"Tatort" aus Münster: Gott als Tatverdächtiger
Auch das noch: Der Münsteraner „Tatort“ wagt sich in theologische Gefilde. Dabei bräuchte dieser Krimi, bei aller Quote, auch mal eine Auffrischung.
Gibt es Gott? Das erste Problem, das im Zusammenhang mit Gottesbeweisen zu klären ist, ist ja die Frage nach dem Beweis selber. Was ist ein Beweis? Wann soll ein Beweis als „schlüssig“ gelten? Schwierige Frage, aber wozu haben wir bei schwierigen Beweislagen den „Tatort“? Schon gerade den aus Münster, dem in seiner penetrant-gepflegten Ausgefallenheit jeder Drehbuchkniff zuzutrauen ist. Ein Mord wäre wohl ein Beweis – warum also nicht mal Gott als Tatverdächtiger im Primetime-Krimi?
Genauer gesagt: „G.O.D.“, so nennt sich der Künstler Zoltan Rajinovic, der in Münster einrückt. Dort stehen Skulpturen-Tage an, ein Kunstereignis von Weltrang. Von Rajinovics Genie lässt sich natürlich auch ein Geistesmensch wie Rechtsmediziner Boerne verzaubern, der ein Projekt erstellt hat, um sich als Meisterschüler beim lieben Gott zu bewerben.
Dann wird in einer Clown-Skulptur, als deren Urheber zunächst Rajinovic vermutet wird, ein Toter gefunden. In der Leiche steckt eine Speicherkarte, die Beweise für ein pädophiles Verbrechen enthält, von dem der Tote vor Jahren freigesprochen wurde. Weitere Leichenfunde in Münster folgen: ein strammer Nazi, der gegen Flüchtlinge wütete, tot als Friedensrichter verkleidet, ein Bio-Bauer, der Steuern hinterzogen hat, liegt leblos in einem Riesensparschwein. Alles inszeniert nach dem bekannten Serienkiller-Prinzip („Seven“!), welches unentdeckte Kriminelle symbolhaft der gerechten Strafe zuführt. Hat da der Künstler „G.O.D.“ in Westfalen wirklich Gott gespielt?
90 Minuten beim Golfspielen zugucken
Bevor alle wieder den Kopf schütteln, so weit, so verstiegen musste es ja kommen mit dem Münsteraner „Tatort“, dem Quoten-Dauerbrenner im deutschen Fernsehen – seit Jahren haben es sich hier zwölf bis 15 Millionen Zuschauer mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers und den abstrusesten Geschichten am TV-Lagerfeuer gemütlich gemacht.
„Tatort“ aus Münster, das bedeutet stets: Durchschnittstypenhafte Schlabbrigkeit, die Axel Prahl als Kommissar Frank Thiel im St.Pauli-T-Shirt an den Tag legt, gegen näselnde Überheblichkeit des Rechtsmediziners Professor Boerne, den Jan Josef Liefers bis an die Grenzen der Karikatur und darüber hinaus gedehnt hat. Das ist den „Tatort“-Münster-Fans so lieb gewonnen, das man die beiden Ermittler Sonntagabends 90 Minuten beim Golfspielen zeigen könnte, und es würde trotzdem massenweise zugeschaltet.
Gut, das ist menschlich verständlich. Der deutsche TV-Krimi-Fan will wohl Gewohnheit, straft „Tatort“-Experimente dergestalt ab, dass die ARD nach diversen kruden Ausgaben in 2017 eine Rückkehr zu mehr Betulichkeit angekündigt hat. Nur noch zwei experimentelle Episoden im Jahr soll es geben.
Der Münsteraner „Tatort“ hat sich allerdings über die Jahre in seiner scheinbar wilden Betulichkeit eingerichtet. Warum auch nicht, der permanente Quoten-Erfolg gibt ihm ja recht. Gute Regisseure, wie hier Lars Jessen, stehen Schlange.
Die Kunstwelt-Geschichte mit dem durchgeknallten Künstler, der sich „G.O.D.“ nennt (Buch: Christoph Silber und Thorsten Wettke), deutet aber an, dass sich aus der Reibung mit Kommissar Thiels ewigen „Vadder“-Geschichten, Boernes professoraler Exzentrik, der Bierruhe der kettenrauchenden Staatsanwältin (Mechthild Großmann) und der Kleinwüchsigkeit von Boernes Assistentin Alberich (ChrisTine Urspruch) deutlich mehr Funken schlagen lassen .
Lieber WDR, lieber Münsteraner „Tatort“: bitte etwas weniger Routine bei den Quotenkönigen. Die Reibereien, die sich nicht zuletzt der Exzentrik des gottgleichen Boernes verdanken, scheinen auserzählt. Für Boerne in der Meisterschule reicht es nicht. Und für den Gottesbeweis, so viel sei verraten, bei aller Überdehnung, in dem dann doch recht herkömmlich aufgelösten Serienmörderkrimi auch nicht. Da kann sich Aleksandar Jovanovic als Künstler „G.O.D.“ Zoltan noch so sehr mephistophelisch mühen.
Der „Tatort“ aus Münster braucht dringend neue Ideen, die über die, zugegeben, bewährte Formel hinausgehen. Warum nicht auch über Thiels Kollegin Nadeschda Krusenstern (Friederike Kempter), deren Rolle und Einsätze zuletzt ohnehin aufgewertet worden. Krusenstern ist die einzig Normale unter notorisch Ausgefallenen.
„Tatort: Gott ist auch nur ein Mensch“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15