"Tatort"-Kommissare und ihre Namen: Hämmerchen und Hammermann
Sie heißen Thiel und Boerne, Leitmayr, Schimanski. Doch wie kommen „Tatort“-Kommissare und andere TV-Ermittler eigentlich zu ihren Namen? Und: Was tun, wenn man „Nachtgeschirr“ heißt?
Kurz nachdem Claus Theo Gärtner begonnen hatte, in der ZDF-Krimiserie „Ein Fall für zwei“ Privatdetektiv Josef Matula zu spielen, bekam er Post. Ihn erreichte ein Brief aus Österreich; aus Wien, um genau zu sein. Einem Universitätsprofessor kam Matulas Nachname doch arg unpassend vor. Er machte Gärtner dezent darauf aufmerksam, dass er unter dem lateinischen Begriff für „Nachtgeschirr“ ermittle.
Serienfiguren und ihre Namen: Manche brennen sich wie Marken in das Gedächtnis der Zuschauer ein. Matula. Schimanski. Thiel und Boerne. Falls der Schöpfer einer Figur aber nicht bereits ganz zu Beginn einen Geistesblitz in Sachen Namensgebung hat, zerbrechen sich oft ganze Autorenteams die Köpfe über der Figurentaufe. Denn besonders der Name ist ausschlaggebend für den Erfolg einer Serienfigur - glaubt man zumindest in der Fernsehbranche. Er muss passen; zur Region, in der die Serie spielt; zum sozialen Umfeld, zum Charakter der dargestellten Person. „Namen sind nicht einfach nur Schall und Rauch“, sagt Stephanie Heckner, die beim Bayerischen Rundfunk unter anderem für die Namensgebung der „Tatort“-Kommissare zuständig ist. „Namen sind in kleiner Dimension persönlichkeitsstiftend“.
Serienfiguren brauchen Namen, die auf den Zuschauer authentisch wirken
Die beiden Münchner „Tatort“-Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) bekamen ihre Namen bereits Anfang der 90er von der mittlerweile verstorbenen BR-Redakteurin Silvia Koller. Leitmayr sollte einen urbayrischen Namen tragen – daher das „Mayr“. Natürlich hätte er deshalb traditionsbedingt auch Ober- oder Mittermayr heißen können. Das „Leit“ bekam er vorangestellt, weil er ein leitender Ermittler ist. Der Name seines Kollegen Batic stammt ursprünglich aus dem Kroatischen und bedeutet übersetzt „Hämmerchen“. Damit wollte Koller den Charakter des Ermittlers unterstreichen. Leitmayr und Batic, unterschiedlicher geht es kaum: Das sollte sich bereits in den Namen der Kommissare widerspiegeln. Dass der neue Münchner Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) heißt, ist aber keine Anspielung auf „Hämmerchen“ Batic. Den Namen Kalli Hammermann erfand Autor Max Färberböck für die „Tatort“-Folge „Am Ende des Flurs“, in der Assistent Kalli seinen ersten Auftritt hatte. Der Vorname „Kalli“ sollte an den langjährigen und altgedienten Münchner „Tatort“-Assistenten Carlo Menzinger (Michael Fitz) erinnern. Mit dem wuchtigen Nachnamen „Hammermann“ wollte Autor Färberböck den nett wirkenden „Kalli“ kontrastieren. Hämmerchen und Hammermann: alles purer Zufall. Heißt es aus dem BR.
Namenssuche für den neuen "Franken"-Tatort: Erfolg auf Umwegen
Für die Namen des neuen „Franken-Tatort“-Teams hat man sich im Münchner Funkhaus doch länger Gedanken gemacht: Die Hauptkommissare sollen Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) heißen. Zu Beginn waren zunächst die „nicht auftrumpfenden“ Namen „Konrad Wagner“ und „Paula Wiesner“ für das Duo im Gespräch. Aber wie das so ist: „Im kreativen Prozess ist manches noch im Fluss“, so Stephanie Heckner. Von den ursprünglichen Vorschlägen hat nur Kommissarin Ringelhahn einen der alten Vornamen behalten.
Als Leiter der Spurensicherung sollte ursprünglich Klaus Dieter Schatz (Frank-Markus Barwasser) fungieren. Barwasser trägt ja auch im realen Leben zwei Vornamen; für den „Tatort“ wollte man sie ihm nicht abspenstig machen. Lediglich der Bindestrich fiel weg. Und der Nachname Schatz passe ja auch irgendwie zu Kabarettist und Schauspieler Barwasser: „Er ist ohne Zweifel ein großer Schatz für Franken“. Pech nur, dass Barwasser wegen Terminschwierigkeiten für den ersten „Franken-Tatort“ unter dem Titel „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ ausfällt. Für ihn übernahm kurzfristig der gebürtige Nürnberger Matthias Egersdörfer – der in der ersten Folge nun allerdings als „Michael Schatz“ Spuren sichert. Immerhin: Auch Egersdörfer ist Franke.
Komplettiert wird das neue, fränkische „Tatort“-Quartett von Kommissarin Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid). Auf höchst verwirrenden Pfaden kamen die Autoren durch Kombination von Barwasser, Wasserscheid und dem „Schatz“-Gedanken schließlich auf „Goldwasser“. Ein Name, der dem kreativen Fluss standhielt.
Schimanski ist nach einem raubeinigen Fußballspieler benannt
Auch der wohl berühmteste aller „Tatort“-Kommissare, Horst Schimanski (Götz George), hat seinen Namen nicht von ungefähr. Der Legende nach ließ sich Drehbuchautor Martin Gies Anfang der Achtziger von Fußballer Horst Szymaniak zu „Schimmi“ inspirieren. Szymaniak war einer der letzten international erfolgreichen Fußballspieler aus dem Bergarbeitermilieu. Auf dem Platz ging er nicht zwingend zimperlich zu Werk; fast genauso raubeinig rüpelte sich später George als Schimanski durch seine Ermittlungen. Wobei der Name Schimanski auch aus historischen Gründen gut in die Umgebung passte. Er ist polnischen Ursprungs und verbreitete sich im Ruhrgebiet, nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt sogenannte „preußische Polen“ auf Arbeitssuche nach Duisburg und Dortmund gezogen waren. Ebenso wie „Leitmayr“ phonetisch nach Bayern gehört, ist „Schimanski“ also dem Klang zufolge traditionell im Ruhrgebiet zu Hause. Und wirkt deshalb authentisch auf das Publikum.
Bei anderen Ermittlern ist die Namensgebung schwerer nachzuvollziehen. Sie wurden bereits vor Jahrzehnten getauft. Wer warum die Idee dazu hatte, ist unbekannt oder vergessen. Etwa bei den Kölner „Tatort“-Kommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Alfred „Freddy“ Schenk (Dietmar Bär). Von Ballauf weiß man nur, dass sein Name über dreißig Jahre alt ist und aus Zeiten stammt, in denen er noch in Düsseldorf ermittelte. Erst im Laufe seiner „Tatort“-Jahre wurde er – der TV-Legende nach – inklusive Namen nach Köln versetzt. Sein Kollege Schenk sollte als Kontrast zu Ballaufs lautmalerischem Namen ganz gewöhnlich heißen. Schenk: Ein Normalo-Name; trotzdem kurz, bündig und hart. Ähnliche Gründe hatte die Namensgebung des Münsteraner „Tatort“-Duos Frank Thiel (Axel Prahl) und Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers). Während Boerne klangvoll nach dem revolutionären, jüdischen Dichter Ludwig Börne benannt wurde, muss sich Thiel mit einem simplen, einsilbigen Namen zufriedengeben. Quasi als phonetisches Kontrastprogramm.
Senta Berger verbot sich von vornherein "alberne Rollennamen"
Doch auch der durchdachteste Name nützt nichts, wenn sich der Schauspieler, der ihn mit Leben füllen soll, nicht mit ihm anfreunden kann. In der Regel wird den Darstellern großes Mitspracherecht gewährt, was den Namen ihrer Figur angeht. Immerhin handelt es sich um Rollen, die sie bestenfalls jahrzehntelang verkörpern sollen. Senta Berger verbat sich daher in den Verhandlungen zur ZDF-Serie „Unter Verdacht“ von vornherein „alberne Rollennamen“ wie „Rosa Roth“ oder „Bella Block“ – Synonyme, unter denen ihre Kolleginnen Iris Berben und Hannelore Hoger ermittelten. Berger bekam also Eva-Maria Prohacek auf den Leib geschrieben; sehr zu ihrer Freude frei von gewollten Alliterationen. Auch Veronica Ferres haderte zunächst mit ihrer ZDF-Rolle als evangelische Pastorin „Lena Fauch“: „Das klingt ja wie die Raubkatze vom Dienst!“ war ihre erste Reaktion. Mittlerweile hat sie sich aber mit ihrem Ermittlernamen arrangiert.
Durchgesetzt hat sich bei der Namensgebung beispielsweise auch Til Schweiger, der im Hamburger „Tatort“ eigentlich als „Nick Tschauder“ ermitteln sollte. Wegen Missfallen wurde die Figur in „Nick Tschiller“ umbenannt. Ein weniger glückliches Händchen bei der Namensfindung hatte dagegen Schauspielerin Margarita Broich, die ihre Kommissarin im Frankfurter „Tatort“ Selma Jacobi nennen wollte. Selma Jacobi war der Name einer Jüdin, die noch als Greisin von den Nazis ins KZ Theresienstadt verschleppt und ermordet wurde. Broich hatte sich von einem Berliner Stolperstein inspirieren lassen. Nach harscher Kritik der jüdischen Gemeinde musste sie allerdings zurückrudern.
Claus Theo Gärtner wiederum war nach dem Brief des österreichischen Professors zunächst doch etwas konsterniert. Die sanitäre Bedeutung seines Rollennamens war ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen. Nach etlichen Recherchen stellte er aber fest, dass „Matula“ dennoch ein durchaus verbreiteter Name ist – insbesondere in Ungarn und Finnland. Der Klang des Namens hatte Gärtner ohnehin von Beginn an gefallen. Er blieb dabei. Nachtgeschirr hin oder her.
Tatjana Kerschbaumer