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Alter schützt vor Jugend nicht. Regisseur Cédric Rovère (Michael Lonsdale) küsst der jungen und ambitionierten Schauspielerin Gloria (Déborah François) die Hand. Ihr gemeinsamer Film ist bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig nominiert.
© Arte

Eric-Rohmer-Abend bei Arte: Ehrfurcht und Erotik

Cineastenglück: Arte zeigt einen Film über Éric Rohmer und einen Film von Éric Rohmer.

Mit ihnen prallen Welten aufeinander. Da ist einerseits der junge 27-jährige Henri Renaud (Pio Marmaï), ein angehender Jungschauspieler, der von der großen Kinokarriere träumt. Henri schwärmt von Bruce Willis und findet alles cool. Gespielt hat Henri bislang eigentlich nur in Werbeclips und Kurzfilmen. Er wartet noch auf Hollywood. Und da ist andererseits der große Regisseur Cédric Rovère (Michael Lonsdale), der in seinem 86. Lebensjahr steht, der der Mitbegründer der legendären „Nouvelle Vague“-Bewegung war, der auf eine Jahrzehnte umspannende Filmografie berühmter Meisterwerke blicken kann, darunter etwa „Frühlingserzählung“, „Wintermärchen“ oder „Pauline am Strand“. Rovère plant nun seinen nächsten Kinofilm, er trägt den Titel „Les Amours d’Astrée et de Céladon“ und basiert auf dem von Honoré d’Urfé verfassten populären Schäferroman aus dem 17. Jahrhundert. Der Zufall führt diese beiden denkbar grundverschiedenen Menschen zusammen: Da Henri bei einem Vorsprechen vorgibt, Shakespeare und andere Klassiker gespielt zu haben – was er natürlich nicht hat, nichts davon hat er je gelesen –, engagiert der Alte den Jungen. Bald schon beginnen die unkonventionellen Dreharbeiten in diesen Sommertagen des Jahres 2006, das Projekt ist unterfinanziert, alle arbeiten für wenig Geld, und Henri fällt es schwer, sich in Rovères Kosmos zurechtzufinden. Zumal sich der unbedarfte coole Möchtegernstar in Gloria (Déborah François), bereits namhafte Schauspieler-Kollegin und Hauptdarstellerin, verliebt hat. Doch mit coolen Sprüchen kommt er bei der ätherischen Aktrice nicht weiter.

"Maestro" ist eine komplexe Komödie

„Maestro“ ist als Komödie angelegt und zugleich eine recht vielschichtige Angelegenheit. Regisseurin Léa Fazer hat das von ihr und dem Schauspieler Jocelyn Quivrin verfasste Drehbuch 2014 inszeniert, und Quivrin wiederum ist es, der als Vorlage der Figur des Henri diente. Quivrin selbst spielte 2006 in Éric Rohmers „Les Amours d’Astrée et de Céladon“ mit, das, im September 2007 auf den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt und bis zur heutigen Arte-Erstausstrahlung nie in Deutschland gezeigt, schließlich zum filmischen Vermächtnis des großen Regisseurs werden soll. Éric Rohmer starb im Januar 2010, nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag. Ironie des Schicksals, dass Jocelyn Quivrin im November 2009, mit nur 30 Jahren starb.
Doch der Querverbindungen und Schicksalshaftigkeiten nicht genug: „Maestro“ ist nicht zuletzt der Film im Film im Film. Denn Léa Fazer zeichnet in ihrem Film wiederum die Genese von Rohmers realem Film nach, zeigt Cédric Rovère alias Éric Rohmer am Set bei den Dreharbeiten, wie dieser wiederum seinen Film nach Honoré d’Urfé inszeniert. Zugleich geht Regisseurin Fazer dem von Jocelyn Quivrin im Drehbuch nacherzählten Erfahrungen am Rohmer-Set nach, seiner lange unerwiderten Liebe zur Hauptdarstellerin sowie der sich intensivierenden freundschaftlichen Beziehung zwischen ihm, Henri alias Jocelyn und dem Regie-Maestro. Das Ganze ist komplex, hier und da hakt es ein wenig in dem unbedingten Bemühen Fazers, hieraus eine Komödie gestalten zu wollen, hat der reale, authentische Stoff doch durchaus Züge einer Tragödie und einer berührenden ungewöhnlichen Freundschaft.

Michael Lonsdale brilliert

Doch sind es gerade die Sequenzen zwischen dem wunderbaren, großen britisch-französischen Schauspieler Michael Lonsdale und Pio Marmaï, die den Kern von „Maestro“ ausmachen. Lonsdale – inzwischen 86-jährig, sein Markenzeichen, Vollbart und langes Haar, längst schlohweiß, noch immer durch seine Rollen in Fred Zinnemanns Politthriller „Der Schakal“ (1972) und als Bösewicht Sir Hugo Drax im vierten Roger-Moore-Bond „Moonraker“ (1979) am ehesten präsent –, Lonsdale gibt Rohmer mit großer Güte und Lebensweisheit.
Als Henri/Jocelyn wieder einmal den Versreim nicht kann, den er vor laufender Kamera zur von ihm so angehimmelten Gloria sagen soll, und Rovère/Rohmer noch einen Take und noch einen Take machen lässt, da geht der alte Regisseur schließlich zu dem jungen Schauspieler hin und fragt ihn, ob er ihm nicht vertraue. Denn er, Henri, stünde vor seiner, Rohmers, Kamera, weil er sein Vertrauen in ihn setze. Diese Worte, offen und direkt, dringen zu ihm durch.
Da ist es vorbei mit aller Coolness. Henri laufen die Tränen, vor dem Maestro, vor dem ganzen Team. Fortan bemüht er sich, zu verstehen, zu begreifen. Es ist beinahe eine Läuterung. Auch Gloria bekommt dies mit. Und Léa Fazer zeichnet diesen Handlungsstrang so einfühlsam-poetisch, als wären es Momente aus einem Film von – Éric Rohmer.

„Maestro“, Mittwoch, Arte, 20 Uhr 15; „Les Amours d’Astrée et de Céladon“, 21 Uhr 35

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