zum Hauptinhalt
„Hätte ist die kleine Schwester von Heul-doch“. Der Versicherungsmann Heiko Gebhardt wird von einem Scharfschützen ermordet, ein Kriminaltechniker und Kommissarin Henni Sieland (Alwara Höfels) beugen sich über seine Leiche.
© MDR/Wiedemann & Berg

Krimi in der Versicherungsbranche: Warum der heutige Tatort erschreckend realistisch ist

Der MDR-„Tatort“ schaut der Versicherungswirtschaft auf die Finger. Die Geschichte von "Stromberg"-Erfinder Ralf Husmann hat einen sehr realen Hintergrund.

Der erste Eindruck täuscht: Dieser „Tatort“ aus Dresden ist kein Comedy-Krimi nach westfälischem Vorbild, auch wenn manche Dialoge an den schrägen Humor aus Münster erinnern. „Hätte, hätte. Hätte ist die kleine Schwester von Heul-doch“, hält Heiko Gebhardt, ein Abteilungsleiter der Versicherungsfirma Alva, einem Untergebenem entgegen, als der sich von ihm gemobbt fühlt. Der unkollegiale Vorgesetzte wird von Alexander Schubert gespielt, der nicht zuletzt durch seine Kunstfigur Albrecht Humboldt aus der „heute-show“ bekannt ist. Die Vermutung, an diesem Sonntagabend bekämen die Zuschauer der ARD anderthalb lustig-unterhaltsame KrimiStunden spendiert, wird zudem dadurch bestärkt, dass am Drehbuch neben Peter Probst auch der „Stromberg“-Erfinder Ralf Husmann beteiligt war.

Doch Dresden ist eben nicht Münster und Alexander Schubert nicht der nächste Christoph Maria Herbst. Husmann geht es vielmehr um ein ernstes Thema. Daran besteht bereits zwei Minuten später kein Zweifel mehr. Ein Scharfschütze streckt Gebhardt mit drei Schüssen nieder. „Der Tote ist Ihr Partner für Ihre Sicherheit“, witzelt zwar noch ein Kriminaltechniker in Anspielung auf den Werbeslogan der Versicherung. Doch Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach), der dieses Mal selbst in die Ermittlungen eingreift, findet das absolut nicht lustig.

Kein Mangel an Motiven

Verdächtige finden die beiden Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) en masse – sowohl innerhalb der Versicherung als auch bei den Kunden. Einer davon ist Rainer Ellgast (Arnd Klawitter), der selber gerne auf Gebhardts Stuhl gesessen hätte. Es gibt zudem eine einleuchtende Erklärung, warum es keinen Mangel an Motiven gibt. Nach einer neuen EU-Richtlinie müssen Versicherungsgesellschaften mehr Eigenkapital vorhalten. Entsprechend werden Personalkosten gesenkt und Auszahlungen an Versicherte runtergefahren. Das eine hat Auswirkungen auf die Stimmung in den Unternehmen, das andere führt zu Entscheidungen, von denen im Ernstfall ganze Existenzen abhängen. Dass muss in dieser „Tatort“-Episode der einst erfolgreiche Mittelständler Harald Böhlert (Peter Schneider) erfahren, dem die Versicherung standhaft sein Geld verweigert, trotz Rollstuhl und erwiesener Arbeitsunfähigkeit.

Tatsächlich ist die Story erschreckend realistisch. Ein Artikel des „Stern“ von April 2017 belegt die These des „Tatort“. Dass der Film fünf Monate davor bereits abgedreht war, ändert am Tatbestand nichts. „Während ich mich durch Fälle und Materialien hindurchwühlte, war ich immer wieder verblüfft über die Anstrengungen, die reiche Versicherungsgesellschaften auf sich nehmen, um kleine Leute aufs Kreuz zu legen“, zitiert der Autor aus John Grishams „Der Regenmacher“. Offensichtlich gilt das nicht nur in den USA. In Deutschland haben von 35 Versicherern nur neun anstandslos gezahlt, heißt es in dem Bericht weiter.

Ein ernstes Thema locker verpackt

Ein besonderes Problemfeld stellen dabei Berufsunfähigkeitsversicherungen dar. Tenor des „Stern“-Beitrages: Die Versicherungen finden immer einen Grund, nicht zu zahlen, zum Beispiel, weil ein Versicherungsnehmer vergessen hat, eine möglicherweise nach seiner Einschätzung vernachlässigbare Vorerkrankung anzugeben – in einem Beispielfall handelte es sich um eine Muskelverspannung im Nackenbereich. Auch lassen mitunter unscharf formulierte Verträge es im Schadensfall zu, den Versicherten immer weiter zu vertrösten. „Zeit ist die beste Freundin der Versicherungen“, heißt es im „Tatort“ treffend. Die Kunst dieses „Tatort“ liegt ohnehin eher darin, ein ernstes und trockenes Thema leicht zu verpacken.

Besonders die Deutschen lassen sich gerne gegen alle Unbilden des Lebens versichern, in der Erwartung, dass sie im Notfall nicht ohne Schutzschirm dastehen. Man darf also gespannt darauf sein, wie die Assekuranz darauf reagiert, dass der „Tatort“ Millionen von Zuschauern den Glauben daran zumindest ein bisschen nimmt.

„Tatort: Auge um Auge“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

Kurt Sagatz

Zur Startseite