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Musikstreaming liegt im Trend. Nach Spotify und Deezer bietet nun auch Apple einen solchen Dienst als Abo an.
© dpa

Musikstreaming: Kleinvieh macht auch Playlist

Fans statt großes Geld: Ein einzelner Song ist bei Plattformen wie Spotify, Deezer oder Apple Music nicht viel wert. Wie Independent-Bands dennoch von Musik-Streamingdiensten profitieren können.

One more thing“ – Nur eins noch. Mit dem klassischen Spruch von Steve Jobs stellte Apple-Chef Tim Cook Anfang Juni mit Apple Music den neuesten Musik-Streamingdienst vor. „Es wird den Weg, wie ihr Musik erlebt, für immer verändern“, fügte er hinzu. Bahnbrechende Veränderung, große Revolution, alles anders, alles neu – mit weniger gibt sich die Firma aus Cupertino eigentlich nie zufrieden, wenn es um hauseigene Neuerungen geht. Ab jetzt gibt es also Musik auf Abo, für 9,99 Euro im Monat, viel billiger als zuvor, als man Musik auf iTunes nur kaufen konnte, für rund 10 Euro pro Album.

Obwohl man sich bereits seit mehreren Jahren auf Deezer, Napster und Spotify Musik anhören kann, ohne sie zu kaufen, hat Apples Einstieg ins Geschäft die Diskussion erneut angestoßen. Der Fokus richtet sich dabei nicht nur auf die von Cook angekündigten Veränderungen für die Musikkonsumenten, sondern auch darauf, wie diese Veränderungen sich auf die Produzenten dieser Musik auswirken. Die Frage, immer wieder: Was macht Streaming, der unlimitierte Zugriff für wenig Geld mit den Musikern, gerade mit solchen, die am Anfang ihrer Karriere stehen oder musikalische Nischen bespielen? Es geht um Werte, um Geld – natürlich – aber auch um die Fans.

Zuerst zum Geld. Was verdienen unabhängige Künstler auf Streaming-Plattformen eigentlich mit ihrer Musik? Nachfrage bei Lukas Schätzl, Schlagzeuger der Band The Prosecution. Die Band, acht Musiker, spielt seit 2002 zusammen Skacore, eine Mischung aus Ska und Punkrock. In der Szene ist sie damit relativ erfolgreich. Die Zahlen: drei Alben, 6355 Fans auf Facebook, rund 70 Auftritte in Deutschland und Europa pro Jahr. Spotify, Deezer, Apple Music – ihre Musik ist auf allen großen Streamingplattformen vertreten. Auf Spotify hat einer ihrer erfolgreichsten Songs rund 22 000 Aufrufe. Der Erlös? „Zu vernachlässigen“, sagt Schätzl. „Genaue Zahlen haben uns nie so stark interessiert, weil wir von vorneherein wussten, dass wir uns damit keine goldene Nase verdienen.“

Streamingplattformen bezahlen die Rechteinhaber nach deren Anteil an den gesamten Streams. Bei Spotify beispielsweise werden 70 Prozent der jährlichen Einnahmen aus Abonnements und Werbeeinspielungen an die Rechteinhaber ausgezahlt. „Momentan geht rund ein halber Cent pro gehörtem Song an die Labels. Die rechnen dann, basierend auf den Verträgen mit dem Label, mit ihren Künstlern ab“, erklärt Marie Heimer, die bei Spotify verantwortlich für die Labelbeziehungen im deutschen Sprachraum ist.

1000 Plays bringen 1,50 Euro

Wie viel von den Erlösen bei den Bands ankommt, weiß Mirko Gläser. Er ist der Inhaber von Uncle M, einem Punkrock- und Hardcore-Label aus Münster: „Als grobe Hausnummer gilt: Man verdient ungefähr zwei bis drei Euro pro tausend Plays auf Streamingplattformen“. Diesen Betrag teilt das Label circa zur Hälfte mit den Musikern. Ein Künstler bei Uncle M verdient damit an 1000 Plays also bis zu 1,50 Euro.

Mehrere bekannte deutsche Bands, darunter Die Toten Hosen und Die Ärzte, boykottieren Streamingplattformen. Viele sehen im Streaming eine Abwertung der Musik. Peter Tschmuck, Professor für Kulturbetriebslehre an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien ist anderer Meinung. „Eine Entwertung der Musik sehe ich im Streaming nicht. Worin besteht die Entwertung denn? Dass man für Musik nichts mehr bezahlen muss? Dann hat die Entwertung eigentlich schon mit dem Radio begonnen“, sagt er. Auch ist für ihn das Streaming nicht die große, plötzliche Veränderung, als die es viele heute betrachten. Der große Umbruch, die Revolution in der Musikindustrie, habe schon 2000 mit Beginn der Digitalisierung eingesetzt. „Was jetzt mit Streaming passiert, ist nur eine Weiterführung der neuen digitalen Musikökonomie, weg vom Besitz, hin zur allgemeinen Verfügbarkeit.“

Eine Band, die diesen Prozess von Anfang an miterlebt hat, ist die amerikanische Post-Hardcore-Band Boysetsfire, die 1994 gegründet wurde. „Was wir in den 21 Jahren in Bezug auf die Digitalisierung erlebt haben, ist schon ganz schön wild“, erzählt Bassist Robert Ehrenbrand. Vom Wildwuchs illegaler Downloads der Anfangstage über das Aufkommen legaler Plattformen bis hin zu den heutigen Streamingangeboten hat die Band in ihrer Karriere alles mitgemacht. Die Folge der Digitalisierung? „Die Musikindustrie hat sich von einem Albummarkt zu einem Livemarkt entwickelt“, sagt Ehrenbrand. Geld wird heute vor allem mit Touren verdient. Trotzdem sieht Labelchef Mirko Gläser noch Chancen im Tonträgerverkauf. Dazu müsse man Werte schaffen, die von der Digitalisierung nicht angegriffen werden könnten, sagt er. Dabei geht es schon mal Jahrzehnte zurück in die analoge Vergangenheit: „Die CD, die man sich einfach so kauft und vielleicht schnell mal kopiert, die wird verschwinden. Was bleiben wird, sind sowohl das schnelle, billige Streaming als auch die hochwertigen Liebhaberprodukte wie zum Beispiel besondere, limitierte Vinylserien.“ The Prosecution haben genau diesen Rat befolgt. Ihr aktuelles Album veröffentlichten sie unter anderem in einer auf 100 Stück begrenzten Serie weißer Vinylplatten – schon vor der Veröffentlichung waren die Exemplare ausverkauft.

Streaming wertet Musik auf, weil mehr Menschen erreicht werden

Ist Streaming der Untergang des musikindustriellen Abendlandes? Dem widersprechen sowohl Labelchef Gläser und die beiden Musiker als auch der Forscher Tschmuck entschieden. Hier kommen die Fans ins Spiel. „Natürlich gibt es eine gewisse materielle Entwertung, es ist aber auch eine Aufwertung, da Musik von Anfang an immer das Ziel hatte, möglichst viele Menschen zu erreichen. Wenn ich das mit dieser neuen Technik schaffe, dann ist das ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn“, sagt Mirko Gläser. Lukas Schätzl sieht das Streaming nicht als Verwertungsmodell. Für The Prosecution ist es vor allem eine Möglichkeit, neue Hörer zu gewinnen. „Was früher die Bravohits waren, sind heute Streamingplaylists. Wenn uns Spotify neue Fans bringt, hat es sich für uns schon rentiert“, meint er. Boysetsfire-Bassist Ehrenbrand schätzt den engen Kontakt, den man auf Plattformen zu seinen Hörern pflegen kann. So stellte die Band vor Kurzem etwa einen Song ihres neuen Albums vorab online – auf dem Facebook-Profil eines überglücklichen Fans. Peter Tschmuck betont: „Man braucht die Streamingservices zur Promotion. Man kann es sich eigentlich nicht leisten, dort nicht vertreten zu sein.“

Die beiden Musiker hoffen trotzdem, dass beim Streaming-Modell in Zukunft mehr für die Künstler herausspringt. „Ich kenne viele junge Bands, die am Existenzminimum leben, um Musik machen zu können. Für die wünsche ich mir natürlich bessere Rahmenbedingungen“, sagt Ehrenbrand.

Und das könnte vielleicht in Zukunft auch passieren. Marie Heimer von Spotify prognostiziert, dass in Zukunft mehr Menschen Musik-Streaming nutzen werden: „Wir stehen in Deutschland noch ganz am Anfang. Der Massenmarkt ist hier noch nicht erschlossen. Wir glauben fest daran, dass sich, wenn das passiert, die Auszahlungen mehr als verdoppeln werden.“

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