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Alles für 9,99 Euro: Flatrate killt die Kunst?

Streamingdienste bieten Filme, Bücher und Musik für wenig Geld im Abo an. Den Konsumenten kann die Flut überfordern, doch sie bietet ihm auch die Chance auf Kulturgenuss, der ihm sonst mangels Gelegenheit versagt bleibt. Ein Kommentar über das Für und Wider

Ein Kommentar von Dr. Joachim Huber

Es war einmal der Lachs ein exklusives Lebensmittel. Der Durchschnittshaushalt konnte sich den feinen Fisch nur selten leisten. Dann kamen die Discounter und mit den Discountern kamen die Lachsfarmen. Seitdem ist der Lachs ein erschwingliches Lebensmittel. Mancher Lachs schwimmt noch gegen den Strom, Millionen Lachse schwimmen im Verbraucher-Stream. Der Fisch ist – im Sinne seiner steten, preiswerten Verfügbarkeit – Flatrate geworden. Der Konsument hat das akzeptiert.

Alles wird zum Häppchen

Jetzt sind die Vergnügen von Kunst und Kultur und Entertainment dran. Netflix streamt beste Serienware für 7,99 Euro, Spotify Musik für 9,99 im Monat, Amazon kündigt eine E-Book-Flatrate für zehn Euro an. 600 000 Bücher listet der Online-Händler, mehr als 20 Millionen Musiktitel Spotify. Gewaltig sind die Kataloge, klein ist der Konsument. Die Verteilmaschine überwältigt den Menschen. Der muss reagieren, indem er ein hartes Gehirn- und Geschmackstraining absolviert. Wer sich je eine Flatrate gegönnt hat, der fühlt sich überfordert. Er wird da reinschauen, dort reinhören, hier reinlesen. Alles wird zur Probe, zum Häppchen, immer unter dem Diktat: Ich habe bezahlt, also fresse ich alles in mich hinein. Löhnen muss sich lohnen. Die horrende Auswahl ist eine Herausforderung. Wer nicht ersticken will, der muss Sensoren entwickeln, damit die Synapsen nicht kollabieren. Das kann allerdings klappen. Der Konsument hat mehr denn je die Chance, für kleines Geld seinen guten – und seinen schlechten – Geschmack zu fordern und zu fördern. Er ist frei in seiner Entscheidung. Ein hoher Wert, inkludiert in einer kleinen Flatrate.

Millionen Musiktitel zur Auswahl für 9,99 Euro im Monat. Kein Hörer auf dieser Welt ist für diese Zahl geschaffen, kein Song ist für diese Vermassung geschrieben worden. Der intellektuelle Akt des Hörers, die kreative Anstrengung des Künstlers, sie werden infam minimiert? Auch in der Flatrate bleibt die Fallhöhe gewahrt: Alles Kreative, jedes mehr oder weniger künstlerische Produkt bekommt eine weitere Plattform zum Erfolg. Schon meldet Spotify für Großbritannien nach Jahren des Verlustes erstmals schwarze Zahlen, der Umsatz ist 2013 um 42 Prozent gestiegen. Das wird die Labels und die Künstler aufhorchen lassen, das klingt – endlich – nach einer angemessenen Beteiligung, nach angemessener Dotierung.

Die „Verstreamung“ von Kunst und Kultur wird zunehmen, weil sie technisch möglich, weil sie kommerziell aussichtsreich, weil sie so praktisch ist. In dem Maße, in dem diese Faktoren auch im Kreativsektor anerkannt werden, in dem Maße werden Quantität und Qualität diffundieren. Kommt Kunst künftig von Flatrate? Nein, kommt weiterhin von Können.

Konzerte kommen nach Hause

Aber es wird nicht die schlechteste Idee sein, dass mehr Kunst zu den interessierten Konsumenten kommt. Mehr Konzerte sollten zu jenen gestreamt werden, die aus Gründen der Mobilität und der Finanzen nicht in die Philharmonie gehen können, kommerziell unverständlich, wenn nicht unverschämt ist es, dass ein Konzert von Beyonce wie immer in der Hauptstadt selbstverständlich, für die Fans in Anklam oder in Aschaffenburg fast ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Können eigentlich die Meisterwerke der bildenden Kunst gestreamt werden? Wer jetzt Nein sagt, der hat alle Kreativität schon sausen lassen. In Berlin wird der Pergamonaltar für fünf Jahre versteckt sein, die Neue Nationalgalerie schließt ihre Schätze wegen anstehender Sanierung demnächst für lange, vielleicht unabsehbare Zeit weg. Streamen heißt auch, dass Dinge nicht versteckt, nicht vergessen werden. Sichtbarkeit schafft Sicherheit, schafft Partizipation.

Angenommen, die Flatrates fördern tatsächlich eine beklagenswerte Nivellierung von Song und Schaustück, dass mit der Verfügbarkeit die Verramschung parallel geht. Dann gilt aber immer noch die stärkere Gegenannahme: Kein Stream ersetzt Aura und Faszination des Live-Erlebnisses, im Gegenteil, dieses Momentum wird massiv befördert.

Heißt: Ist der Lachs gegessen und genossen, geht es direktemang auf den Kaviar zu. Gerne im Regal.

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