Raus aus dem Abseits: Fußball wird Frauensache
Fußball ist längst keine Männerdomäne mehr. Immer mehr weibliche Fans schalten bei EM und WM ein. Gibt es in Brasilien nun einen neuen Zuschauerrekord?
Frauen und Fußball, das war früher ein beliebtes Muster für den Herrenwitz. Früher. Die Abseitsregel hat sich nämlich zu einem gleichberechtigten Problemfeld beider Geschlechter entwickelt. Was zum einen an der dynamischen Entwicklung der Regel liegt, zum anderen am Pari-Pari-Verhalten von Männern und Frauen. Die Wettbewerbe der Nationalmannschaften sind für beide zum Fernsehereignis geworden. Bei der längst sagenumwobenen Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war erst ein Unentschieden erreicht: Die sieben Spiele der Jogi-Löw-Truppe wurden im Schnitt von 11,28 Millionen Frauen und von 11,30 Millionen Männern am Fernseher verfolgt (siehe Grafik).
Die EM 2000 war der Tiefpunkt
Der Tiefpunkt der Beziehungen datiert auf die EM 2000 in den Niederlanden und in Belgien: Nur 42 Prozent Frauen, dagegen 58 Prozent Männer. Das damalige Turnier galt als Katastrophe: Nur drei Spiele der deutschen Elf, Ausscheiden nach der Vorrunde. Die Zuschauerinnen haben sofort kapiert und sich vom Sportereignis abgewandt.
Als eine Interpretation bietet sich an, dass weibliche Fans an einem Turnier umso stärker interessiert sind, je länger und je erfolgreicher die „Bundeskicker“ sich in der Konkurrenz behaupten. Könnte aber auch heißen, dass die Begeisterung der Frauen am Runden im Eckigen weniger genetisch begründet ist als ad hoc geweckt werden kann.
Den ersten Gleichstand zwischen Frauen und Männern gab es 2008
Sinkt die Zuneigung gar schon wieder? Den letzten 50:50-Gleichstand zwischen Frauen und Männern gab es bei der EM 2008 in Österreich und in der Schweiz. Bei den absoluten Zahlen lagen die weiblichen Fans mit 12,56 zu 12,54 Millionen gar knapp vorne. Seitdem wächst der Abstand zwischen den Geschlechtern wieder. Zugleich ist die Anteilnahme der Frauen gesunken. Ob der leichte Rückgang 2010 und 2012 schon ein Trend ist, wagt Stefan Geese von der ARD-Medienforschung zu bezweifeln. Seiner Beobachtung nach tendieren (vor allem jüngere) Frauen vermehrt zum gemeinschaftlichen Sehen in der Öffentlichkeit.
Public Viewing hat sich zu einer kontinuierlichen Nutzungsform bei Fußball-Großereignissen entwickelt, vor allem bei Partien der deutschen Mannschaft. Bei der EM 2012 gaben bereits 41 Prozent der Zuschauer an, sie würden die Spiele teilweise oder ausschließlich auf Fanmeilen, vor Großbildleinwänden, in der Gastronomie oder an sonstigen Außer-Haus-Orten verfolgen. Gemeinsam jubeln, gemeinsam leiden – hier wird’s Fernsehprogramm. Das Phänomen ist übrigens bei Weltmeisterschaften stärker ausgeprägt als bei Europameisterschaften.
Das „Rudelgucken“ nimmt zu
Für die Medienforschung von ARD und ZDF sind die „Public Viewer“ anders als die Zuhausegucker schwerer zu erfassen. Während Hochs und Tiefs vor dem heimischen Schirm sehr exakt gemessen werden können, sind die Außer-Haus-Nutzer nur über Befragungen zu erfassen. Neben der „Verweiblichung“ des Fußballpublikums ist auch hier ein klarer Trend zu erkennen: Das „Rudelgucken“ nimmt zu. Bei der WM 2006 sollen es bis zu 16 Millionen gewesen sein, so viele wie bei keinem Sportereignis davor und danach.
Bei der EM 2012 verfolgten rund acht Millionen Zuschauer die Begegnungen in Kneipen, Gaststätten, Hotels oder auf Fanmeilen. Bei diesem Fußballevent lagen die Marktanteile bei den Zuschauergruppen unter 50 Jahren knapp über denen der Zuschauer über 50 Jahren, der Zuspruch im Westen Deutschlands war mit 54 Prozent deutlich höher als im Osten mit 44,1 Prozent Marktanteil. Was das für die anstehende WM in Brasilien bedeutet? Sicher wird das Interesse an TV-Übertragungen groß sein. Wie groß – das weiß nur der Fernsehfußballgott. Joachim Huber