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Wer hat versagt?  Der 14-jährige Felix (Enzo Gaier) erschießt fünf Menschen an seiner Schule, vier weitere Menschen werden schwer verletzt.
© MDR/ORF/Petro Domenigg

TV-Film über Amoklauf an Schule: Im Druckkessel

Ob da auch die Gesellschaft versagt hat und nicht nur die Familie: Das Drama „Die Stille danach“ erzählt von einem Amoklauf an einer Schule.

Er blickt unumwunden in die Kamera, während er durch die Gänge und Treppenhäuser der Schule läuft. Sein Blick lässt nicht ab, die Kamera fokussiert dieses Gesicht ungebrochen. Es ist das Gesicht eines vierzehnjährigen Schülers, Felix Rom (Enzo Gamer). Schüchternheit und Verletztheit liegen darin. Felix geht durch die Gänge, noch eine Treppe rauf, noch eine Etage weiter, immer mit frontalem Blick direkt zum Zuschauer.

Dann bleibt er stehen, zieht eine Waffe und drückt zum ersten Mal ab. Auch dabei sieht er direkt in die Kamera. Der ganze Vorgang, wie viel später einmal Kommissar Zolles (Rainer Wöss) der Mutter von Felix, Paula Rom (Ursula Strauss), erklären wird, hat sieben Minuten gedauert. In diesen sieben Minuten hat Felix fünf Menschenleben ausgelöscht, vier Menschen werden schwer verletzt. Bis er sich vor den Augen einer Klassenkameradin selbst richtet.

Die Familie Rom, die in Graz in einem Einfamilienhaus lebt, die Eltern beide berufstätig, zwei Kinder, jüngerer Bruder, ältere Schwester, steht im Mittelpunkt von „Die Stille danach“, den Nikolaus Leytner („Die Auslöschung“) sowohl geschrieben als auch inszeniert hat. Sofort stellen sich Assoziationen ein zu den Amokläufen an Schulen in den USA, auch zu jenem im schwäbischen Winnenden oder in München.

Sohn Felix hat in diesen sieben Minuten getötet

Leytners unspektakulär angelegter Film erzählt von dieser Familie und ihrem neuen Leben im Druckkessel, einem Leben unter anhaltender medialer Beobachtung, einem Leben mit omnipräsenter Missgunst und Verachtung. Die Reaktion der Gesellschaft ist, dass sich alle abwenden von den Roms. Die Familie, die sich in einer Schockstarre befindet, wird ausgegrenzt.

Als Paula in die Kirche zum Trauergottesdienst für die toten Kinder geht, zu denen auch ihr eigener Sohn gehört, spuckt ihr eine Frau ins Gesicht. Im Klinikum, in dem sie als OP-Schwester arbeitet, wird ihr unbefristeter Urlaub nahegelegt. Ehemann Michael (Peter Schneider), ein früherer Radprofi, geht es nicht anders. Dabei stellt sich doch die Frage, ob nicht auch die Gesellschaft versagt hat und nicht nur die Familie.

Das Schreckliche im Alltäglichen, das habe der Felix festhalten wollen, erklärt der Kunstlehrer Paula, als er die Familie einmal zu Hause aufsucht und der verblüfften Mutter vergrößerte Fotografien zeigt, die ihr Sohn im Kunstunterricht angefertigt hatte. Danach hat der Felix sie meistens vernichtet. Die kunstvoll arrangierten Fotos, denen etwas Brutales anhaftet, zeigen beinahe mikroskopische Aufnahmen von Wiesen und Feldern und Gräsern. Von Natur. Vom Leben. Vom Sterben. Das Schreckliche im Alltäglichen.

Als Mutter Paula und Tochter Flora (Sophie Stockinger) mit Felix’ Asche in die Berge fahren, um sie von hoch oben in den Wind zu streuen, da spricht Paula am Steuer im Wagen vor sich hin, spricht von diesen sieben Minuten und was man in sieben Minuten alles machen kann. „Geschirrspüler ausräumen, ein Sudoku lösen, eine Zigarette rauchen.“ Ihr Sohn Felix hat in diesen sieben Minuten getötet.

Nikolaus Leytners Drama „Die Stille danach“, besetzt mit einem brillanten, zurückhaltenden Darsteller-Ensemble, dürfte zu den eindringlichsten Fernsehfilmen des Jahres 2016 zählen.

„Die Stille danach“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15; „Menschen bei Maischberger“, ARD, 21 Uhr 15

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