Bogart statt Boerne: Jan Josef Liefers als introvertierter TV-Kommissar
Im ZDF-Krimi "Mörderische Stille" spielt Jan Josef Liefers einen Ermittler wie aus einem Raymond-Chandler-Roman. Die Figur des Kommissar Holzer ist geradezu auf eine Fortsetzung angelegt.
Dass im Publikum eine große Sehnsucht nach fiktionalen Verbrechen plus Aufklärung herrscht, ist belegt: nichts boomt so sehr wie der Krimi im Abendprogramm. Obwohl ja doch die verdrängten Genres Drama, Thriller, Komödie und Liebesfilm auch ihre Reize haben – oder hätten, wenn es sie öfter geben würde. Da sie aber zu Anteilen dem Krimi weichen mussten, fließen ihre Elemente und Motive in den Krimi ein. Es gibt immer mehr Psychologie und Erotik im Krimi, und seine positiven Helden dürfen sich nicht mehr nur auf die Ermittlungen konzentrieren, sie müssen ihre eigenen, möglichst dramatischen oder absonderlichen privaten Hintergründe preisgeben.
Jan Josef Liefers, berühmt ob seiner brillanten Darstellung des liebenswert versnobten Pathologen Boerne im Münster-„Tatort“, spielt nun so einen Mühseligen und Beladenen unter den Kommissaren; er heißt in dem neuen Krimi „Mörderische Stille“ schlicht Holzer – ohne Herr davor und ohne Vornamen. Gleich zu Beginn sieht man ihn in einer Art therapeutischer Sitzung, wie er etwas zeichnet – offenbar eine schreckenvolle Szene aus alten Tagen, eine verschüttete Erinnerung, etwas in der Art. Liefers’ freundliches Gesicht, mit dem ironischen Lächeln des Professors Boerne dem Zuschauer vertraut, ist hier nun ganz anders: unfroh, ernst, verletzlich, verschlossen. Man merkt ihm an, dass er gegen sein „Tatort“-Image anspielt, denn in diesem Holzer-Krimi soll er nun von einem ganz anderen Schlag sein.
Mord in Wilhelmshaven
Schauplatz ist Wilhelmshaven und damit die See, der Jadebusen, die Werften, die Schiffe, die nördliche Kühle. Trefflich arbeitet die Kamera von Michael Wiesweg den Showwert des Hafens heraus. Da zieht ein Angler eine Leiche aus dem Wasser, bald passiert noch ein Mord. Wer hat dem Angler das Boot vermietet? Segellehrer Kühnert tritt in Erscheinung, ein wortkarger Kerl, mit Peter Lohmeyer passend besetzt. Seine Frau Elena (Sylvie Testud) ist taubstumm, die Tochter (Franziska Brandmeier) leicht erregbar und meist wütend. Es kommt heraus, dass der Tote aus dem Meer Nato-Offizier im Kosovo war – dort hat vordem auch Kühnert Dienst getan. Holzer ahnt Zusammenhänge. Er befragt Elena. Die streichelt seine Wange. Er hält inne – und wird die Geste später erwidern.
Weniger zärtlich begegnet ihm seine türkische Teampartnerin Amal, gespielt von Ivan Anderson. Sie würde gerne wissen, warum er in Therapie ist, aber er schweigt sich aus, sagt nur, er habe Tinnitus. Sie raunzt ihn öfter an, wegen der Musik zum Beispiel, die er im Büro hört: „Holzer! Muss es unbedingt Mozart sein? Geht nicht was weniger Schwules?“ Amal spricht Klartext. Und sie haut ihm auch schon mal eine rein, als er, im Glauben, sie brauche Trost, eine Umarmung versucht. „Verfickt“ ist ihr Lieblingswort. Aber die beiden verstehen sich natürlich letztlich doch. Als Amal ihre Tochter, die auf der Flucht vor einer Zwangsheirat ist, im Büro unterbringt, drückt er beide Augen zu und tanzt sogar mit dem Mädchen.
Friedemann Fromm hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Er hat einen melancholischen Krimi gedreht, eine hochkomplizierte Geschichte erzählt, in der alte Schuld in die Gegenwart hineinragt und hier und jetzt Sühne verlangt. Worum ihm aber wohl am meisten zu tun war, ist die Figur des Holzer. Sie ist darauf angelegt, in Serie zu gehen, und sie muss von einem Jan Josef Liefers ins Leben geholt werden, der nichts Boerne-Artiges mehr an sich haben darf.
Nun ist ja seit Chandler und den Verfilmungen seiner Krimis mit Humphrey Bogart der ebenso einsame wie intelligente Schnüffler, der die Menschen kennt und sich keine Illusionen mehr macht, eine klassische Figur, deren Potenzial ausgereizt scheint. Aber Klassiker lassen sich eben immer wieder beatmen, das heißt, ihr Potenzial wächst nach. Liefers könnte mit seinem sensiblen Holzer tatsächlich einen Charakter kreieren, der in der heutigen Zeit überzeugt, weil er der Resignation, die nahe liegt, nicht nachgibt. Und weil er in Fragen der Moral trotz seiner offenbar bitteren Erfahrungen streng bleibt.
"Fick dich, Holzer!"
In einer Schlüsselszene streitet er mit Amal über die alte Frage von Recht und Gerechtigkeit, von Gesetz und kurzem Prozess. Sie ist froh über das gewaltsame Ende der Opfer, die üble Kunden waren. Sie hält die Jagd nach dem Mörder für überflüssig. „Gut, dass die weg sind.“ „Du weißt, dass wir so nicht denken dürfen.“ Sie beharrt. Er: „Dann bist du hier falsch“. Ist sie das wirklich? Ist nicht auch ihr Standpunkt nachvollziehbar? Der Mann von der Straße mag ihn beziehen, ein Profi darf es nicht. So wird Holzer auch dann noch denken, wenn die Ungerechtigkeit zum Himmel stinkt. Das ist nicht populär. Aber es ist richtig. Und Amal? Was wird aus ihr, wenn das Team in Serie geht? Auch in dieser Frauenfigur steckt Potenzial. Sie wird noch ein paar Wandlungen durchmachen müssen, bevor sie ein echter Profi ist. Für’s Erste fällt ihr auf die Vorhaltungen des Partners nur dies ein: „Fick dich, Holzer!“
„Mörderische Stille“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15