Letzte Klappe bei der „Lindenstraße“: Ich war Klaus Beimer
Mit sieben Jahren rein, mit 41 raus: Für Moritz A. Sachs fällt nun die letzte Drehklappe in der „Lindenstraße“.
Ein letztes Mal Drehen mit Sybille Waury (alias Tanja Schildknecht). Ein letztes Mal mit Joris Gratwohl (alias Alex Behrend). Ein letztes Mal mit Jacqueline Svilarov (alias Nina Zöllig). Wer die Schildknechts, die Behrends, die Zölligs nicht kennt, wird jetzt wohl nicht mehr weiter lesen. Wer doch, ahnt, dass hier, mit der „Lindenstraße“, ein Stück Fernsehgeschichte zu Ende geht.
[„Lindenstraße“, Sonntag, ARD, 18.50 Uhr]
Auch für Moritz A. Sachs, besser bekannt als Klaus Beimer, den er seit 34 Jahren spielt. Für Sachs ist das in diesen Tagen in den „Lindenstraßen“-Kulissen auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd ein permanentes Abschiednehmen. Am Freitag fällt für ihn und Dutzenden von Kollegen die letzte Drehklappe. Die Zuschauer werden das erst am 29. März in der Final-Folge vor dem Fernseher mitkriegen. Für Sachs ist es jetzt schon Zeit, die eine oder andere Träne abzuwischen, zurück und voraus zu blicken, und vielleicht noch mal besonders wütend zu sein.
Mit sieben Jahren, im Dezember 1985, kam der Junge in die Familienserie, sang mit Mutter Beimer unterm Weihnachtsbaum. Mit 41 geht er wieder raus, hat als Klaus Beimer Bruder und Vater verloren, sein soziales Gewissen entdeckt, sich mit Rechten rumgeschlagen, zum ersten, zweiten, dritten Mal verliebt, geheiratet, Kinder gekriegt, geschieden, wieder geheiratet, die Liebe zum Journalismus entdeckt, mehr Zeit in Köln-Bocklemünd verbracht als manche zuhause. Und nun? Wird aus Klaus Beimer mehr Moritz A. Sachs?
Die bestimmende Rolle
Da kann man ja noch so viel Abstand zwischen sich und die Rolle legen, wenn es eben doch „nur“ diese eine Rolle war, die das Leben über 34 Jahre bestimmt hat. Wie geht man da raus? Er habe gleich nach der Bekanntgabe des „Lindenstraße“-Aus im November 2018 damit begonnen, sich vorzubereiten, sagt der Schauspieler. „Ich habe die ,Lindenstraße’ immer als vorrangigen Arbeitgeber Rücksicht nehmen müssen, da eröffnen sich viele neue Möglichkeiten, die es mit mir selbst auszumachen galt.“
Zum Beispiel, ein Buch zu schreiben: „Ich war Klaus Beimer – mein Leben in der Lindenstraße“. Das letzte Kapitel folgt gleich im Anschluss an den finalen Drehtag. „Es gab auch ganz praktische Dinge zu erledigen, der Gang zum Arbeitsamt zum Beispiel.“ Das Stichwort. Da sind ja nicht nur Tränen, da muss es doch auch Wut geben: auf die ARD, die diese Serie, die Sonntag für Sonntag immer noch ihre zwei, drei Millionen Zuschauer hat, nach 34 Jahren und fast 1800 Folgen sterben lässt.
Sachs gibt sich erstaunlich versöhnlich. Der WDR habe sicher kein Interesse an der Einstellung seines Formates. Die ARD habe einen Sendeauftrag und anscheinend den Eindruck, diesen mit der „Lindenstraße“ nicht mehr erfüllen zu können. „Das müssen wir respektieren“, so sehr er der Meinung sei, die „Lindenstraße“ hätte als kritisches, gesellschaftlich kommentierendes Format weiter ihre Berechtigung.
Es sei ansonsten nicht anders als bei vielen Firmenschließungen. „Hier stehen Existenzen auf dem Spiel. Der Arbeitsplatzverlust treffe auch und insbesondere die Kollegen im Team, die zum Teil ihr gesamtes Berufsleben bei dem Format verbracht haben. Viele der 70 Mitarbeiter sind gegen ihre Kündigung durch die Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion (GFF) vors Kölner Arbeitsgericht gezogen. Ihre Klage wurde im September abgewiesen.
Sachs klagt nicht. Bei öffentlichen Auftritten hatte man trotz oder gerade auch wegen seines beruflichen Dauerlebens als Klaus Beimer das Gefühl, da steckt mehr dahinter. Er hat Rechtswissenschaften studiert, veranstaltete Kurzfilmfestivals, dazu Regieassistenzen, Teilnahme an „Let’s Dance“ und der Blog woistdermoritz.de, auf dem er das Thema Nachhaltigkeit behandelt. Sein altes Ziel, Regie zu führen, ließ sich neben der „Lindenstraße“ nicht realisieren, die Basis sei durch seine Arbeit als Schauspieler und Regieassistent gelegt. In dieser Woche war er zu einem Dreh in Berlin.
"Weiter unser Bestes geben"
Man spürt: Hier schafft jemand den Absprung, auch wenn er sich das vor einem Jahr wohl nicht zugetraut hat. Sachs schrieb im Blog nach Bekanntwerden des „Lindenstraße“-Aus: „Es fühlt sich leer an. Surreal. Es wird sehr still. Was will man dazu sagen? Dass man wütend ist? Traurig? Ja. Klar. Und? Was hilft es? (..) Jetzt heißt es erstmal, das kommende Jahr zu begrüßen. Weiter unser Bestes zu geben, um uns und euch ein weiteres, letztes tolles Jahr mit dieser wunderbaren Serie zu schenken. Traurig sein können wir immer noch.“
Und zwar jetzt. Für Moritz A. Sachs haben sich mit der Fernseharbeit, die über dreiviertel seiner Lebenszeit abdeckte, viele Freundschaften entwickelt, die er auch außerhalb der Produktion pflegt. Auch viele, die nur vor Ort zum Tragen kommen. Abschlussfeste, Weihnachtsfeiern, Feierabend-Bier im Innenhof der Kantine. Alles zum letzten Mal.
„Seit Monaten sitzen wir häufiger als sonst nach Feierabend zusammen. Dabei reden wir viel über vergangene Zeiten, auch über unsere Pläne. Mit tut es besonders gut mit den anderen zu sprechen, die wie ich als Kinder angefangen haben. Für uns ist es noch mal etwas emotionaler, nun den Laden zuzumachen.“ Am Freitag, mit der letzten Klappe, macht Moritz A. Sachs, den Laden zu. Dann wird die „Lindenstraße“ abgetragen. Auch die Klamotten von Klaus Beimer kommen ins Museum.
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