Interview: „Das ist ein gefährliches Hobby“
Lutz Hachmeister über den schweren Stand von Dokumentarfilmern, misstrauische Zeitzeugen und Geschäftsmodelle im Netz.
Filmemacher, die sich dem Dokumentarfilm verschrieben haben, brauchen oft sehr viel Zeit, Geduld, Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl. Belohnt wird ihre Arbeit nicht: Sie rangieren in der Medienbranche am unteren Ende, eine Studie der AG Dok hat ergeben, dass 85 Prozent der Dokumentarfilmer von ihrer Arbeit nicht leben können.
Herr Hachmeister, Sie machen seit 1997 erfolgreich Dokumentarfilme. Können Sie davon leben?
Nein. Das ist eher ein gefährliches Hobby. Es gibt eine Art Qualitätsfalle: Gerade wenn man aufwendig recherchiert und dreht, generiert das kein Einkommen, von dem man leben könnte. Ich kann mir das Filmemachen leisten, weil ich andere Einnahmequellen habe.
Woran liegt das?
Zum Beispiel daran, dass Filmprojekte nach einer langen Vorrecherche, in die vom Autor schon Geld investiert wurde, kurzfristig abgesagt werden. Es ist deutlich schwieriger geworden, von Banken Kredite für die Entwicklung von Stoffen zu bekommen. Ohnehin können abendfüllende Dokumentarfilme, also 90-minütige Produktionen, nur noch mithilfe von Filmförderung entstehen.
Aber da gibt es doch die gebührenfinanzierten ARD und ZDF.
Die sind praktisch nicht mehr in der Lage, erwachsene Dokumentationen aus ihren Budgets zu finanzieren – warum auch immer. Ich bin kein Purist dieses langen Formats, es gibt Geschichten, die man sehr gut in 45 Minuten erzählen kann. Aber es gibt Stoffe, die einfach einen langen Erzählbogen verlangen, weil sie so komplex sind, dass sie anders nicht vernünftig und vor allem fair erzählt werden können. Die Vorgänge um Christian Wulff, die mich im Moment beschäftigen, zählen etwa zu den vielschichtigen Affären.
Wie werden solche Filme finanziert?
Man stellt Anträge auf Filmförderung und bringt im Vorfeld drei oder gar vier Landessender zusammen, häufig auch Arte oder 3sat. Das ist ziemlich kompliziert. Man ist da eher Mediator als Filmemacher oder Produzent.
Laut einer Studie der AG Dok zahlen die Sender für 30-minütige Dokus im Schnitt 3600 Euro Honorar und für Neunzigminüter rund 8000 Euro Honorar. Das bleibt dem Filmemacher am Ende übrig.
Es gibt wenig Transparenz, was die Honorare anlangt. Kürzere Formate lohnen sich ohnehin nur für die Ehre oder als Fließbandproduktion. Für einen abendfüllenden Film mit Förderung kann man schon 40 000 Euro für Konzept und Regie bekommen. Daran arbeitet man allerdings ein Jahr, vor Steuern. Es macht Spaß und bringt Erkenntnisgewinn, aber es ist immer wieder eine Herausforderung. Man muss Leute vor die Kamera bringen, die zunächst einmal genau nicht vor der Kamera reden wollen. Es bedarf einer erheblichen Vertrauensleistung, dass der Autor mit dem gefilmten Material fair und konstruktiv umgeht. Das kostet Zeit und Geld.
Werden Kosten für Vorarbeiten, zum Beispiel für Reisen, vom Sender übernommen?
Nein. Die Sender übernehmen nur Kosten, die während des Drehs und für die Postproduktion entstehen. Es gibt in den Budgets eine anteilige Summe, die für Miete, Strom, Telefon oder Sekretariat berechnet wird. Aber da das Gesamtbudget im Vergleich zu einem Fernsehspiel sehr viel geringer ist, müsste man eine hohe Stückzahl produzieren, damit diese Kosten für Vorrecherchen gedeckt werden. Das gelingt in Deutschland praktisch kaum jemandem. ARD und ZDF sind nicht in der Lage, die Klientel vernünftig zu bezahlen. Es gibt keinen wirklichen Wettbewerb, da RTL oder Pro 7 in dem Bereich komplett ausfallen. Es gibt nicht einmal einen Wettbewerb zwischen ARD und ZDF, weil die Formate so unterschiedlich sind. Das ZDF hat sich im Grunde komplett von längeren Dokumentarfilmen verabschiedet, leider.
Vernachlässigen die Öffentlich-Rechtlichen damit nicht ihren gesetzlich vorgeschriebenen Programmauftrag?
Man kann von den Fernsehsendern nicht verlangen, dass sie jedem, der einen Dokumentarfilm machen will, diesen auch finanzieren. Dafür ist das Angebot zu groß, und trotz aller Spartenkanäle sind die originären Sendeplätze zu begrenzt. Aber es ist eine medienpolitische Frage, wie viel Geld für welches Genre ausgegeben wird. Wenn man der Überzeugung ist, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, dass Journalismus, Recherche, Investigation und Reflexion der Gesellschaft einen Teil des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages ausmachen, dann muss man dafür auch die entsprechenden Mittel bereitstellen.
Liegt es vielleicht auch an den Dokumentarfilmern selbst, dass sie sich seit Jahren ausbeuten lassen?
Vielleicht bin ich da privilegiert, da ich im Filmemachen von vornherein für mich keinen Beruf oder kein Geschäft gesehen habe. Aber die Kräfteverhältnisse sind natürlich vollkommen ungleich. Der Sender vergibt den Auftrag und kontrolliert das Ergebnis, der Autor macht den Film und trägt das volle Risiko dafür, bis hin zur persönlichen Verschuldung. Es reicht da medienpolitisch nicht aus, zu sagen, dass sich die beiden Parteien bitte an einen Tisch setzen und vernünftige Verträge aushandeln sollen. Da müssen medienpolitisch und von den Aufsichtsgremien Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihr Kerngebiet, zu dem der Dokumentarfilm gehört, nicht mehr bewirtschaften können und die Produzenten dieses Genres nicht vernünftig bezahlen, dann stellt sich irgendwann die Frage, wozu wir dieses System überhaupt noch mit Milliardenbeträgen alimentieren. Sport zu übertragen und große Entertainment-Shows, das kann das Privatfernsehen mindestens ebenso gut.
Hilft es einem Dokumentarfilmer, wenn er Preise bekommt?
Es hilft sicher für den nächsten Film – nicht weiter. Was die Akquise von Geldern und Sendeplätzen betrifft, fängt man im Grunde immer wieder von vorn an. Wenn man für jeden Film einen Preis bekommen würde, könnte man vielleicht länger durchhalten. Mich wundert es aber nicht, dass sich viele renommierte Kollegen irgendwann auf Lehrstühle an Filmhochschulen gerettet haben.
Welche Chance haben denn Nachwuchsfilmer bei dieser ganzen Problematik?
Es gibt Geld für einen Hochschul-Abschlussfilm, das ist ja meistens vereinbart zwischen Hochschulen, Filmförderanstalten und bestimmten Sendern. Danach ist es sehr unwahrscheinlich, ökonomisch zu überleben. Das muss man den Studenten auch klar sagen.
Dafür ein mehrjähriges Studium zu absolvieren, das aus Steuergeldern finanziert wird, damit die Absolventen am Ende bei den Arbeitsagenturen landen und wieder von Steuergeldern finanziert werden, klingt absurd.
Das stimmt. Es ist einfach kein Beruf, jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen. Man muss auch sehen, dass viele Dokumentarfilmer mit großem Namen, wie Georg Stefan Troller, Horst Königstein, Klaus Wildenhahn oder Horst Stern, bei den Sendern fest angestellt waren. Die Transformation zu einer freieren Szenerie ist im Grunde nicht gelungen.
Was müsste man verändern, um das Genre zu stabilisieren?
Man könnte über das Netz, über Mediatheken und andere Plattformen, auch mithilfe der Filmförderung, neue Geschäftsmodelle aufbauen und im Grunde das Prinzip umdrehen. Das heißt, es wird ein Projekt realisiert, und wenn es auf diesen Plattformen Aufsehen erregt, kann es von einem Sender gekauft werden. Damit würde man auch den Wettbewerb stärken, auch zum Vorteil von ARD und ZDF.
Das klingt vernünftig.
Zum anderen müssen sich die Sender, wenn sie einen Film haben wollen, auch an den Risiken der Projektentwicklung beteiligen. Insgesamt wird der medienpolitische Druck auf die Sender, mehr in ihre eigentlich Kernaufgaben zu investieren, deutlich steigen. So habe ich jedenfalls auch die herbe Kritik von Bundestagspräsident Norbert Lammert an ARD und ZDF kürzlich verstanden.
Die Fragen stellte Sabine Sasse.
Neben seiner Tätigkeit als Dokumentarfilmer ist Lutz Hachmeister, 53, Unternehmensberater, Sachbuchautor („Das Goebbels-Experiment“) und Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin (IfM), welches sich der Erforschung der Medienpolitik in Deutschland, Europa und weltweit widmet.
Hachmeister war von 1989 bis 1995 Direktor des Grimme-Instituts in Marl. Er hat den Adolf-GrimmePreis für „Schleyer – Eine deutsche Geschichte“ sowie den Deutschen Fernsehpreis für „Freundschaft – Die Freie Deutsche Jugend“ erhalten.
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