Interview mit Friedrich Mücke: „Ich bin mir selbst nicht ganz geheuer“
In „Exit“ spielt Friedrich Mücke einen IT-Mann, der Tote virtuell auferstehen lässt. Der Berliner über Science-Fiction, Smartphone-Sucht und „Tatort“-Abschiede.
Schauspieler Friedrich Mücke („Exit“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15), 39, ist vor allem bekannt aus seinem kurzen TV-Kommissar-Einsatz im Erfurter „Tatort“ 2013 und 2014. Für seine Rolle in dem Kinofilm „Friendship!“ wurde er mit dem Bayerischen Filmpreis 2009 als Bester Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet.
Herr Mücke, wie ist Ihr privater Umgang mit der digitalen Welt, die sich in „Exit“ zu verselbstständigen droht?
Ich bin zwar kein totaler Techie, der unbedingt jedes neue Gadget braucht. Aber wenn ich nur meine Bildschirmzeit zusammenzähle und sehe, wie das Smartphone mein Leben strukturiert und wie wenig ich das infrage stelle, bin ich mir selbst nicht ganz geheuer.
So schlimm?
Ja. Jeder Umgang mit Technik sollte Ergebnis eines Reflexionsprozesses sein, aber bei mir wurde er vom Sog sozialer Netzwerke überholt und wirft daher die Frage auf: Bin ich womöglich in etwas gefangen, woraus es kein Entkommen mehr gibt?
Wie lautet Ihre Antwort?
So sehr, wie die Technik uns fesselt und oft ja auch vereinzelt, bin ich da langsam skeptisch. Umso mehr versuche ich, mich analog in Gruppen aufzuhalten und dabei auch mehr über den digitalen Umgang der anderen zu erfahren. Da hat mich zuletzt ein Seminar weitergebracht.
Was für ein Seminar?
Um meine Flugangst in den Griff zu kriegen. Die ist in meinem Job echt hinderlich. Da kamen Leute aus allen Lebensbereichen, das hat gutgetan. Zumal ich merke, dass mir Analoges gar keinen Spaß mehr macht. Zeitung lesen zum Beispiel fand ich mal toll, jetzt strengt mich das eher an. Ich simuliere zwar manchmal analoge Gewohnheiten, bin aber eigentlich komplett von der digitalen Welt absorbiert und glotze zehn Stunden am Tag aufs Handy.
Womit Sie den Film „Exit“ beschreiben, wo Leute fast jeden Handgriff digitalisieren, zugleich aber ihre Sehnsucht nach Haptik zum Ausdruck bringen, wenn Linus beim Hacken in der Virtual Reality nostalgische Briefkästen mit Brecheisen aufstemmt.
Bizarr, oder? Aber auch erschreckend realistisch.
Wann hat Science-Fiction eigentlich den Optimismus verloren, die Zukunft werde besser als die Gegenwart?
Als das Hoffnungsversprechen früherer Generationen, ihren Kindern werde es besser gehen, nicht mehr einlösbar schien. Und das wiederum hat viel mit Individualismus zu tun. Während wir lang daran geglaubt haben, die Gesellschaft profitiere kollektiv vom Fortschritt, arbeiten jetzt alle am eigenen Ego – Menschen genauso wie Staaten. Dieser Perspektivwechsel wirft uns als soziale Wesen zurück. Science-Fiction spiegelt das nur wider und macht aus Utopien Dystopien.
Als logische Fortsetzung der Gegenwart oder versponnene Vision?
Ersteres. Das Bedürfnis, unsere Existenz wie in „Exit“ für die Ewigkeit zu speichern, also virtuell nach dem Tod weiterzuleben, ist doch nur die logische Fortsetzung unseres Daueraufenthaltes im Netz. Ewiges Leben ist seit jeher ein Menschheitstraum, wenn es technisch möglich wird, machen wir das auch.
Würden Sie Ihre Eltern nach deren Tod auch in die Cloud hochladen und als Hologramme am Leben erhalten?
Zum jetzigen Zeitpunkt nicht, sonst wäre ich vermutlich ein anderer, als ich es bin. Vielleicht ändert sich meine Sicht mit den Möglichkeiten, aber ich möchte mal sterben, wenn es so weit ist. Die Endlichkeit des Lebens ist schon deshalb wichtig, weil sie allem erst einen Wert gibt.
Wobei Sie der Nachwelt ein schauspielerisches Erbe hinterlassen, das Normalsterblichen verwehrt bleibt.
Zu dem aber auch jeder schlechte Film gehört (lacht). Kaum ein Schauspieler hinterlässt ausschließlich Wertgegenstände, an die sich alle Welt gerne erinnert.
Immer noch besser, als spurlos zu verschwinden, oder?
In Zeiten sozialer Medien stirbt diese Spurlosigkeit buchstäblich aus. Was passiert mit unseren Accounts bei Facebook und Insta? Die existieren weiter. Unsere Eltern hinterlassen keinen digitalen Fußabdruck, wir schon. Und was für einen!
Zumal Ihre Filmkarriere mit diesem Thema 2012 erst Fahrt aufgenommen hat.
„Add a Friend“ meinen Sie?
Wird man nach so einer Serie um die Kommunikation der Millennials automatisch zum Digital Native vom Dienst?
Weil ich in „Add a Friend“ nicht der härteste Computer-Nerd war, konnte ich danach völlig andere Sachen spielen. Sie haben natürlich recht: In der Filmbranche hatte dieses Muster lange Bestand. Einmal Kommissar, immer Kommissar.
Haben Sie vor sechs Jahren mit dem Abschied nach nur zwei Einsätzen vom Erfurter „Tatort“ gewissermaßen vorgebeugt?
Nein, schon weil dieser Automatismus ein bisschen von gestern ist. Heute kann man sich viel leichter von Rollenklischees lösen. Deshalb habe ich die Entscheidung zum Aufhören so wenig bereut wie die zum Mitmachen – auch wenn ich den „Tatort“ nur noch selten sehe.
Was und vor allem: wie sehen Sie denn sonst so fern?
Mein Medienkonsum wandelt sich ständig. Jetzt gerade kaufe ich mir alte Achtziger-Serien auf DVD, weil die nirgends zu sehen sind. Aber mein Tablet ist mit allen Streamingdiensten voll ausgestattet. Das ist zwar auch beruflich bedingt, zeugt aber vom Problem meiner Generation, sich auf Langfilme einzulassen. Ich kann ja kaum noch zählen, wie viele Serien ich begonnen und während der ersten Folge beendet habe.
Bleibt da noch Zeit für lineares Programm?
Die „Tagesschau“ gucke ich regelmäßig, und hinterher – ob Sie’s glauben oder nicht – auch mal einen seichten Fernsehfilm. Auch, um bestimmte Kollegen oder Regisseure zu sehen, oder generell was die Branche so macht. Oder um mich einfach mal berieseln zu lassen.
Jan Freitag