Interview mit Serdar Somuncu: „Greta ist gar kein so weiches Ziel“
Serdar Somuncu über Dieter Nuhr, Liebe und Hass, hybride Talkshows und die Verantwortung des Kabarettisten.
Herr Somuncu, sind Sie noch wütend?
Nein, wieso?
n-tv hat Ihre Talkshow „So! Muncu!“ im Dezember fast klammheimlich eingestellt.
Naja, ich wusste es schon ein bisschen früher. Klar ist meine Eitelkeit, mein Ehrgeiz getroffen. Es passte alles. Die Quoten waren super, Grimme-Preis und Fernsehpreis-Nominierung.
Der Sender sagte, das Format war „toll, einzigartig, ungewöhnlich“. Ein merkwürdiger Grund, um aufzuhören. Man wollte ein junges Format, das verrückter sein darf.
Der Sender trifft seine Entscheidungen. Mein Produzent Friedrich Küppersbusch und ich haben uns kurz gewundert, dann gesagt: Okay, nach vorne schauen.
Worauf sind Sie bei dem Format stolz? Was sollte man von dem Talk mitnehmen?
Wir hatten ja die Politiker der ersten Riege, Bartsch, Özdemir, sogar Leute von der CSU, CDU. Sie haben Sachen gesagt, die sie woanders nicht gesagt haben…
Der dekonstruktive Talk-Ansatz à la Schlingensief war schon gewöhnungsbedürftig.
Wir wollten mit der Talkshow-Tradition brechen: mit einem Hybrid aus Theater-Inszenierung und Scheingespräch. Dabei musste ich in die Rolle des Clowns und des investigativen Journalisten schlüpfen. Das führte dazu, dass sich AfD-Mann Brandner decouvriert hat. Dietmar Bartsch sagte, wir verlieren die Wahl, wenn wir die Wahrheit sagen. Das ist doch heftig. Aber klar, wir waren sehr crazy zum Teil, tanzten auf den Tischen.
Nicht in der finalen Ausgabe. Da haben Sie einen auf Reinhold Beckmann gemacht. Zweier-Gespräche, ohne Publikum. Nichts Verrücktes.
Küppersbusch hat die Sendung stets vorbereitet ohne Ende, ich bin tags vorher angekommen und habe gesagt: Das mache ich anders. Das hatte dadurch ja seinen Reiz. In der letzten Ausgabe wollten wir den Leuten, die „So! Muncu!“ vielleicht nie verstanden haben, zeigen, dass wir sie auch ganz anders hätten machen können. Mit traurigem Abgang am Ende.
Sind Sie Melancholiker?
Sind wir doch alle.
Das Format könnte ja woanders weiter laufen, Pro7, ZDFneo...
Tele5-Chef Blasberg ist im Grunde der Einzige in der Branche, der die Eier hat zu sagen: Wir machen das mit Somuncu. Natürlich würde ich gerne im linearen Fernsehen eine Sendung haben, in der ich tun und lassen kann, was ich will.
Klingt verzweifelt.
Bin ich nicht. Manchmal komme ich mir vor wie ein Rennpferd im Stall, das nur einen Klapps auf den Arsch braucht, um loszurennen.
Woher soll der Klapps nun kommen? Von Küppersbusch nicht.
Mein Standbein bleibt die Bühne. 17 neue Shows ab Mitte Februar, fast alle ausverkauft. Ich bin zwar nicht Mario Barth, aber das kann sich sehen lassen.
Ihr Tour-Programm heißt „GröHaZ – Der größte Hassias aller Zeiten“. Warum wollen Sie auf der Bühne wieder Hassprediger sein? Wir haben genug Hass in der Welt.
Darüber denke ich gerade nach. Ich habe diesen Punkt im Visier, nachdem ich in den vergangenen Jahren dieses Label vermarktet habe: auf die Bühne zu gehen und erst mal alle zu beleidigen.
Ich bin der Hass!
Genau. Das haben viele junge Künstler entdeckt. Das wurde fast inflationär. Die Absicht dahinter verschwamm. Die Frage ist: Warum beleidigst du jemanden? Wer ist der Gegner, was das Ziel?
Und?
Bei mir immer: keine weichen Ziele. Niemand, der sich nicht wehren kann.
Greta Thunberg zum Beispiel.
Warum denn nicht? Ich finde das Gelaber über Dieter Nuhr schrecklich. Ein Kabarettist hat das Recht, anderer Meinung zu sein als sein Publikum, ohne verunglimpft zu werden. Im Übrigen ist Greta gar kein so weiches Ziel. Die Leute, die hinter ihr stehen, sind ein sehr hartes Ziel. Ich wehre mich gegen die Oberflächlichkeit, die durch die Figur Greta Thunberg repräsentiert wird. Brauche ich nicht mehr Kenntnis als nur eine Sympathie für ein jetzt 17-jähriges Mädchen, um zu wissen, wie ich das Klimaproblem bewältige? Da hapert’s bei vielen.
Konkreter bitte.
Die Leute, die im Hambacher Forst demonstrieren und dazu twittern, laden ihr Handyakku mit Strom von RWE auf.
Fliegen Sie? Fahren Sie Auto? Essen Sie Fleisch?
Ja, ja und ja. Sehen Sie, auch wir Kabarettisten haben mittlerweile eine gewachsene Verantwortung. Ob das jetzt Martin Sonneborn ist, der weg muss von der Simulation eines Politikers zur realen Politik, oder Böhmermann, der mit seiner Show Einfluss nimmt auf politisches Geschehen. Wir müssen aus der Deckung raus und sagen, warum wir das machen, auf welchem Fundament wir stehen.
Ihr Fundament waren mal Textstellen aus Hitlers „Mein Kampf“, die Sie auf der Bühne vorgetragen haben.
Ja, von Anfang an diese Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Texten, meine Frage: Wie entsteht Ideologie? Wie kann sie in uns stattfinden?
Ihre Erklärung?
Indem wir Dinge glauben und adaptieren, ohne sie zu wissen. Das habe ich anhand externer Texte veranschaulicht: Goebbels, Hitler, auch die „Bild“-Zeitung. Dann kam ich selber mit eigenen Texten dazu, bis kaum zu unterscheiden war, wer da spricht. Jetzt ist der Punkt gekommen, wo ich merke, dass dieser Gedanke verstanden, manchmal auch missinterpretiert wurde.
Woran machen Sie das fest?
Soziale Netzwerke. Mal kommt die AfD und feiert mich, dann einer, der sagt: Habt Ihr gesehen, was Somuncu sonst macht? Mal kommen Türken und loben mich: Du bist der Ausländer-Underdog, der sich gegen die Deutschen wehrt, dann klagen Sie: He, du hasst Erdogan? Das ist auch das Prinzip meines Erfolgs, dass man mich nicht einordnen kann.
Ist da zu viel Dialektik im Spiel? Einerseits die Verantwortung des Kabarettisten, andererseits dieses Fluide, crazy zu sein und bloß nicht festgelegt werden zu können.
Das kann schon sein. Kann auch sein, dass ich in eine neue Richtung steuere. Dass ich jetzt auf der Bühne abschwöre.
Jetzt wird nicht mehr gehasst?
Ja. Jetzt lieben wir mal wieder alle zu lieben. Auf meiner CD zuletzt habe ich ja schon Liebeslieder gesungen.
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