Erster "Tatort" der neuen Saison: Hart wie Crystal
Der „Tatort“ ist zurück aus der Sommerpause. Die neue Folge "Paradies" spielt in Österreich. Die Kommissare Eisner und Fellner entdecken die kriminellen Karrierechancen der verarmenden Alten.
Früher, als alles sowieso besser war, sollten Greisin und Greis sich fromm und bescheiden auf die Reise ins Jenseits und von dort vielleicht ins Paradies vorbereiten. Heute wird der Abflug vorverlegt: Erst das Paradies im Hier und Jetzt, dann – mal sehen. Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die bei ihrem Mordkommissionskollegen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) als Problemfall einstieg, nun aber zum Objekt seiner Zuneigung geworden ist, will – im ersten „Tatort“ nach der langen Sommerpause – allein in den Urlaub, aber die knochige Hand des Schicksals hält sie zurück. Der Vater liege im Sterben, teilt ihr das Heim in der Steiermark übers Handy mit. Sie hasst eigentlich den alten Erzeuger, der sie einst mit seiner Lieblosigkeit in die Alkoholsucht getrieben hatte und aus der sie sich, wie wir als Zuschauer erlebt haben, mühsam zu befreien versucht. Dann aber sitzt sie doch am Steuer ihrer Sport-Chaise Richtung Altenheim, Richtung Sterben, Richtung Erinnerung an eine Kindheitshölle, und der treue Moritz begleitet sie.
Der alte Vater, der sein Gasthaus versoffen hat und völlig mittellos erscheint, stirbt, ohne dass er sich mit seiner Tochter ausspricht. Aber dann findet Bibi einen an sie adressierten Brief, in dem sich über 30 000 Euro finden. Das Kripo-Duo Fellner und Eisner beginnen sich für die Umgebung des Vaters ex officio zu interessieren. Mit dem Heim stimmt was nicht.
Bis heraus ist, dass die Senioren in einen organisierten Drogenschmuggel wissentlich oder unwissentlich einbezogen sind, vergehen hoch vergnügliche Krimizeiten. Austrias kunstvoller Umgang mit dem Nebeneinander von Tragik und Komödie entfaltet sich unwiderstehlich. Ohne Klamauk, ohne Tränendrüse präsentiert sich vor Bibis und Moritz’ verwunderten Augen ein verarmtes Alter, das voller Gier und Skrupel nach dem irdischen Paradies strebt, anstatt voller Bescheidenheit auf das selig Ende zu warten.
An der Spitze der gierigen Gerontengauner steht der Unternehmer Paul (Peter Weck), der sich selbst ausgetrickst hat und nun an seiner Befreiung aus dem Heimknast arbeitet. Einst hatte er seiner Tochter all seinen Besitz überschrieben und einen Neustart gewagt. Das ging schief, und der silberlockige Paul gibt sich nicht damit zufrieden, dass das ärmliche Heim sein letzter Wohnort sein wird. Für ältere Zuschauer ist es nicht unkomisch, ausgerechnet aus dem Munde Wecks, der einst als Schauspieler in der Serie „Ich heirate eine Familie“ an die Seite von Thekla Carole Wied drängte, nun die Schimpfkanonade auf das heilige Institut zu hören. Paul ist dennoch sicher, nicht der arme Augustin zu bleiben, für den alles hin ist.
Crystal Meth, gegen Kopfschmerzen nicht zu empfehlen
Eisner und Fellner bekommen heraus, dass die Alten einmal die Woche unter strenger Kontrolle ziemlich kriminell aussehender Begleiter ins nahe gelegene Ungarn mit dem Bus fahren und dort aus der Apotheke Medikamente abholen – scheinbar ein vollkommen unverdächtiger Akt, denn Pillen sind in Ungarn deutlich billiger als in Österreich. Doch wenn man entdeckt, was in den Kopfwehtabletten wirklich drin ist, verfliegt die Unschuldsvermutung: Crystal Meth, die gefährliche Designerdroge.
Drehbuchautor Uli Brée und Regisseur Harald Sicheritz behalten den ganzen Film über bis zum bittersüßen Ende eine heitere Lakonie bei, brechen an keiner Stelle in moraline Erregung aus, sondern blicken mit ethnologischer Heiterkeit auf die unerzogenen neuen Alten.
Eine wunderbare Erfindung dieses „Tatort“ ist der Polizistenpensionär Reinhard Sommer (Branko Samarovski). Die Ermittler Bibi und Moritz schleusen ihn als Undercoveragenten zu den betagten Drogenkurieren ein. Diesem Sommer macht der Einsatz Spaß, erlöst er ihn schließlich aus Diät, Abstinenz und Kur-Ödnis. Elegant gabelt der Ausgehungerte seinen Auftraggebern die Schnitzel vom Teller. Skrupellos schleicht er sich bei seinem Zimmernachbarn, dem von Weck gespielten Unternehmer, mit Wagnerkenntnissen in dessen Vertrauen. Und als der Polizeispitzel, vom skrupellosen, die Alten bewachenden Gangsteraufpasser – auf dem Pissoir „beim Prunzen“ niedergeschlagen – aus dem Koma erwacht, gilt seine erste Sorge nicht dem vielleicht nahen Paradies im Jenseits, sondern seinem Beinkleid: Die Trevira-Hose sei „eingeschifft“ und auf „ewig belastet“. Unsentimentaler Realismus, statt altersgerechte Frömmigkeit.
So sind sie, die neuen Alten, in diesem lässig weisen Paradise-Now-„Tatort“: Diesseitig, entschlossen, gar nicht lebensmüde. Nehmt euch in Acht, ihr Jüngeren.
„Tatort: Paradies“, Sonntag, 20 Uhr 15, ARD
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