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Quirin (Florian Mathis) hat mitansehen müssen, wie seine Mutter erschossen und sein Vater angeschossen wurde. Er spricht kein Wort. Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) versucht den Jungen zu erreichen.
© Bernd Schuller

"Tatort" aus München: „Lauf, Schneeflöckchen, lauf“

„Einmal richtig sterben“: Ein Familiendrama, das zum Kriminalfall wird. Und bei den Protagonisten Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec einen bemerkenswerten Reifegrad zeigt.

Ella hätte sterben sollen. Der Vater, Daniel Ruppert, richete die Waffe, mit der er schon Ellas Mutter und Bruder erschossen hatte, auf sie, dann aber rief er „Lauf, Schneeflöckchen, lauf“. Und Ella (Anna Drexler) rannte los, über den Acker, weg aus diesem Leben und hinein in ein neues. Zu Emma, der Tierpflegerin im Münchner Zoo.

Zufällig steht der Vater (Harald Windisch), dessen Selbstmordversuch gescheitert ist, wieder vor ihr. Er hat eine neue Frau, einen neuen Sohn, wie Emma herausfindet. Sind beide nicht aufs Höchste gefährdet, liegt nicht eine Wiederholung der Mord- und Selbstmordtat nahe?

„Ella“, sagt Emma, „Ella hat die Sache nicht überlebt.“ Und Emma, was erlebt, was überlebt sie? Die Familientragödie kommt mit voller Wucht zu ihr zurück. Das ist eigentlich der Stoff für ein Drama und kein Stoff für einen Krimi. Doch der Münchner „Tatort: Einmal richtig sterben“ schafft den Ausgleich, schafft die Balance.

Eine tote Frau, ein schwerverletzter Mann, ein zutiefst verstörtes Kind, das ist das Bild, das sich den Kommissaren Franz Leitmayer (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) bietet. Hat Quirin (Florian Mathis) den Täter gesehen? Bevor die Kommissare auf diese Frage eine Antwort erhalten, verschwindet der Junge aus der Klinik. Als beim Schwerverletzten – es ist Daniel Ruppert – eine Narbe auf eine frühere Schusswunde weist, wachsen zwei Fälle zu einer Tragödie zusammen: der frühere erweiterte Selbstmord in der Familie Ruppert, der aktuelle Mord an der Familie Ruppert. Emma wird wieder Ella, und aus beiden wird eine Fahndungsspur.

Spezielle Farbe im Abgründigen, im Traumatischen

Claus Cornelius Fischer und Dinah Marte Golch haben das Drehbuch geschrieben. Es hat seine besonderen Stärken in der Ella/Emma-Figur, die fast alle Empathie des „Tatorts“ absorbiert, in den Rückblenden, die die Tat vor 15 Jahren und den aktuellen Fall klug in der Gegenwart zusammenführen, und in dem Faktum, dass Ermittlungsspannung geboten wird, ohne dass diese im Vordergrund steht.

Nein, dieser „Tatort“ hat seine spezielle Farbe im Abgründigen, im Traumatischen, in der Ausnahmesituation der jungen Frau, die ihren Halbbruder zu sich und mit auf die Flucht nimmt. Emmas spezielle Verbindung zu den Tieren wird bildlich (Kamera: Martin Farkas) eingefangen, die Nachtaufnahmen der Zebras, Elefanten geben Einblicke in und sind Ausdruck von Emmas Seelenwelt. Regisseur Markus Imboden setzt hier den Fokus, und es ist der Schauspielerin Anna Drexler zu danken, dass Ella/Emma die Hochs und Tiefs auffällig und auffallend gut rhythmisiert.

„Einmal richtig sterben“ ist ihr Film. Und von Harald Windisch als Vater Daniel Ruppert, zwar nur in wenigen Szenen im Bild, doch dann der emotionale Katalysator von Emmas Exposition. Regisseur Imboden sorgt sich um den Fall, wie er sich um die Figuren kümmert. Eine Einheit entsteht, dicht gewirkt, organisch bestimmt.

Altersmilde Grübchenbildung

Leitmayr und Batic haben ihren Kriminalfall, schnörkellos und geradeaus wird gefahndet. Es gibt nur zwei, drei kleinere Gagszenen, so als Wachtveitl, um die Adresse eines Verdächtigen herauszufinden, diesen über Handy anruft, sich als Mitarbeiter der Stadtwerke, der Geld per Scheck zurückzahlen will, ausgibt und so dessen Adresse erfährt. Hübsche Auflockerung in einem düsteren Szenario.

Der Münchener „Tatort“ bietet in seinen Fahndern mehr als routiniertes Granteln und altersmilde Grübchenbildung, dafür sorgen schon Assi Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner). Kaum sonst ein „Tatort“, wo quasi die nächste Generation so geschickt eingebunden wird.

Der Münchner Krimi hat mittlerweile über seine Protagonisten Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec einen bemerkenswerten Reifegrad erreicht. Wäre möglich, nur dem Ermittlerpaar zuzuschauen, wie die beiden miteinander fahnden, so viel Zwischen- und Mitmenschliches steckt in ihren Figuren Franz Leitmayr und Ivo Batic. Wäre dann kein Krimi, eine Krimikomödie wär’s. „Einmal richtig sterben“ zeigt diese Chance und diese Gefahr an – und bleibt aufseiten der Chance.

„Tatort: Einmal richtig sterben“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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