TV-Talk „Anne Will“ zum Brexit: „Johnson sitzt in der Falle“
Bei Anne Will ging es um den Brexit – und vor allem um die Reizfigur Boris Johnson. CDU-Politiker Norbert Röttgen teilte scharf aus.
Mit Engländern, die aus einem Club austreten wollen, ist nicht zu spaßen. 1534 hat es einer der wohl berühmtesten und gefürchtetsten Briten schon einmal geschafft: Heinrich VIII., der der Römisch-Katholischen Kirche den Rücken kehrte und vier Jahre später auch mit seiner daraus resultierenden Exkommunikation zurechtkam. Hauptgrund damals war eine Frau, Heinrichs Mätresse und spätere Gattin Anne Boleyn.
Boris Johnson, derzeitiger Premier von Großbritannien, hat weniger romantische Motive, dem Club EU die kalte Schulter zu zeigen. Bei ihm geht es nicht um eine wahre Schönheit, sondern eher um ein wirtschaftlich-politisches Zweckbündnis: Europa.
Weniger riskant für den europäischen Frieden ist Johnson deshalb nicht, so die Meinung bei Anne Will. Tanja Bueltmann, Historikerin und Gast von Wills Talkrunde am Sonntagabend, hat als in Großbritannien lebende Deutsche Angst, bei dem von Johnson angestrebten No-Deal-Brexit „über Nacht illegal“ zu werden – wie zirka zwei Millionen weitere Betroffene. Greg Hands, Tory-Abgeordneter und Gegner eines No-Deal-Brexits, schüttelte da energisch den Kopf – hatte allerdings auch nichts zu Bueltmanns Beruhigung zu sagen.
„Ein notorischer Lügner“
Gast Rolf-Dieter Krause, ehemaliger Leiter des Brüsseler ARD-Studios, kennt Boris Johnson (seines Zeichens früher Korrespondent des „Daily Telegraphs“) aus früherer Zusammenarbeit persönlich. Er beurteilte ihn als „notorischen Lügner“, der schon in der Vergangenheit „nur dann die Wahrheit gesagt habe, wenn er seinen Namen nannte“.
Mehr Sorgen als der Britische Premier, der vergangene Woche 21 Konservative aus seiner Partei ausgeschlossen hatte – weil sie gegen seine harten Brexit-Pläne gestimmt hatten – macht Krause die „Scheindebatte“, die um den Austritt geführt werde. Der mögliche Deal mit der EU liege auf dem Tisch, ein anderer „sei nicht zu haben“.
Johnson sehe das offensichtlich anders, betonte Tory-Abgeordneter Greg Hands. Hands selbst habe einen alternativen Plan an der Hand, der fachlich diskutiert wurde und werde – damit es auf keinen Fall zum ungeordneten Austritt am 31. Oktober komme. In Brüssel und in der deutschen Regierung halten diesen Plan offenbar viele für nicht machbar, oder glauben zumindest: Boris Johnson habe nicht eine Zeile davon gelesen – so Norbert Röttgen, CDU-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
Stattdessen befinde sich Johnson in der Hand der „Hard Brexiteers“ – also jener Gruppe, die um jeden Preis einen kompromisslosen Brexit anstreben. „Das, was an Schaden entsteht, ist dramatisch“, sagte Röttgen deutlich. „Wenn das so kommen würde, wird auch das Vereinigte Königreich nicht überleben.“
„Er handelt aus reinem Machtkalkül“
Johnsons Plan sei, das Parlament zu suspendieren, um es rauszuhalten, um dann einen No-Deal-Brexit zu machen und kurz danach mit „dieser Trophäe“ in die Wahlen zu gehen, sagte Röttgen und fügte hinzu: „Wenn dabei die Opposition mitmacht, dann wäre sie nicht nur bescheuert, sondern (dann) wäre sie verantwortungslos.“ Er wisse, dass das nicht der Fall sei. Röttgen sagte weiter, Johnson sitze nun in der Falle. Mit der Suspendierung des Parlaments habe er einen schweren Fehler begangen. Die bislang gespaltene Opposition habe er so geeint. Er handele aus reinem Machtkalkül.
Johnson selbst hatte gesagt, er läge lieber „tot im Graben“, als noch eine Verlängerung der Brexit-Verhandlungen bei der EU zu beantragen. Andererseits hat die Opposition gerade ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit durchgepeitscht. Sollte der Premier sich darüber hinwegsetzen, verstieße er gegen geltendes britisches Recht – und könnte dafür sogar ins Gefängnis gehen. Als Märtyrer, sagen seine Anhänger.
Irina von Wiese, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Liberal Democrats und seit zwei Jahren britische Staatsbürgerin, glaubte: „Einen No-Deal-Brexit will keiner“. Naja – zumindest nicht unbedingt die Briten, die sie kennt, gab sie zu. Johnson gehört offensichtlich nicht dazu. Das Hauptproblem sei, dass Johnson aktuell „alle alles zutrauen“, summierte Röttgen: sei es Gesetzesbruch, No-Deal-Brexit, Deal-Brexit oder sogar der Tod im Straßengraben.
Johnson, das kristallisierte sich während des Talks immer mehr heraus, sei sowohl für Ausländer als auch für Briten völlig unberechenbar. Die Schlussfolgerung: Um zu wissen, was Boris Johnson als Nächstes macht, müsste man Boris Johnson sein. Dann wäre auch abzuschätzen, wie er mit einer – demokratischen – Exkommunikation zurecht käme.
Tatjana Kerschbaumer
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