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Titelseite der Jungen Welt vom 13. August 2011.
© Junge Welt

Wegen Danksagung zum Mauerbau: Gysi kann Boykott der "Jungen Welt" nicht durchsetzen

Für 28 Jahre Mauer hatte sich die linksradikale "Junge Welt" am 13. August bedankt. Anschließend kündigte Fraktionschef Gysi einen Anzeigenboykott an. Den wird es nicht geben.

Gregor Gysi will verhindern, dass die „Junge Welt“ Zankapfel von Genossen bleibt: Am Mittwoch setzte der Linksfraktionschef durch, dass die Fraktion in dem linksradikalen Blatt künftig nur noch in Einzelfällen Anzeigen schalten wird, vor allem mit Terminankündigungen oder Hinweisen zu Publikationen. Es werde künftig „von Fall zu Fall“ entschieden, hieß es aus der Fraktion, Serienaufträge für Reklame quasi „als Gewohnheitsrecht“ etwa mit den Konterfeis von Gysi oder anderen führenden Abgeordneten soll es künftig nicht mehr geben. Zu einem Anzeigenboykott, den Gysi noch vor Wochen in Aussicht gestellt hatte, wird es aber nicht kommen.

Die Linke hat zur „Jungen Welt“, zu DDR-Zeiten Organ der FDJ, seit Jahren ein gespaltenes Verhältnis. Für die einen gilt das vom Verfassungsschutz beobachtete Blatt mit einer Auflage von rund 17 000 Exemplaren als parteinah. Parteichefin Gesine Lötzsch schrieb dort im Januar ihren Aufsatz über „Wege zum Kommunismus“, redete bei der von der Zeitung organisierten Rosa-Luxemburg-Konferenz. Andere – vor allem die Reformer, über die dort ständig gespottet wird – machen stalinistische Tendenzen in der Zeitung aus. Sie stoßen sich unter anderem am Chefredakteur Arnold Schölzel. Er ist aus dem Westen in die DDR gezogen und hatte sich von der Stasi verpflichten lassen. In den 70er Jahren verriet er eine Gruppe oppositioneller Marxisten an der Berliner Humboldt-Universität an die Stasi – und rechtfertigte das nach der Wende damit, dass er 17 Millionen DDR-Bürger vor Verrat gerettet hätte. Die Ausgabe der Zeitung am 13. August zum 50. Jahrestag des Mauerbaus brachte für viele in der Partei das Fass zum Überlaufen. Das Blatt bedankte sich auf der Titelseite für 28 Jahre Mauer. Gysi erklärte, er habe mit der Zeitung „schon lange nichts mehr am Hut“, materielle Unterstützung dürfe es jetzt nicht mehr geben.

So konsequent konnte sich Gysi in der Fraktion nicht durchsetzen. Abgeordnete des linken Flügels, unter ihnen Sahra Wagenknecht und Ulla Jelpke, sammelten Unterschriften gegen einen Boykott. Jelpke war vor Jahren Innenpolitikchefin der Zeitung. 30 der 76 Abgeordneten schlossen sich binnen weniger Tage an. Deren Argument: Das Titelblatt vom 13. August sei zwar „unhistorisch, unpassend und geschmacklos“. Doch wäre es „geradezu absurd“, auf die „Junge Welt“ als „Bestandteil einer insgesamt nicht sehr großen linken Medienlandschaft“ zu verzichten. Demonstrativ schalteten Linken-Abgeordnete Einzelanzeigen in der Zeitung. Ex-Parteichef Oskar Lafontaine spielte die Mauer-Ausgabe als „Satire“ herunter. Gysi drohte eine Abstimmungsniederlage.

Die wurde am Mittwoch vermieden. Gegenüber saßen sich bei Gysi die West-Abgeordneten Sevim Dagdelen und Heike Hänsel als Fans der „Jungen Welt“ sowie Parlamentsvizepräsidentin Petra Pau und Rosemarie Hein aus Sachsen-Anhalt für die Gegenseite. „Es gibt einen Kompromiss, der von allen akzeptiert worden ist“, berichtete Fraktionsvize Ulrich Maurer, der für die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion verantwortlich zeichnet. Geht es nach Gysi, ist damit nun beim Thema „Junge Welt“ wieder Ruhe: Die Abstimmung in der Fraktion wurde erstmal abgeblasen.

Matthias Meisner

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