Sexismus-Talk bei Jauch: „Es geht um Verteilungskämpfe“
Günther Jauch und seine Gäste befinden zur Sexismus-Debatte: Der „Herrenwitz“ ist weniger harmlos, als es scheint. Für alle, die nun unsicher sind, welche Witze sie noch machen dürfen, gibt es aber auch eine Hilfestellung.
Angekündigt war ein vermeintlich weiches Thema, pikant bis brisant vielleicht. Alles andere als Kriegseinsätze, Energiepreise, Arbeitslose. Die Ausgangsfrage der Talkshow von Günther Jauch am Sonntagabend (ARD) lautete: „Ein Herrenwitz mit Folgen – hat Deutschland ein Sexismus-Problem?“ Verschoben hatte die Redaktion dafür die Sendung „In Gottes Namen - wie gnadenlos ist der Konzern?“ Journalistisch bewiesen Jauch und Co Gespür – seit Tagen tobt im Internet die Diskussion um die Grenzen zwischen Flirt und Übergriff, Anzüglichkeit und Kompliment in der Kommunikation zwischen Mann und Frau in unserer spätindustriellen Gesellschaft. Zehntausende bloggen und twittern zum Thema, in vielen privaten Runden tauschen Frauen einschlägige, teils haarsträubende Geschichten aus. Ganz so weich ist das Thema eben doch nicht.
Eingeladen zur Jauch-Runde war der Chefredakteur des „stern“, Thomas Osterkorn, denn sein Blatt hatte „die Lawine“, wie es hier oft hieß, ausgelöst. Eine stern-Reporterin hatte in einem Portrait des FDP-Politikers Brüderle von dessen anzüglichen Avancen zu später Stunde an einer Bar berichtet. „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“ soll der angeheiterte Politiker gestaunt haben. Osterkorn wehrte sich gegen die Unterstellung, die schlüpfrigen Szenen seien erst dann interessant für das Blatt geworden, als Brüderle zum Spitzenkandidaten seiner Partei erkoren wurde. Es sei an der Zeit, fand der Chefredakteur, dass Männer ihr Alltagsverhalten gegenüber Frauen besser reflektierten. Die Autorin selber hatte nicht bei Jauch erscheinen wollen, merkte dieser an.
Längst ist die Aufregung um Brüderle in den Hintergrund getreten, die Debatte hat sich vom Auslöser gelöst. Beweis dafür ist der Hashtag #Aufschrei auf Twitter der Kommunikationswissenschaftlerin Anne Wizorek, auf der bereits 60.000 Frauen von sexualisierten, paternalistischen oder frauenfeindlichen Belästigungen und Zumutungen am Arbeitsplatz, auf der Straße und an Schulen und Hochschulen Zeugnis abgelegt haben. Wizorek, die Jüngste im Sessel-Halbrund der Talkshow, war von der Explosion an Reaktionen so überrascht wie Osterkorn vom Echo des Artikels. Viele Männer, erklärte sie, „kennen einfach die Realität von Frauen nicht“. Es müsse sich radikal etwas ändern an der sexistischen Gesellschaft.
Wibke Bruhns spricht von Kühen und Stieren
Freimütig und mit gutwilligem Humor erzählte der Autor Hellmuth Karasek von aktuellen Auseinandersetzungen in seiner eigenen Familie über das Thema, er lerne in diesen Tagen viel dazu. Als Vorschlag zur Güte wandte er ein, bei einigen Flirtsprüchen käme es für Frauen doch sehr darauf an, von wem sie sie zu hören bekämen. Der Gedanke verursachte einen Anflug von Einigkeit. Wenig Zustimmung erhielt die frühere Moderatorin Wibke Bruhns, die sich vorübergehend in Biologismen verrannte, indem sie etwa erklärte, Männer und Frauen seien „zwei verschiedene Spezies“, so wie „Kühe und Stiere“, und auch Araber, die Frauen nicht die Hand reichen wollten, seien nun mal anders.
Ursprünglich angetreten, um das Anliegen von Anne Wizorek zu unterstützten, fiel es Silvana Koch-Mehrin (FDP) schwer, konkret zu werden. Loyal gegenüber der eigenen Partei ließ sie wissen, mit Brüderle sei sie, trotz dessen „salopper Ausdrucksweise“, stets „gut klargekommen“. Mit sachte lächelndem Verständnis begegnete ihr da die feministische Publizistin Alice Schwarzer, die selbstverständlich davon ausging, dass sich vieles eben nicht so leicht vor laufender Kamera sagen lasse.
Sicher traf Alice Schwarzer den Kern der scheinbar so plötzlich über uns hereingebrochenen Problematik. Sie gibt zu bedenken, dass die zunehmende Qualifikation von Frauen in der Arbeitswelt neue Verteilungskämpfe zwischen den Geschlechtern hervorruft. Sexistische Bemerkungen und anzügliche Gesten aber gehörten zum männlichen Versuch der Machtsicherung, womit junge, professionelle Frauen nicht gerechnet hatten. Umso größer nun deren Erwachen und Empörung.
Einig waren sich fast alle darin, dass unangebrachte Bemerkungen und unerwünschte Flirtversuche vor allem dann völlig fehl am Platz sind, wo Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnisse herrschen. Koch-Mehrin macht darauf aufmerksam, dass etwa Angela Merkel jahrelang den Spott der Presse für ihre Kleidung und Frisur hinnehmen musste, wie das nie einem Mann in ihrer Position passiert wäre. Fazit: Für sexualisierte oder indirekt auf das Geschlecht eines Gegenübers bezogene Bemerkungen taugt ein guter Test: Wie würde derselbe Satz, dieselbe Frage wirken, wenn eine Frau das zu einem Mann sagen würde?
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