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Mit Prothese nach draußen. Nach 30 Jahren wird der angebliche Frauen- und Kindermörder Joseph Komalschek (Götz George) aus der Haft entlassen.
© ARD

Krimi mit Götz George: Ein Mann, ein Bein, ein Plan

„Besondere Schwere der Schuld“ ist ein phobischer Krimi mit Götz George. Die zentrale Frage: Was macht Schuld mit dem Menschen und seiner Seele - falls er eine hat?

„Berufsverbrecher“. Joseph Komalschek (Götz George) verstellt sich auch beim Gang ins Einwohnermeldeamt nicht. Das war er seit dem siebten Lebensjahr. Aber das war er nicht: der brutale Mörder seiner Nachbarin und ihres neugeborenen Kindes. Nie hat er diese Tat gestanden, nie wurden die Leichen gefunden. Komalschek saß trotzdem und wegen der besonderen Schwere der Schuld 30 Jahre im Gefängnis.

Jetzt kommt er raus, ein Antrag auf anschließende Sicherheitsverwahrung wurde abgelehnt. Rund um die Uhr wird die weiterhin als brandgefährlich eingeschätzte „Bestie“ von der Polizei bewacht. Ein lachhaftes, denkwürdiges und doch von besonderer Intensität durchzogenes Bild: Der alte Mann, der bei einer Schießerei ein Bein verloren hat und deshalb eine Prothese trägt, humpelt in seine alte Stadt, in seine alte Straße, verfolgt von drei fitten „Jungbullen“. Die geben sich amüsiert bis genervt, mal still, mal laut teilen sie die Empörung von Polizeirat Scherler (Wilfried Hochholdinger), der sich nur widerwillig der Anweisung „von oben“ beugt, dieses „Stück Scheiße“ zu bewachen. Das koste den Staat 100 000 Euro monatlich.

Vorhänge bewegen sich in der Siedlung der Ruhrgebietsstadt. Nervöse Hände ziehen daran. In der Straße wohnen auch die drei Polizisten, die Komalschek hinter Gitter gebracht hatten: Fritz Reet (Hans-Martin Stier), Heinz Braun (Thomas Thieme), Klaus Barner (Manfred Zapatka). Vereint in trauter Spießigkeit mit Angeln und Biertrinken in billigen Strip-Lokalen warten sie auf die neue Konfrontation. Besonders Barners Ehefrau Agnes (Hannelore Elsner) ist beunruhigt.

Was macht Schuld mit dem Mensch und seiner Seele - falls er eine hat?

Drehbuchautor Sascha Arango verrät dem Zuschauer nicht viel, doch genug, um dessen Neugierde immer wieder anzufüttern. Die Handlung fesselt sofort, geschuldet einer souverän getimten Spannungsdramaturgie. Dass die Legende vom Frauen-und-Kinder-Mörder Komalschek falsch erzählt wurde und wird, ist schon nach wenigen Momenten keine Frage mehr. Der redet so gut wie nichts, ständig repetiert er eine Frage: „Wo ist das Kind?“. Komalschek wird zum Störenfried, er verfolgt unbeirrbar einen Plan, in dessen Zentrum rasch Tom Barner, der Sohn des Ehepaars Barner, gerät. Der Kriminalbeamte und Komalschek-Überwacher (Hanno Koffler) wird misstrauisch.

„Besondere Schwere der Schuld“ ist ein phobischer Krimi. Die Konzentration auf wenige Figuren, die sich zu ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft verhalten müssen, generiert eine eminente Drucksituation. Selbst die Gartenzwerge in den Vorgärten geraten aus dem Lot. Kaspar Heidelbach als ein versierter „Tatort“-Regisseur, kalkuliert genau, wie viel ein Bild verraten darf. Zusammen mit Kameramann Daniel Koppelkamm setzt er ein Spiel mit Katz und Maus in Gang.

Gewissensnot, Panik und Berechnung

Solcher Könnerschaft der Erzählung und ihrer Inszenierung müssen die Schauspieler standhalten. Und das können sie! Wohl der Produktion, die ein Ensemble aus Elsner, George, Koffler, Thieme – you name it – versammeln kann. Versammeln muss. Denn das, was als individuelle Schuld bestraft worden ist, wird in der Gruppe ausgebreitet. Der Film will Schuldfragen nicht akademisch diskutieren, er will vorführen, wie Menschen mit Schuld umgehen, was Schuld aus ihnen macht, ob und wie sich Schuld und Sühne vertragen. Im Spiel der Protagonisten hinterlegt die Produktion die Frage nach Verantwortung, was Mensch und Seele (falls der Mensch eine hat) aushalten können.

Joseph Komalschek sind 30 Jahre seines Lebens gestohlen worden. 30 Jahre in Haft können alles in einem Menschen verschütten. Komalschek arbeitet sich aus dem Stollen seines Lebens heraus, tatsächlich, indem er in einem Bergwerk gräbt. Götz George spielt diesen „Berufsverbrecher“ mit enormer Präzision, mit der Klarheit eines Menschen, der will, dass alle, auch er selbst, die Wahrheit erkennen.

Die Verschwörungsgemeinschaft plagen Gewissensnot, Panik und Berechnung, säuberlich verteilt auf die drei Ex-Polizisten. Manfred Zapatka, Hans-Peter Stier und Thomas Thieme outrieren diese Haltungen, stimmig und punktgenau. Hanno Koffler als „Jungspund“ hält mit. „Besondere Schwere der Schuld“, das ist Arbeit und Verarbeitung, das ist Krimi und Verstörung, das ist feines Fernsehen im groben Umfeld.

„Besondere Schwere der Schuld“, ARD, Samstag, 20 Uhr 15

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