"Weissensee", die Dritte: Familien-Dämmerung
Die ARD schickt die Zuschauer in drei "Weissensee"-Doppelfolgen durch den Untergang der DDR. Wir haben schon eine Ahnung, wie es danach weitergehen könnte.
In der dritten – und letzten? – „Weissensee“-Staffel geht nicht nur die DDR unter, der „Kupfer“-Clan mit den Stasi-Aristokraten tut es auch. Grandios, wie die Autoren Friedemann Fromm und Annette Hess sowie Schauspieler von Gnaden (Jörg Hartmann, Uwe Kockisch, Florian Lukas) diese Götterdämmerung hinbekommen haben: mit kluger Melancholie, unbestechlichem Zorn und einem Schimmer Hoffnung. Wenn Thomas Manns „Buddenbrooks“ enden, sitzen die greise Lehrerin Sesemi Weichbrodt und die gealterte, an Gottes Gerechtigkeit irre gewordene Toni am Tisch und die Romanheldin stammelt: „Das Leben, wisst ihr, zerbricht so manches in uns, es lässt so manchen Glauben zuschanden werden ... ein Wiedersehen ... Wenn es so wäre ...“ Weichbrodt erhebt sich, pocht auf die Tischplatte und sagt: „Es ist so!“.
„Weissensee“, ganz ohne Gott und dessen Fügungen, ist bloß Fernsehen, aber großartiges. Die nach dieser neuen Staffel dann 18-teilige Serie hat sich wie der berühmte Roman eingelassen auf das Thema Niedergang einer Familie in einer niedergehenden Welt. Die Versuchung wäre groß, eine Figur mit einem trotzig sentimentalen Schlusswort über die Stasi, „das Schild und Schwert der Partei“ und seine tragisch tapferen Tscheckistenritter zu Wort kommen zu lassen. Aber keiner darf am Ende dieser Staffel – die Mauer gefallen, die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße gestürmt, die innerfamiliären Schurkereien aufgeklärt – ein Amen sprechen, nicht mal als Karikatur.
Das Schurkenstück Stasi als Familiengeschichte
Der Zuschauer sitzt vielmehr in den drei neuen Doppelfolgen mit am Operationstisch und sieht, wie die Konstruktion dieser unheiligen Familie beseitigt wird. Hess und Fromm zerstören – künstlerisch unbestechlich – ihre riskante, aber erstaunlich erfolgreiche Idee, das Schurkenstück Stasi als Familiengeschichte im gehobenen Ambiente zu erzählen.
Wer sich an die leutselig gefährliche Kleinbürgerlichkeit eines Erich Mielke erinnert, der war erstaunt, wie es geradezu altmodisch und soigniert am Abendbrottisch der Kupfers meistens zuging. Der Vater Hans (Uwe Kockisch) hauchte Weisheiten vor sich hin, während die wachsame Dame des Hauses, Marlene (Ruth Reinecke), die letzte mütterlich besorgte Vollhausfrau der DDR, lecker Essen servierte (Versorgungsengpässe schien es für diese Herrschaften nicht zu geben). Falk (Jörg Hartmann) – wie der Vater so der Sohn bei der Stasi, sein Raubvogelrollenvorname Programm – löffelte harmlos vor sich hin und brillierte als eloquenter Streber. Der heilige Martin (Florian Lukas), das gute schwarze Schaf der Familie, schwieg meistens. Den Karrieremantel eines Privilegierten hatte er nie anziehen wollen und bewältigte das DDR-Leben erst als einfacher Polizist und dann als Tischler.
Die Familienidylle war ein dramaturgischer Trick. Das Klinkerhaus am See war von Anfang an ein Raubritterschloss, ein Ort für das Familie-Spielen unter Geiern. Jetzt kommt der Untergang. Das große Seebeben. Welche Freude.
Wie es den Stasi-Mephisto Falk beim Mauerfall erwischt
Der verlogene Weihnachtsbaum (die wahre Internationale der Deutschen, auch seiner Kommunisten: „Alle Jahre wieder“) glimmt das letzte Mal. Traute Familie, moralisch versaute Familie. Neue Folgen und ein einziges Thema: die Quittung für die Untaten. Wie es den Stasi-Mephisto Falk beim Mauerfall erwischt, zelebriert die Serie lustvoll und mitleidlos. Da mag er noch so neunmalklug in der Normannenstraßen-Zentrale von Reformen daherreden (was bei ihm daherlügen heißt), seine „Firma“ ist bankrott. Selbst der Schein teuflischer Professionalität ist dahin. So wie Schabowski die Mauer schusselnd und nuschelnd einreißt, so hilflos und lächerlich sieht der Zuschauer in dieser Fiktion die Stasi untergehen. Ein besoffenes Wrack wie Falks Vorgesetzter Gaucke verliert die Contenance und faselt über Durchgreifen. Zum Glück drückt Falks Vater Hans die Telefongabel, als Gaucke ein Eingreifen gegen Mauerüberquerer befehlen will.
Falk, der messerscharfe Beobachter, sieht die Katastrophe für seine Truppe kommen, aber er hat den Willen nicht, den Zustand zu ändern. Ideologie, da hat Habermas recht, beruht auf der „systematischen Einschränkung der willensbildenden Kompetenz“ durch ein Weltbild. Hartmann spielt diese seelische Deformation sensationell: infantil, reueunfähig, narzisstisch größenwahnsinnig.
Klar, dass Falk auf privater Ebene sein Zerstörungswerk fortsetzt. Getrieben von Eifersucht wegen des neuen Freundes seiner Ex-Frau (Anna Loos), ein Pfarrer der Bürgerrechtsbewegung. Er fälscht Abschiedsbriefe, er lanciert mithilfe seiner IM Spaltpilzmaterial ins Lager der Regimegegner. Er belastet die Ex-Geliebte seines Vaters, die Sängerin Dunja Hausmann (Katrin Sass), indem er ihre IM-Verpflichtung, zu der sie gezwungen worden war, in die Öffentlichkeit spielt.
Die wachsame, aber politisch unbelehrbare Oberglucke
Diejenigen, die diesen Systemschurken großgezogen haben, Falks Eltern Hans und Marlene, sehen wir braten in der Ideologiehölle. Hans, wundervoll weinerlich von Kockisch gespielt, wandelt verdüstert durch das verklinkerte „Weissensee“-Villengefängnis. Ruth Reinecke als Mutter, die wachsame, aber politisch unbelehrbare Oberglucke, desertiert beinahe aus dem Familiendienst: Gleich nach dem Mauerfall will sie sich umbringen, wird aber gerettet. Nichts gibt es von den Eltern zu sehen, was nach Reue und innerer Umkehr aussieht. Nur Selbstmitleid, jene sehr deutsche Haltung, wenn Täter auf Opfer machen.
Einen Gewinner aber gibt es dann doch, der sich eine Zukunft verdient hat: Martin. Er erwacht aus seiner lethargischen Resignation, wird den Unfalltod seiner Frau und das Verschwinden der gemeinsamen Tochter aufklären. Er wird das Unbegreifliche begreifen, das, was diesem Abel sein gottloser Bruder Falk angetan hat, dieser Stasi-Kain mit dem Zeichen auf der glatten Stirn.
Beim Mauerfall steht Martin noch unschlüssig im allgemeinen Jubel – Florian Lukas arbeitet die Erstarrung der gequälten Figur überzeugend heraus – , dann aber schafft er, was seine Eltern nicht schaffen: die inneren Ketten zu zerbrechen und mit seiner neuen Wessi-Freundin Katja (Lisa Wagner, eine gelungene Erweiterung des „Weissensee“-Ensembles) ins Jenseits von diesem verdorbenen DDR-Eden aufzubrechen.
Von gutem Fernsehen wie diesem kann man nicht genug haben. Wird es mit Falk weitergehen, der – schon in dieser Folge zu sehen – Geld vom amerikanischen Geheimdienst annimmt und mit den Verräter-Dollars die „Weissensee“-Immobilie der Stasi abkauft? Welche Alteigentümer werden sich melden? Lebt bei Kupfers die Ostalgie auf? Stoff gäbe es, Macher Fromm macht sich bereits Gedanken über eine eventuelle Fortsetzung.
„Weissensee“; ARD, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, jeweils als Doppelfolge ab 20 Uhr 15
Nikolaus von Festenberg
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