Miroslav Nemec über 25 Jahre "Tatort": "Es gibt keine Helden, wenn die Gegner schwach sind"
Seit einem Vierteljahrhundert ermittelt er in München: Ein Gespräch über 25 Jahre Krimi, Revolutionen und "Jugos" - und was Miroslav Nemec wirklich am "Tatort" ärgert.
Herr Nemec, 72 „Tatorte“ in 25 Jahren, das ist eine ganz schöne Strecke. Hätten Sie je gedacht, dass es so weit kommen könnte?
Nein, wer denkt denn an so was? Es hätte aber auch schlimmer kommen können. Zum Beispiel nur 71 „Tatorte“.
Und kein Ende in Sicht. Klingt nach Rentenvertrag.
Lassen Sie das den BR nicht hören. Nein, im Ernst, richtige Langzeitverträge hatten wir nie.
Nach all den „Tatorten“, macht es immer noch Spaß mit Udo Wachtveitl?
Wir, also der Udo und ich, haben jede Menge Freude aneinander und an allem, was mit dem „Tatort“ zusammenhängt. Wir wohnen beim Dreh sogar zusammen in einem Wohnmobil. Da bleibt neben der Arbeit genug Zeit.
Wofür?
Für die Arbeit – Textbesprechungen und szenische Ideen.
Bei manchen „Tatort“-Duos, die schon etwas länger zusammenarbeiten, scheint sich eine gewisse Routine eingeschlichen zu haben, um es milde auszudrücken. Sehen Sie auch bei sich diese Gefahr?
Doch, doch, darüber sind wir uns sehr bewusst. Aber wenn einer von uns beiden etwas nachlassen sollte, dann ist der andere da, um ihn wieder aufzurütteln. Wir sind immer bemüht, die „Tatort“-Zeit, also alle 23 Drehtage, sinnvoll zu gestalten. Jede Szene soll etwas wert sein und etwas erzählen. Da sind wir beide sehr auf dem Quivive. Es hilft natürlich, dass Udo und ich einen ähnlichen Humor haben. Routine gibt es natürlich auch bei uns, aber eine, auf der wir aufbauen können.
Ist der „Tatort“ ein guter Rahmen für gesellschaftlich wichtige Themen?
Das war uns immer ein Anliegen. Und wenn ich „uns“ sage, dann meine ich das ganze Team, von der Redaktion über die Autoren bis zu den Schauspielern. Ich finde das beruhigend, angenehm und förderlich.
Die „Tatort“-Kommissare werden immer jünger. Wie finden Sie das?
Die jungen Kollegen haben ein Recht darauf, die Dinge anders zu sehen und anders zu machen. Was mir auffällt, ist, dass es immer mehr Frauen gibt. Zum Beispiel im ersten „Tatort“ aus Dresden. Ich fand es nicht ganz so gut, dass die Damen doch ein bisschen überaktiv waren und die Männer alle doof. Es gibt keine Helden, wenn die Gegner schwach sind. Wenn die Männer zweckdienlich doof sein müssen, ärgert mich das. Als Mann, aber auch als Schauspieler.
Da werden Sie jetzt aber einige schwer in die Macho-Abteilung einsortieren.
Drei überaktive Männer und nur doofe Frauen würden mich auch stören. Ich erzähle Ihnen jetzt mal was: Damals in Jugoslawien hatte mein Vater, der in einer Bank arbeitete, drei Frauen als Chefinnen über sich. Er hatte kein Problem damit. Ich war als Kind nur von starken Frauen umgeben: meine Großmutter war stark, meine Mutter war stark und meine Tante war stark, sie hatten zu Hause das Sagen. Starke Frauen sind nicht mein Problem.
Was hat sich in 25 Jahren „Tatort“ aus München mehr verändert: Sie, also Nemec und Wachtveitl, oder der „Tatort“?
Wir beide haben uns verändert. Und damit natürlich auch der „Tatort“. Es ist schon eine kleine Revolution, was da in 25 Jahren passiert ist. Auf jeden Fall ist das Niveau über die Jahre gestiegen.
Sind die Fälle und die Kommissare härter geworden?
Ich empfinde es als Glück, dass wir die Charaktere, die wir spielen, erweitern konnten. Es gab „Tatorte“, in denen man es uns ermöglicht hat, an unsere Grenzen zu gehen. Wie im heutigen „Tatort“.
Sie gelten als engagierter Schauspieler. Wie stark arbeiten Sie am Drehbuch mit?
Je nach Bedarf. Bei unserem allerersten „Tatort“ war das Buch nicht ganz so optimal, da mussten wir uns noch mal gemeinsam dransetzen. Daraus hat sich ergeben, dass sich keiner beschwert, wenn wir mit ein paar Ideen kommen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und macht die ganze Sache für uns noch attraktiver.
Sind Sie als Co-Autoren gefürchtet?
Es mag sein, dass wir manchmal etwas nerven. Weil wir uns nicht so schnell zufrieden geben, weil wir insistieren, wenn wir etwas wollen. Weil wir so lange suchen, bis das Optimale gefunden ist. Wir beide haben nach all den Jahren immer noch die Euphorie dafür.
Herr Nemec, Sie stammen aus Kroatien und nennen sich selbst gern mal einen „Jugo“. „Jugo“ ist aber nett gemeint, oder?
Na klar. Ich habe eine Autobiografie geschrieben, die ich „Miroslav Jugoslav“ genannt habe. So wurde ich in Freilassing genannt, wo ich aufgewachsen bin. Damals war ich ein Exot. Ich glaube, ich war zu der Zeit sogar der einzige Jugo in der Schule in Freilassing.
Wie lebt es sich damit, aus einem Land zu kommen, das es nicht mehr gibt?
Das ist manchmal wirklich traurig. Meine Tanten hatten ein Haus an der kroatischen Küste in Opatija, in dem sie gelebt haben. Da haben wir 40 Jahre lang unsere Ferien verbracht. Nach ihrem Tod habe ich das Haus für die Familie verkauft. Es wurde abgerissen. Diesen Ort gibt es nicht mehr, das ist schmerzhaft. So geht es mir manchmal auch mit meiner Ex-Heimat. Ein Beispiel: Ich habe als Kind im „Kino Partizan“ in Zagreb mit großer Begeisterung Filme aus Amerika gesehen, die wahrscheinlich in Amerika fast verboten waren. Das und vieles andere hat mich natürlich geprägt. Und manchmal vermisse ich das, ja. Ich hatte als Jugendlicher eine gute Zeit in Jugoslawien.
Wir haben gehört, Sie hätten immer einen kleinen Koffer dabei, wenn Sie reisen. Die Betonung liegt dabei auf „kleinen“.
Ich reise gern mit leichtem Gepäck, das stimmt. Am schönsten wäre es, nur mit einer Kreditkarte unterwegs sein zu können. Ich habe mich vor ein paar Jahren einfach mal in mein Auto gesetzt, bin losgefahren und im bayerischen Wald gelandet. Dann fuhr ich weiter nach Tschechien und hab mich einfach treiben lassen – die Kreditkarte war natürlich auch dabei. Das war herrlich! Und natürlich mit meiner Frau abgesprochen.
Herr Nemec, was sind Sie denn nun: Jugo, Ex-Jugo, Bayer, Deutscher?
Zu Hause bin ich sowieso nur in mir oder bei Menschen, die ich mag und die mich mögen. Länder oder Städte haben da eine geringere Bedeutung für mich. Wenn ich etwas bin, dann Europäer.
Die Neuerer lauern hinter jeder Ecke. Was darf man auf keinen Fall mit dem „Tatort“ machen?
Ihn auf 30 Minuten kürzen.
„Tatort: Mia san jetz da wo’s weh tut“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15