RBB-Intendantin Dagmar Reim: „Ich kann es nicht allen recht machen“
RBB-Intendantin Dagmar Reim über Mecker-Mentalitäten, Radio ohne Werbung und das Ende ihrer Amtszeit. Ein Interview.
Frau Reim, das ist eine besondere Woche für Berlin. Was bedeutet die gescheiterte Olympia-Bewerbung für den RBB? Müssen Sie sich von bereits gefassten Olympia-Plänen verabschieden oder atmen Sie auf, weil man sich als chronisch klammer Hauptstadtsender nicht viel hätte leisten können?
Ob Olympia in Hamburg oder Berlin stattfindet: Es wird weder teurer noch billiger für den RBB. Wenn Olympia nach Deutschland käme, dann wäre der Kauf der TV-Rechte eine große Gemeinschaftsanstrengung für ARD und ZDF. Auf den RBB entfiele dann genauso viel wie sonst bei großen Gemeinschaftsrechten in der ARD: 6,6 Prozent.
Hätten Sie denn die Olympia-Kandidatur nach Berlin vergeben?
Ich halte mich heraus aus solchen Entscheidungen. Das muss ich tun als Intendantin eines öffentlich-rechtlichen Senders. Der RBB kann nicht sagen: „Wir sind Olympia.“ Wir müssen beobachten.
Wenn schon nicht Olympia, dann gibt es zumindest ab Sonntag einen neuen Berliner „Tatort“, mit Meret Becker und Mark Waschke. Sie waren in der Premiere. Wie finden Sie die erste Ausgabe?
Er hat das eingelöst, was mir die Kolleginnen der Filmredaktion versprochen hatten: Berlin ist der dritte Hauptdarsteller. In den ersten 15 Filmminuten sehen Sie 14 Drehorte in unserer Stadt.
Eines war bislang seitens des RBB noch nicht gelöst: die Frage nach der Nachfolge für den Platz von Kurt Krömer. Nachdem der sich im Dezember 2014 ziemlich überraschend vom RBB und vom Fernsehen verabschiedet hat, gibt es eine Vakanz am Donnerstagabend in der ARD …
… die vom RBB mit Dieter Nuhr gefüllt wird, mit einem neuen Format als Gastgeber, sechs Mal im Jahr. Er wird Comedians, Poetry Slammer und Kabarettisten einladen. Die sind alle unter 30, keine etablierten Kabarettisten wie bei „Nuhr im Ersten“. Immer vier Gäste pro Sendung, deren Gesichter neu im deutschen Fernsehen sind, sich aber zum Beispiel online schon einen Namen gemacht haben. Start ist im Oktober.
Das ist ja fast eine One-Man-Show, noch mehr Dieter Nuhr mit dem RBB im Ersten. Was schätzen Sie an Nuhr?
Er hat eine unglaubliche Kamerapräsenz. Wenn Sie ihn auf der Straße sehen, wüsste ich nicht, ob er Ihnen auffallen würde. Aber als Zuschauerin bringt er mich dazu, ihm exakt zu folgen. Und er schafft es als Gastgeber, sich nicht selbst auf den Thron zu setzen. Dazu sind viele Kabarettisten nicht bereit.
Sie sagten, da kommen Kabarettisten unter 30. Die Frage „Jung oder Alt?“ war kein Kriterium für die Auswahl der Krömer-Nachfolge? Nichts gegen den 54-jährigen Dieter Nuhr, aber die Besetzung ist jetzt wenig überraschend.
Er ist uns jung genug.
Wo bleiben da die neuen, jungen Namen?
Ein Moderator im Radio oder Fernsehen muss nicht unbedingt 25 Jahre jung sein. Ein jüngeres Lebensgefühl vermittelt auch jemand wie Sascha Hingst oder Bettina Rust. Es kommt darauf an, Marken zu setzen. Und die setzen wir durch Personalisierung. Leute wie Max Moor, Jessy Wellmer, Jörg Thadeusz und selbstverständlich auch Ulli Zelle sind Marken unseres Senders.
Sie merken’s an unseren Fragen. Es ist schick, den RBB, das Radio- und Fernsehprogramm, den Berliner „Tatort“ schlechtzumachen. Die Programmreform aus 2012 wird als Reförmchen belächelt. Man hat das Gefühl, Sie können es als Intendantin keinem recht machen: den Kritikern, den Zuschauern, dem Rundfunkrat.
Ich würde nie auf die Idee kommen, es allen recht machen zu können oder zu wollen. Dann wäre ich im falschen Beruf.
Ist das Mecker-Potenzial in Berlin besonders groß?
Nein. Ich habe zuvor beim BR, WDR und NDR gearbeitet, ich müsste es also wissen. Was die Lage hier beim RBB kompliziert gemacht hat, war die Fusion zweier Sender. Von ORB und SFB zum RBB. Das gab es nirgends. Das waren die schweren Anfangsjahre, seitdem ist es besser geworden. Was Nörgler und Motzer betrifft: Die sind nicht in Berlin besonders verbreitet, sondern sie wohnen im Internet, wenn Sie sich da die Kommentare anschauen.
{Was sind die Ziele für ihre dritte und letzte Amtsperiode, Frau Reim?}
Das Zusammenbringen von ORB und SFB war Thema Ihrer ersten Amtszeit von 2003 bis 2008. Was prägt jetzt Ihre dritte und letzte Amtsperiode bis 2018?
Das große Thema ist: Verbesserung der journalistischen Qualität. Und der weitere Ausbau unserer digitalen Zukunft. Wir haben 2009 als erster Sender die Hörfunk- und die Fernsehdirektion zusammengelegt, zur multimedialen Programmdirektion.
Was meinen Sie mit journalistischer Qualität: Mehr Nachrichten-Scoops in der „Abendschau“?
Wir wollen uns in allen Formaten journalistisch verbessern. Das können mehr Exklusiv-Geschichten aus der Stadt in der „Abendschau“ sein. Es kann aber auch das sein, was viele Menschen unter dem Stichwort „Verjüngung“ von uns erwarten: also weniger Vorhersehbares, dafür neue Geschichten über junge Mode, junges Design, junge Musik oder junge Unternehmen zum Beispiel. Auch das findet ja seit geraumer Zeit in der „Abendschau“ statt.
Tatsächlich liegt der Altersdurchschnitt der „Abendschau“ mit 66 Jahren sogar noch über dem Senderschnitt. RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein möchte am Konzept der Sendung dennoch nichts ändern. Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, die „Abendschau“ ist die Sendung mit der größten Akzeptanz in dieser Stadt. Sie wäre schlecht beraten, wenn sie ihre DNA änderte. Was die „Abendschau“ anpackt, ist, jüngere Sichtweisen ins Programm zu bringen und jüngere Menschen einzuladen. Verjüngung heißt aber auch: Behutsam sein und nicht radikal.
Ein anderes Thema: Der RBB stand lange Zeit auf dem letzten Platz in der Quotenliste der Dritten Programme.
Die Quote ist nicht unser einziger Maßstab. Auch Zeitungen werden sich in ihrer Qualität nicht an sinkenden Auflagen messen lassen wollen. Ein Beispiel: Zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz haben wir einen ganzen Themenabend gemacht, mit Dokumentation, Film und Interview. Die Quote war katastrophal, andere Dritte Programme sendeten Karneval und Fastnacht. Wenn ich allein an die Quote dächte, dürften wir so etwas nicht machen. Ich sage aber: Wir müssen so etwas machen.
Man muss nicht quotenhörig sein, um besorgt zu registrieren, dass die öffentlich-rechtlichen Radiowellen auch des RBB bei der letzten Media-Analyse kräftig verloren haben. Wie wollen Sie reagieren?
Meines Wissens haben fast alle Berliner Sender gelitten. Wir strengen uns an.
Bundesweit haben die öffentlich-rechtlichen Radios eine Million Hörer verloren, alle Privaten zusammen 250 000.
Jedes Programm steuert auf seine Weise dagegen: Antenne Brandenburg ist glücklich als Marktführer in der Region, Radio Eins ist unglücklich, weil das Team sich nicht erklären kann, warum sie nicht weiter vorangekommen sind. Es gab weder in großem Umfang kritische Mails noch bekam der Sender über Facebook, Twitter oder andere Kanäle mitgeteilt: „Ihr macht Unsinn“. Die Kollegen sind alarmiert und arbeiten daran, ihr Programm zu verbessern.
Viele Hörer stören sich an der ständigen Werbung. Haben die ARD-Sender angesichts der steigenden Überschüsse aus dem Rundfunkbeitrag diese Einnahmen überhaupt noch nötig?
Wenn wir das zusammenrechnen dürften, wäre es unsere leichteste Übung, auf Werbung zu verzichten. Aber: die zusätzlichen Einnahmen liegen auf einem Sperrkonto. Wir haben seit 2009 keine zusätzlichen Mittel bekommen, nun sinkt der Beitrag um 48 Cent. Und wir wissen nicht, was die Ministerpräsidenten mit den Überschüssen machen werden. Es könnte sein, dass sie das Geld in Beitragsstabilität investieren. Das fände ich, wenn ich es mir aussuchen könnte, gut.
Was kommt nach 2018, wenn Ihre dritte Amtszeit zu Ende geht?
Für die Zeit danach habe ich meinem Mann versprochen, ihm glutenfreie Pudding-Schnecken zu backen.
Das Interview führten Markus Ehrenberg und Kurt Sagatz.