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Früher mal der „Stolz von Leipzig“, ist Herbert (Peter Kurth) jetzt Türsteher, Geldeintreiber und Trainer. Und der Muskelschwund arbeitet in ihm.
© dpa

TV-Drama mit Peter Kurth: Eine Boxerpassion

Großer Glanz in der ARD-Programmnische: „Herbert“ mit dem grandiosen Peter Kurth. Nur eines stört bei diesem Film - der späte Sendetermin.

Willkommen im Ersten. Es ist Dienstag, der 29. Mai. Es ist spät, 22 Uhr 45. Es läuft „Herbert“, der Film über das Leben und Sterben eines Boxers in Leipzig. Das Beste, was seit Langem im TV zu sehen war. Der Schauspieler Peter Kurth („Babylon Berlin“) holt aus seinem Leib, was an Rausch, Rage und Ruin herausholbar ist. Ein gnadenlos ergreifendes Meisterwerk. Was hat es in der Reihe „Debüt im Ersten“ zu suchen?

Eine tätowierte Hand krampft für einen kurzen Moment unterm Wasserstrahl des Waschbeckens. Ein nicht mehr junger Schrank von Mann fährt sich mit dem Rasierer über den fast kahlen Kopf, seine starken Arme pumpen Eisenhanteln. Drogengeldeintreiber Herbert geht auf Tour durch Leipziger Spielhallen. Einen der fliegenden Händler erwischt Herbert auf dem Klo. Der Junge hat spielsüchtig Einnahmen in die Automaten gesteckt und weiß, dass es jetzt Strafe setzt. „Nicht die Hände“, jammert er. Herberts Gesicht bleibt stoisch. So sieht Gnade aus im Schweinemilieu des Drogenhandels. Die Hände bleiben vorerst ungebrochen.

Aber dieser Herbert hat auch ein moralisches Gesetz in sich. Er war aktiver Boxer, DDR-Bezirksmeister. Er bleibt Boxer auch nach dem Ende seiner Karriere. Zu Beginn des Films ist er Trainer. Er glaubt an den Trophäenhimmel über sich, in dem ein gerechter Gott des Körpers seinen Dienern gibt, was sie ihm an Trainingsleistungen darbringen. Spielen, Verstecken, Unernst gibt es in der Glaubenswelt der Muskeln nicht, nur das intelligente Funktionieren der Reflexe. Weiber, Kinder, Mitmenschen, Freiheit, Glück, Träume haben sich dem Tempeldienst des Körpers unterzuordnen. Die Schützlinge, die Herbert trainiert, fürchten und verehren den Meister.

Dann geschieht, was der große Philip Roth in seinem großen Roman „Nemesis“ über den grausamen Angriff der Kinderlähmung auf körperbegeisterte Idealisten beschrieben hat: Die Krankheit ist ein schrecklicher Todesengel, den etwas von außen den Sportberauschten schickt.

Von Engeln und wahnsinnigen Göttern ist in dem grandiosen Boxerfilm „Herbert“ nicht die Rede. Was der Leipziger Regisseur Thomas Stuber inszeniert und mit Clemens Meyer nach einer Vorlage des in Thüringen geborenen Paul Salisbury als Drehbuch geschrieben hat, besticht durch seine Beobachtungsgenauigkeit. Der erkrankende Körper tritt gegen den Tod zum letzten Boxkampf an.

Die Seele kämpft mit den Tiefschlägen des Gefühls

Vieles ist da erlaubt. Die Seele kämpft auch mit den Tiefschlägen des Gefühls, der Moribunde darf heulen, den Zuschauer heulend machen. Genregrenzen sind egal. Der Körper Herberts, von Tattoos bedeckt, geht unter, wie es sich für einen Boxer gehört: als eine ehrliche stolze Haut.

Doch die zunehmenden Schwächen lassen sich nicht mehr bedecken, wenn Herbert von ALS, er nennt die unheilbare Krankheit „Nervenkrebs“, gefällt wird. Er verliert die Gehfähigkeit, die Potenz, die Koordination, die Stimme. Zuletzt ist er eine Mumie im motorgetriebenen Liegerollstuhl. Muskeln lösen sich auf, für Trost sind sie nicht zuständig.

Herberts Seelenleben ist allerdings nicht so leicht totzukriegen. Ein Boxer fightet bis zum Schlussgong. Seine zu gesunden Zeiten verschmähte Freundin Marlene (Lina Wendel) gibt ihn nicht auf. Im schrägen Milieu der Boxwelt gibt es männerbündlerische Reste von Respekt für einen der ihren. Der Kampf um die vernachlässigte Tochter Sandra (Lena Lauzemis) und deren Tochter Ronja, der Enkelin, ist schwierig, aber nicht ganz vergeblich. Die Beziehung zum Tätowierer Specht (Reiner Schöne) lebt durch immer utopischer werdende Träume von Harley-Touren durch Amerika weiter, wenn der Sterbende mit seinem Freund auf dem motorisierten Rollstuhl über Berliner Straßen brettert.

Das alles ist ganz großes Kino mit Helden aus der Welt der Außenseiter. Eine Boxerpassion, nicht im Geist des Jammerns, sondern mit der Kraft eines ehrlichen Sports. Hochprofessionell dazu, das heißt hier: ohne ästhetischen Schnickschnack, seinem Protagonisten Peter Kurth zu Recht trauend. Allerdings durch das Rubrum „Debüt im Ersten“ und die späte Sendezeit nicht richtig ernst genommen. Ja, ja, Filmauswertung, Regeln, Prozeduren ... Warum hat keine Verantwortliche, kein Verantwortlicher in der ARD den Mut gehabt, diesen harten Film da zu platzieren, wo er hingehört: auf den 20-Uhr-15-Termin im Ersten?

„Herbert“, Dienstag, ARD, 22 Uhr 45

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