Thema Migration in Talksendungen: Haben ARD und ZDF den Erfolg der AfD herbeigesendet?
Im öffentlich-rechtlichen TV wurde vor der Bundestagswahl viel über Flüchtlinge getalkt. Profitierte die AfD davon? Eine Studie gibt erste Antworten.
Als die Alternative für Deutschland (AfD) am 24. September 2017 bei der Bundestagswahl 12,6 Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen konnte, waren das Entsetzen und eine Frage groß: Wie konnte eine rechtsextreme Partei zur drittstärksten Kraft im deutschen Parlament werden?
Aus dem Set an Erklärungen ragte eine Antwort attraktiv und populär heraus – es waren die Medien, insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Politikerinnen wie Katharina Barley (SPD), Politiker wie Joachim Herrmann (CSU) kritisierten die einseitige Programmgestaltung mit Migration und Islamismus und die dadurch erfolgte Förderung des AfD-Wahlerfolges; Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, war sich sicher, dass „die mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF über die Themen Flüchtlinge und Islam“ dabei geholfen hätten, „die AfD bundestagsfähig zu machen“.
Solche Kritik, derartige Statements sind Meinungen. Die Otto Brenner Stiftung (OBS) will nun mit ihrem neuen Arbeitspapier verlässlich Auskunft geben zu der Frage: „Agenda-Setting bei ARD und ZDF?“ Haben ARD und ZDF durch ihre Themenagenda die Publikumsagenda beeinflusst – und mehr als das?
56 Sendungen vor dem Wahltag analysiert
Die Medienwissenschaftler Marc Liesching und Gabriele Hooffacker von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig haben dafür die politischen Sendungen vor der Bundestagswahl 2017 analysiert, also die 56 Wahlbeiträge, Talks, Politmagazine und Dokumentationen im Monat vor dem 24. September.
Die am stärksten eingeschaltete Sendung war das TV-Duell „Merkel gegen Schulz“ am 3. September mit 16,11 Millionen Zuschauern, das wesentlich vom Thema Migration geprägt war: Der Anteil von 30 Prozent wurde von keinem zweiten Thema übertroffen. Auch im Fokus der fünf am meisten gesehenen Sendungen zeigt sich „eine sehr starke Gewichtung des Migrationsthemas mit einem Anteil von über 20 Prozent an ihrer Gesamtsendezeit“, heißt es in der Studie.
Andere Perspektiven stellen ein anderes Bild her: Knapp zwölf Prozent Sendezeit aller politischen Sendungen im Monat vor der Bundestagswahl für das Thema „Migration“ stehen rund 15 Prozent für „Arbeit/Familie/Soziales“ und elf Prozent für „Außenpolitik“ gegenüber.
Die Studie stellt fest, sie fragt nicht, ob ARD und ZDF eine andere Verteilung hätten anstreben können/sollen/müssen. Einspruch: Welches andere Thema hat Politik, Bevölkerung und Medien damals stärker bewegt? Wäre nicht sofort starke Kritik aufgekommen, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender dessen Dimension bewusst verkleinert hätten?
Wir ändern das Wahlverhalten nicht
In diesem Zusammenhang werden auch Redakteure von Talkshows und des ARD-Magazins „Monitor“ interviewt. Betont wird das Selbstverständnis, dem Publikum Informationen zur Meinungsbildung zu liefern. „Monitor“-Chef Georg Restle geht einen Schritt weiter: „Meinungsfreiheit gibt es nicht ohne Meinung.“ Die Frage, ob Politsendungen das Wahlverhalten ändern können, wird verneint. Volker Wilms, Redaktionsleiter von „Maybrit Illner“, sagt: „Den Anspruch möchte ich auch gar nicht haben.“
Die Studie versagt sich eine einfache Antwort, also den simplen Wirkungszusammenhang zwischen Medienangebot und Wahlverhalten herzustellen: Wer über Migration berichtet, talkt und meint, der befördert automatisch die AfD und die Zustimmung zu ihrer Programmatik. Liesching und Hooffacker schreiben, „dass sich die öffentliche Meinungsbildung im Kontext einer Vielzahl von kommunikativen und interaktiven Einflüssen vollzieht“. Mediale Kommunikation gehört immer dazu, Kommunikation in sozialen Kontexten wirkt ein.
Keine Aussagen zur Themenbehandlung
So wenig die Studie über die Themengewichtung hinaus etwas über die Art und Weise der Themenbehandlung aussagt, so wenig kann sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten über das Wirkmoment urteilen – was ihren Wert nicht schmälert.
Wer über die Themen- und Programmgestaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen urteilt, dem wird die Analyse der Otto-Brenner-Stiftung Zahlen und Fakten an die Hand geben, die das bloße Meinen als viel zu volatilen Maßstab decouvrieren. Umgekehrt, wer politisches Fernsehen macht, der hat eine Verantwortung für die daraus folgenden Konsequenzen.
„Künftig wird es verstärkt darum gehen, journalistische Verantwortung auf die Reflexion der Themensetzung (...) auszudehnen, Kriterien für die immer wieder zu treffende ,Auswahl‘ in demokratischen Debatten zu entwickeln – und diese transparent zu vermitteln“, schreibt OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand.
„Agenda-Setting bei ARD und ZDF?“ Das Arbeitspapier ist ab Dienstag morgen zum Download verfügbar unter:
http://ow.ly/VxfL30oqXSq