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Was war richtig, was habe ich falsch gemacht? Der alte Karl Marx, gespielt vom 87-jährigen Mario Adorf, blickt auf sein Leben zurück.
© Reda Laaroussi/ZDF

Film zum Kapitalismuskritiker: Karl Marx – "Der deutsche Prophet"

Das Dokudrama von Arte und ZDF zeigt vielfältige Facetten des Kapitalistenschrecks und Familienmenschen.

Wer Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre nichtsnutzige Fächer wie Soziologie, Politologie, Germanistik, Psychologie, ja sogar Romanistik oder Anglistik studierte, begegnete Karl Marx als Sprengmeister des Studienbetriebes. „Rote Zellen“ forderten im Namen des Projekts einer „Gegenuniversität“ erst mal den gesellschaftlichen Sinn des jeweiligen Fachs zu klären. Statt sich pflichtgemäß mit Kleist oder Freud zu beschäftigen, sollten die zuvor meist ahnungslosen Studenten in die blauen Bände des Kapitals gucken. Zunächst das 23. Kapitel namens „Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ studieren, dann zum „Wertgesetz“ und „Warencharakter“ vordringen und dann ...

Dann wollte es die Diskussion, dass man sich wegen der Erklärung des Begriffs Dialektik Hegels Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ (im grünen Buchdeckel) vornahm. Da „widerlegte“ die Blüte die Knospe. Und dann war Schluss. Bafög verlangte das Bestehen einer Zwischenprüfung. Marx wanderte ins Regal. Von wo er nun wiederkommt.

Keine Aufregung: Das Gespenst des Fernsehspiels „Karl Marx – der deutsche Prophet“ von Peter Arens, Stefan Brauburger und Peter Hartl ist Produkt des in Deutschland beliebten Genres Dokudrama. Umfassend, ausgewogen, allem allzu Genialen abhold und einem Geist verpflichtet, den man früher mit „Schulfunk“ zu diskreditieren suchte.

Mario Adorf wird mit Ehrerbietung behandelt

Film-Hero Marx (1818 bis 1883) ist zeitgemäß gekleidet, in täglich dreistündiger Maskenarbeit historisch täuschend echt hergerichtet. Es qualmt in fast jeder Szene. Regisseur Christian Twente („Das Luther-Tribunal“) behandelt den 87 Jahre alten Star Mario Adorf zu Recht voller ehrerbietiger Zuwendung. Wenn Adorfs Marx wie zu Beginn des Films in Algier kurt und beim Barbier seinen Bart stutzen lässt, wenn er auf der Rückreise das Casino Monte Carlo mit angewiderter Neugier besucht, wenn er als Reittier seinen Enkel auf allen vieren um den Esstisch transportiert, dann scheint sich der Kapitalistenschreck in einen milden Propheten verwandelt zu haben.

Ein verführerischer rheinischer Akzent säuselt aus dem Mund des kommunistischen Zeus, und man vergisst, dass in der (zugegeben arg erweiterten) Nachfahrenreihe der Marx-Anhänger eine Figur wie Stalin steht. Dieses Stück Fernsehgeschichtsschreibung ist altersmilde gestimmt. Es tut sich schwer, hinter die Stirn eines großen Menschen zu reisen, dahin, wo die Gedanken zu Hause sind.

Das Fernsehen reduziert das Maß der historischen Größe eines Menschen gerne auf seine ethische Leistung innerhalb der Familie. Der Chor der historischen Experten, in dem hier unter anderen Biografen wie der Publizist Jürgen Neffe, der französische Präsidentenberater Jacques Attali, die Marx-kritische Wirtschaftshistorikerin Ursula Weidenfeld, der Finanzexperte Rainer Voss auftreten, bleibt blass, wenn Marx-Tochter Eleanor (Sarah Hostettler) die szenischen Darstellungen des Familienlebens aus dem Off kommentiert.

War Mohr ein guter Ehemann?

Dann tagt das Familiengericht: Ist der „Mohr“ – so wurde Marx seit seiner schwarzhaarigen Jugendzeit im Kreis seiner Verwandten genannt – ein guter Ehemann gewesen? Leidenschaft gegenüber seiner Jenny von Westphalen: Note 1, treusorgend: na ja, da immer leichtsinnig und zugleich dauerpleite und ohne Freund Friedrich Engels aufgeschmissen.

Und als Vater? Vom Schicksal nicht gerade begünstigt. Zwei seiner Kinder musste er beerdigen, das mit seiner Haushälterin (Nina Petri) gezeugte verheimlichen. Und der Weg zu Tochter Eleanor, der Stütze in den letzten Lebensjahren, war anstrengend, wollte die doch lieber den Schauspielerinnenberuf ausleben als dem Vater dienen. 1898 nahm sich Eleanor das Leben.

Diese Doku-Mischung aus historischem, von Experten referierten Marx und dem fiktiv zum Leben erweckten privaten Mohr, dazu die Fixierung auf das Lebensende – Rückblenden auf frühe Lebensstationen sind kaum mehr als bewegte Bilder – erzeugt ein melancholisches, aber trügerischeres Gefühl: Alles ist vergänglich.

Der Zuschauer soll mit Mohr weinen, aber geschont werden vor der anstrengenden Gedankenarbeit des Karl Marx. Seine Ahnungen über ein notwendiges Ende des Kapitalismus bleiben trotz Bilderschnitzeln entfesselter industrieller Produktion trockenes Expertenlatein. Gibt es eine Wahrheit hinter den Bildern? Bildungsproletarier des TV-Zeitalters, lasst uns die blauen Bänder aus dem Regal zurückholen. Lesen ist Klassenkampf.

„Karl Marx – der deutsche Prophet“, Arte, Samstag, 20.15 Uhr, ZDF, 1. Mai, 20.15 Uhr

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