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Der junge Heinz Rühmann? Oder Götz George? Schauspieler Daniel Donskoy, 27, als Trickbetrüger Maik Schäfer im Gewand eines Kirchenmannes.
© dpa

RTL-Serie "Sankt Maik": Gauner in Soutane

RTL-Serie „Sankt Maik“: Daniel Donskoy ist einer der spannendsten Newcomer im deutschen Film. Jetzt müssen nur noch bessere Formate kommen.

Ein Pfarrer steht vor seiner Gemeinde und schweigt. Im Hamsterrad der Gegenwart wäre das vielleicht ein schöner Akt der Entschleunigung. Einfach mal die Klappe halten. Herrlich! Dieser Pfarrer jedoch schweigt nicht, weil er den Seinen Ruhe gönnt. Er tut es, weil er gar kein Pfarrer ist, sondern ein Gauner, der sich als Pfarrer ausgibt. Und was macht der falsche Fuffziger im Augenblick der Erkenntnis, dass man an dieser Stelle vor diesen Menschen in diesem Ornat offenbar was sagt?

Er singt einen Gospel.

Lebensbejahendes, fast euphorisches Zeugs von Aretha Franklin, das der Trickbetrüger mit Berliner Schnauze im nordrhein-westfälischen Exil anstelle der üblichen Predigt anstimmt. Keine Frage also: Jetzt fliegt die Tarnung auf. Doch was geschieht? Alle singen mit. Die ganze, erstaunlich gut besuchte Kirche. Schließlich ist das hier nicht die Realität, es ist RTL. Und auf dessen Seriendienstag um 20 Uhr 15 nimmt man es ja mit der Wirtschaftlichkeit bekanntermaßen etwas genauer als mit der Wirklichkeit, besonders in einem Genre, das die Realität, mit Dramedy betitelt, möglichst heiter erleichtern soll.

Und das tut dieser „Sankt Maik“. Kurz vorm Gottesdienst hatte der noch die Fahrgäste einer Regionalbahn ausgeraubt und sein Schaffner-Kostüm sodann gegen die Soutane eines frisch verstorbenen Pfarrers getauscht. Mit ihr flieht der Kleinkriminelle nun ins katholische Städtchen und gibt sich als Rückkehrer von geistlicher Mission in Afrika aus – putzige Slapstick-Situationen solcher Rollenwechsel inklusive. Die haben schließlich Tradition.

Schon Heinz Rühmann schlüpfte 1944 aus dem Frack eines Schriftstellers in die Kluft des Pennälers mit einem f vorm Ei und zwei danach, ohne dass es irgendwem auffiel. Fortan reichte regelmäßig ein Deckmantel allein, um Existenzen vollumfänglich zu kopieren. Bei RTL gipfelte dieses Prinzip erst kürzlich darin, dass David Rott als „Bad Cop“ aus der Unterwelt in die Polizeiuniform des toten Bruders glitt. Derlei Wandlungen sind in jedem Filmfall glaubhaft wie ein Elefant, der sich als Porzellanladen ausgibt. Aber hey, meint Daniel Donskoy: „Wir machen kein Dokumentarfilmformat, sondern Unterhaltung für die ganze Familie.“

Sein „Sankt Maik“ mag also ohne die geringste Ahnung vom Seelsorgerberuf bemerkenswert geschmeidig durch die rheinische Provinz schlittern und dabei noch Zeit finden, sich in die Dorfpolizistin (Marie Burchard) zu verknallen. Aber im Kern gehe es bei Fiktion wie dieser ja nie um Sinn und Verstand, solange es „stimmig, also wahrhaftig“ ist. Und wie der Mittzwanziger das so sagt, wie sein ausdrucksstarkes Gesicht unterm roten Haar vor Inbrunst leuchtet, wie er das Publikum durch die Intensität seiner Ausstrahlung einzunehmen vermag. Da würde man dem Berliner sogar glauben, dass „Sankt Maik“ prima Fernsehen sei. Nur: Das ist es nicht.

Eine Bildschirmpräsenz, die es hierzulande lang nicht mehr gab

Nach Vivien Hoppes Drehbuch ersetzt „Sankt Maik“ Dramatik durch Effekthascherei und Gefühl durch Pathos. Wenn die Beweggründe des Titelhelden erklärt werden, dann mittels plumper Backflashes in dessen Jugend. Wenn er den Schuldschein der sozial schwachen Liebschaft mit aufsässigem Sohn sucht, findet er etwas, wo dick „Schuldschein“ draufsteht. Wenn Teenager reden, dann wie aus Shell-Studien abgelesen. Überhaupt ist an den ersten von zehn Folgen vieles so berechenbar, dass nur eines sehenswert ist an „Sankt Maik“: Sankt Maik.

Daniel Donskoy verfügt nämlich über eine Bildschirmpräsenz, die es hierzulande lang nicht mehr gab, vergleichbar allenfalls mit der des mittelalten Götz George als Schimanski-Debütant. Im Herbst zum Beispiel betrat, nein: enterte Donskoy das Podium einer RTL-Programmkonferenz in Hamburg. Sofort hielten alle kurz die Luft an angesichts dieser raumgreifend selbstbewussten, zugleich aber neugierig wachen Aura im Grobkaroanzug.

Er hat sie ja auch fast jedes seiner 27 Jahre geschult. Geboren in Moskau nahm ihn seine Mutter noch als Baby mit nach Berlin, wo er in geordneten Verhältnissen aufwuchs. „Die empathische Weltoffenheit meiner Eltern“, sagt Donskoy über den IT-Experten und die Innenarchitektin, „hat mich mehr geprägt als ihr Beruf“.

Als der bildschöne Hüne mit den Bernsteinaugen nach Lehr- und Praxisjahren in Tel Aviv, New York, London unlängst nach Berlin heimgekehrt ist, hatte er daher nicht nur vier Sprachen im Gepäck plus Referenzen internationaler Film- und Theaterproduktionen, sondern etwas viel Wichtigeres: Demut. Dank seiner Erziehung, gepaart mit Erfahrung, wisse er, dass man sich immer vor Augen halten müsse, wie privilegiert man eigentlich sei. Weise Worte. Die besonders für Daniel Donskoy gelten, der prädestiniert ist für ein ausgesprochen tiefes Schubfach des Fernsehens.

Er stammt aus einer ukrainisch-russischen jüdischen Familie. Das habe ihn eher kulturell als spirituell geprägt. Einmal musste er einen Israeli spielen, in der „Soko Leipzig“. Ansonsten, betont er, sei sein Portfolio angenehm variabel. „Ich wurde kürzlich morgens für eine Netflix-Serie als amerikanischer Sicherheitsoffizier gecastet, danach als SS-Offizier im besetzten Frankreich, zuletzt als schwuler Pianist.“ Um da wieder zu sich zurückzufinden pflegt er neben dem Yoga seinen Optimismus. „Weil die Welt zu traurig für noch mehr Trübsinn ist.“ In dem Punkt, sagt Daniel Donskoy, ähnelt er Sankt Maik. Nur dass er ständig was überspielen müsse, um andere zu täuschen. „Ich bin nicht Schauspieler geworden, um im Mittelpunkt zu stehen.“ Das dürfte er dennoch bald häufiger tun. Hoffentlich in besseren Serien.

„Sankt Maik“, Dienstag, RTL, 20 Uhr 15

Jan Freitag

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