gegenzug fast blässlich wirken lassen. Vielleicht hätte man in einem Dokumentarfilm stärker auf die Kraft solcher Aufnahmen vertrauen können.
„Der wirkliche Amerikaner – Joe McCarthy“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15
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