Sex ist Programm: Fernsehen versus Internet: Wer hat den Längeren?
Das deutsche Fernsehen hat den Porno-Schock der Jahrtausendwende überstanden und sendet wieder ordentlich Sex. Doch das Internet droht die Programmmacher erneut zu überrumpeln.
Jungs, die zum ersten Mal eine Erektion haben oder Mädchen, bei denen die Regel einsetzt, werden selten zur Fernbedienung greifen, um eine Aufklärungssendung einzuschalten. Lieber gehen sie anonym ins Internet und bedienen sich dort an der reichen Auswahl an vor allem grafischen Elementen zum Thema Sex. Oder anders gesagt: Auch Ihr Kind schaut mit hoher Wahrscheinlichkeit harte Pornos im Netz.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Es gebe keine homogene „Generation Porno“, sagt Dagmar Hoffmann, Professorin für Medien und Kommunikation an der Universität Siegen. Eher müssten sich die Medien damit auseinandersetzen, wie sie mit der Nachfrage nach sexueller Aufklärung umgehen können. Bei der Vorstellung des Programmberichts der für den privaten Rundfunk verantwortlichen Landesmedienanstalten wurde es am Dienstagabend in Berlin also schlüpfrig. Das Oberthema der Studie für das Programmjahr 2014: Sex im Fernsehen.
Vorbei sind die Zeiten, als Hugo Egon Balder mit nackten Brüsten bei „Tutti Frutti“ Skandale auslöste und eine perfekte Marketingstrategie für die damals noch jungen Privatsender umsetzte. Die Zeiten von „Peep!“ mit Verona Feldbusch (heute Verona Pooth), in denen auf RTL2 dümmlich über Geschlechtsverkehr gequasselt wurde, sind auch nicht mehr. Im Mitternachtsprogramm von RTL und Prosieben finden sich keine Versionen mehr von „Hans Meiser“ oder „Arabella“, in denen zum Beispiel über Zoophilie (also Sex mit Hunden oder Pferden) diskutiert wird. Und TV-Richterin Barbara Salesch muss auch keine Fälle von mit Schlangengift präparierten Dildos mehr verhandeln. Dennoch haben die Programmmacher seit ungefähr drei Jahren wieder das Bedürfnis, sich differenziert und anspruchsvoll mit dem Thema Sex zu beschäftigen. Warum sind die Senderchefs wieder so erpicht auf das Thema?
Sex im Programm ist mehr als nur ein Trend
„Die Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind teilweise unverschämt“, sagt Paula Lambert. Die TV-Moderatorin und Buchautorin kritisiert die in deutschlandweit zu sehenden Plakate über Menschen, „die es nur mit Kondom machen“, als unkreativ und nicht ansprechend. Lambert präsentiert auf dem Frauensender Sixx das Format „Paula kommt – Sex und gute Nacktgeschichten“. In der Sendung spricht sie mit Ottonormalbürgerinnen über Lust und Erotik. Mal geht es um skurrile Fetische, mal um Probleme mit dem Orgasmus, mal um Schönheitsideale unter der Bettdecke. Oft steht ein nackter Mann als Dekoration im Studio. Ein Zeichen der Emanzipation. Auch wenn steife Penisse im Fernsehen weiterhin verboten sind und die Models sich beim ganzen Sex-Talk konzentrieren müssen, schlaff zu bleiben.
Manchmal geht der Anspruch, das Thema Sex im Programm zu platzieren, aber auch in die Hose. So wie bei der Nackedei-Show „Adam sucht Eva“ auf RTL, bei der nackte Menschen auf einer Insel stranden und sonst nichts weiter passiert. Das Sex-Cluster zieht sich dennoch durch die Programme und erfreut sich positiver Rückmeldung von den Zuschauern: „Viele Frauen schreiben mir, dass sie so wie ich etwas moppelig sind“, sagt Lambert. Die Moderatorin kritisiert dennoch die Mutlosigkeit einiger Verantwortlicher, im Fernsehen das Thema weiter zu drehen. Zwar sei die Diskussion um „Fifty Shades of Grey“ platt, weil das Buch an sich platt sei, aber man spüre schon, dass es dabei einen großen Bedarf nach Dialog und Aufklärung gebe.
Mit dem Zweiten funktioniert es besser... im Bett
Deswegen erinnert sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen auch wieder an die schönste Nebensache der Welt. MDR und SWR feierten große Erfolge mit der Sexualtherapeutin Ann-Marie Henning und ihrer Doku-Reihe „Make Love“, die bald im ZDF zu sehen ist. Generell denkt das Zweite, es sehe besser aus mit mehr Sex im Programm. Eine neue Erotikoffensive soll das Biedermann-Image des öffentlich-rechtlichen Senders zumindest ergänzen. Sex sells heißt es wieder in den Programmgremien.
Was das Internet zu bieten hat
Dennoch kann das Fernsehen nur bedingt gegen das Internet in Sachen Sex mithalten. Nicht nur, was die Lieferung von pornographischen Inhalten angeht. Auch in Sachen "Differenzierte Gespräche über Sex" lohnt sich ein Klick für die meisten User: „Unterhaltung, Intimität und in die Tiefe des Themas gehen, das kann das Internet bieten“, sagt Video-Blogger Jan Winter. Er ist Sexualpädagoge und Gründer des Youtube-Kanals „61 Minuten Sex“ auf dem er einem jungen Publikum sexuelle Techniken der Lust aber auch der Verhütung näher bringt. „Anspruchvolle Aufklärung in die Kamera zu senden ist schwierig“, sagt Winter. Im Internet sei ein Dialog mit den Jugendlichen möglich. Wenn nebenbei noch wichtige technische Fragen geklärt werden, wie zum Beispiel die Benutzung eines Kondoms, sei das nicht verkehrt. Auf seinem Kanal hat er mittlerweile mehr als 400 Videos zu Themen wie realistische Schwanzlängen und Körbchengrößen, den perfekten Kuss oder die besten Masturbationstipps hochgeladen. Die junge Community nimmt das Angebot dankend an, mehr als 325.000 User haben den Kanal abboniert.
„Die FAQ bei Dr. Sommer funktionieren nicht“, sagt Dagmar Hoffmann von der Universität Siegen. Jeder Mensch, vor allem jeder junge Mensch hätte ganz persönliche Fragen zu seiner Sexualität, die selten über Standardantworten geklärt werden könnten. Für Jugendliche bietet das interaktive Internet, vor allem wenn es pädagogisch begleitet wird, mit seinen Pornos aber auch seinen Aufklärungsangeboten rund um Sex eine gute Informationsquelle. Bleibt die Frage: Wer schaut dann die ganzen Sex-Sendungen im Fernsehen?