Ernst Elitz im Interview: „Journalismus wird zum Thermomix“
Aber bloßer Pessimismus ist Ernst Elitz’ Sache beileibe nicht. Ein Gespräch zum 80. Geburtstag des Gründungsintendanten von Deutschlandradio.
Herr Elitz, was lässt sich über den aktuellen Zustand der Medien sagen?
Die Medien sind im Krisenmodus. In den Redaktionen wird gespart, Personal abgebaut. Das mindert die Durchschlagskraft. Aber ich drücke nicht auf die Jammertaste, denn das Internet ist kein Angstgegner mehr und der Online-Journalismus ist eine große Chance, denn im Netz können die klassischen Medien auch ein Publikum erreichen, das nie zur Papierzeitung gegriffen hätte. Die Medien haben unabhängig vom Ausspielweg die Rolle des Aufklärers und Faktencheckers, sie versehen die News mit dem notariellen Gütesiegel: „Worauf Du Dich verlassen kannst!“. Ihr Auftritt im Internet ist für die Gesellschaft umso notwendiger, weil da jeder Quatschkopf seine Falschinformationen verbreiten kann.
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Klingt da mehr Optimismus als Pessimismus durch?
Klar! Es kommt entscheidend darauf an, dass Journalisten die Sprache der Bürger sprechen. Wir werfen den Politikern immer vor, dass sie nach dem Prinzip leben: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Wenn das beim Journalismus genauso ist und Kollegen sich wie beim betreuten Wohnen ihr gesamtes Berufsleben nur unter Gleichgesinnten tummeln, dann wird ihnen die Lebenswelt ihrer Mitbürger – ihrer Kundschaft – verborgen bleiben.
Was verspricht Besserung, Verbesserung?
Eine Kontaktoffensive. Zeitungen, auch der Tagesspiegel, veranstalten Leserforen. Der Deutschlandfunk hat täglich mehrere Stunden Sendungen, in denen die Bürger mit Redakteuren und Experten ins Gespräch kommen können. Eine Anekdote aus meiner Zeit beim Süddeutschen Rundfunk. Bei einer heftigen öffentlichen Diskussion zwischen Bürgern und Hörern sprang ein Feuilletonredakteur schließlich auf und schrie: „Eins will ich Ihnen mal sagen: Wir senden und Sie hören zu!“ – Diese Ansage ist out.
Journalisten sind Kontrolleure der Politik
Was sagen Sie denen, die Medien als „Staatsmedien“ bezeichnen?
Früher richtete sich dieser Verdacht nur gegen die Öffentlich-Rechtlichen, heute gegen alle. Die Medien müssen klarmachen: Wir sind die autonomen Kontrolleure der Politik, wir sind nicht deren Wiederkäuer. Unabhängiger Journalismus hatte immer eine Chance. Vor meiner Wahl zum Intendanten des Deutschlandradios kam der Vorsitzende des Freundeskreises der Union im Rundfunkrat auf mich zu und sagte: „Unsere Leute werden alle für Sie stimmen.“ Ich war verblüfft: „Aber ich habe doch in meinen Kommentaren immer kräftig auf sie reingehauen?" – Er: „Aber auf die anderen auch.“ Ich fühlte mich verstanden.
Zeigefinger- und Oberlehrerjournalismus sind en vogue. Braucht es eine neue Ausgewogenheit?
Meine Übersetzung von Ausgewogenheit lautet „Meinungsstreit“. Ausgewogenheit heißt für mich: Es müssen unterschiedliche Positionen vertreten werden, es muss einen Diskurs in den Redaktionen geben.
Zwei Vorbilder
Sie haben für den „Spiegel“ gearbeitet, Sie hatten eine öffentlich-rechtliche Karriere, waren Chefredakteur beim Süddeutschen Rundfunk und Gründungsintendant bei Deutschlandradio. Alles schön und befriedigend oder unterschiedlich schön und unterschiedlich befriedigend?
Immer spannend. Ich habe während meiner Karriere prägende Persönlichkeiten kennengelernt. Einmal Hans Bausch, den legendären Intendanten des Süddeutschen Rundfunks, ein kämpferischer Recke alter Schule. Er hat mir einmal sein Antwortschreiben an Kanzler Kohl gezeigt, der sich über einen SDR-Beitrag beschwert hatte. Deutlich war der Brief, furchtlos, imponierend. Die andere Persönlichkeit war der damalige ZDF-Intendant Dieter Stolte, quasi das Gegenmodell, sehr bedachtsam, ein Diplomat. Diese Vorbilder haben mir geholfen, als es galt, das Deutschlandradio aus den Funkhäusern West und Ost zusammenzubauen und gegen viele Widerstände durchzusetzen. Die ARD fürchtete die Konkurrenz. Aber ich hatte die Ministerpräsidenten und das Kanzleramt stets auf meiner Seite.
Das Deutschlandradio ist die gelungene deutsche Einheit.
Es ist bei uns vieles besser gelungen als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Die Widerspiegelung der Lebensverhältnisse in Ost und West liegt in den Genen des nationalen Radios.
Apropoa: Warum muss der Mitteldeutsche Rundfunk den Saarländischen Rundfunk via ARD-Finanzausgleich am Leben erhalten?
Sie werden den Rundfunk nicht reformieren können, solange es den Föderalismus gibt, solange Bremen und das Saarland den Erhalt ihrer Landesrundfunkanstalten zur staatspolitischen Notwendigkeit erklären.
Nach Ihrer Intendanz haben Sie als Ombudsmann für die „Bild“ gearbeitet. Wie passt das zum liberalen Journalisten Elitz?
Journalismus muss sich an alle Milieus in der Gesellschaft wenden und sich an deren unterschiedlichen sozialen Prägungen orientieren. Deswegen ist die Boulevardpresse für mich nie ein No-go gewesen. Als Ombudsmann bei der „Bild“ war ich Faktenchecker. Wenn sich eine Leserin, ein Leser über eine Berichterstattung des Blattes beklagte, bin ich der Beschwerde nachgegangen und habe den Fall mit der Redaktion geklärt und auch öffentlich Kritik an der Redaktion geübt. Ich wurde mit dieser Aufgabe betraut, nachdem „Bild“ über einen Ausländermob berichtete, der Frauen belästigt hätte. Das war ein Fake. Er wurde wie andere Fälle im Blatt korrigiert.
Journalismus im Thermomix
Ältere Menschen neigen zu dem schönen Kalenderspruch: Früher war alles besser. Wohin neigen Sie?
Früher hatten Journalisten mehr Zeit zur Recherche und wurden noch nicht von der Online-Hektik gepeinigt. Das führt zu einem Ex-und-Hopp-Journalismus. Was mich zudem stört: Journalismus wird zum Thermomix. Der Reporter ist vor Ort, spricht einen Podcast, schneidet ein Video, macht noch ein Interview, sendet eine Nachricht und so weiter. Wo bleibt da die Zeit zur Reflektion?
Sie leben in Berlin, Herr Elitz, Sie sind Berliner, Sie kennen jeden Stein. Ist die Hauptstadt auf dem richtigen Weg?
Man müsste sich in dieser Stadt mal auf vernünftige Verfahrensregeln verständigen. Dass man den Föderalismus auf Bezirksebene nachäfft, diese eingebaute Konkurrenz zwischen Senat und Bezirken halte ich nicht nur mit Blick auf die Bürgerämter für misslungen. Der ständige Streit, der sich aus ungeklärten Zuständigkeiten ergibt, lähmt die ganze Stadt und macht sie zu einer Lachnummer außerhalb Berlins. Ich halte auch nicht viel von erweiterter Bürgerbeteiligung, denn das läuft immer auf Partikularinteressen und Lobbyismus hinaus. Ich bin Anhänger der parlamentarischen Demokratie, denn dort werden Entscheidungen getroffen, die das Interesse der Allgemeinheit im Blick haben.
Mitglied der SPD und der katholischen Kirche
Sie sind Mitglied der SPD…
… und Mitglied der katholischen Kirche. Aus beiden Organisationen werde ich Zeit meines Lebens als unabhängiger Geist nicht mehr austreten.
Das Interview führte Joachim Huber.