Medienwissenschaftler Michael Haller: „DuMont hat den Trend verschlafen“
Interview mit dem Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller über die Kölner Verkaufspläne und die Zukunft der gedruckten Zeitung.
Herr Haller, die Funke-Mediengruppe denkt in Thüringen über den Wegfall der gedruckten Zeitung nach, das Kölner Medienhaus DuMont möchte seine Print-Zeitungen im Paket veräußern. Wie dramatisch ist die Lage der Branche?
Für die Lokal- und Regionalpresse wird die Lage in vielen Regionen tatsächlich existenzgefährdend. Und dies aus drei Gründen. Erstens schrumpft der Anzeigenteil, der früher mehr als zwei Drittel der Einnahmen brachte. Zweitens bleiben die jüngeren Erwachsenen weg, sie finden die Lokalzeitung langweilig. Also gehen auch hier die Einnahmen massiv zurück. Und drittens wird die Zustellung der Abo-Zeitung immer teurer. Weil es immer weniger Abonnenten gibt, steigt der Vertriebsaufwand je Exemplar. Das gilt vor allem für Lokalausgaben in dünner besiedelten Gebieten.
Welches Signal geht von den Überlegungen aus? Kommt es zum Domino-Effekt?
Ich sehe das nicht so. Der Funke-Konzern hat den Glauben an die Zeitung noch nicht aufgegeben. Er investiert in sein Online-Angebot und hofft, dass er die jüngeren Leute dazu bringen wird, seine digitalen Produkte zu nutzen. Damit würden die Zustellkosten wegfallen. Bis jetzt allerdings gibt es in Deutschland noch keine Online-Lokalzeitung, die eine hohe Reichweite erzielt und rentabel ist.
Was sagt der Blick in die USA für die Entwicklung in Deutschland aus?
Für den lokalen Lesermarkt sind die USA kaum vergleichbar. Dort gab es keine Abo-Zeitungen und auch keine mit unserer Zeitungslandschaft vergleichbare Dichte. Interessanter ist Skandinavien. Dort experimentieren mehrere Zeitungsverlage seit Jahren mit digitalen Lokalmedien und erreichen das junge Publikum. Man sieht daran, dass vor allem DuMont den Trend verschlafen hat.
Wie realistisch ist es, dass die Mediengruppe DuMont ihre Zeitungstitel – darunter drei Boulevard-Blätter mit erodierender Auflage – im Paket verkaufen kann?
Das halte ich für unrealistisch. Das Modell Straßenverkaufszeitung ist von vorgestern und hat aus meiner Sicht keine Zukunft. Die „Berliner Zeitung“ wiederum hat in dem sehr schwierigen Lesermarkt Ostberlins keine Chance, den rasanten Abwärtstrend umzukehren. Interessant sind indessen der „Kölner Stadtanzeiger“ und die „Mitteldeutsche Zeitung“ mit Sitz in Halle. Beide sind in ihren Verbreitungsgebieten immer noch gut unterwegs. Ich vermute, dass die Madsack-Gruppe mit Sitz in Hannover interessiert ist. Beide Verlage kooperieren ja bereits in Gestalt der Berliner Zentralredaktion RND. Und Madsack gehört bereits die „Leipziger Volkszeitung“, die an das Gebiet der „Mitteldeutschen“ anschließt. Man kann sich hier weitere Synergien inklusive Zeitungsdruck, Marketing und Vertrieb vorstellen, auch für den Werbeträger, zumal beide Blätter in ihren Regionen Monopolstellung haben.
Wenn es zur Zerschlagung der Gruppe und zum Verkauf einzelner Titel kommt: Welche kartellrechtlichen Hürden bestehen?
Schwer zu sagen. Das Kartellamt hat ja damals die Übernahme der „Berliner Zeitung“ durch den Tagesspiegel untersagt. Doch die Gefahr der Marktbeherrschung durch einen Verlag, die abgewendet werden soll, stammt aus den analogen Zeiten. Im Printmarkt geht es nicht mehr um die Vermeidung von Meinungsmonopolen, sondern um das viel größere Problem, die Grundversorgung mit Informationen zu sichern. Dem gegenüber wird die erwünschte Meinungsvielfalt mehr und mehr durch die Vielzahl an Onlineangeboten erzeugt. Ich hoffe, dass sich das Kartellrecht diesem Wandel anpasst.
Die Journalistenorganisation DJV bewertet die Verkaufspläne von DuMont als verlegerischen Offenbarungseid. War das Management tatsächlich zu einfallslos oder sind die Aussichten zu hoffnungslos?
Es war schon vor Jahren erkennbar, dass sich DuMont ins Abseits manövriert. Im Kölner Mutterhaus fehlten die Entscheider, die für den Journalismus brennen, die zielstrebig die veralteten Printblätter umkrempeln und attraktive Onlineangebote entwickeln und konsequent im Markt halten. Das macht den Unterschied zu den anderen drei großen Zeitungskonzernen – neben Funke und Madsack auch Ippen. Dort hat man sehr spät, aber hoffentlich nicht zu spät den Trend der Zeit verstanden.
Welche Zukunft hat Print?
Das ist ein schwieriges Thema. Denn mit Ihrer Frage sprechen Sie auch die Lesekultur an. Gelingt es, die nachfolgenden Generationen, die von den visuellen Medien fasziniert sind, für die kognitive Arbeit des Lesens zu begeistern? In der gehobenen Mittelschicht ist dieses Bildungsbewusstsein noch da, wie man etwa an dem relativen Erfolg der Wochenzeitung „Die Zeit“ ablesen kann. Wichtig ist aber auch die besondere Qualität der Tageszeitung durch ihr Layout. Geübte Zeitungsleser erfassen schon beim Blick auf die Zeitungsseite, was wichtig, was bemerkenswert und was nur beiläufig ist. Und sie erkennen sofort, was ein informierender Bericht ist und was ein Kommentar. Das funktioniert beim sequenziellen Newsstream der Newsanbieter auf dem Handy nicht.
Was muss dafür getan werden?
Diese Orientierungsleistung der gedruckten Zeitung erfordert aber eine hohe journalistische Professionalität. Also das wirklich Wichtige groß machen, die eigene Meinung zurückstellen, auf Wichtigtuereien und Prophetie verzichten, gute Recherchen interessant präsentieren – und so weiter. Wenn wir qualitativ guten Zeitungsjournalismus als Maßstab an die real existierenden Lokalzeitungen anlegen, dann sieht es derzeit nicht gut aus. Der langen Rede kurzer Sinn: Die gedruckte Zeitung hat in der Zielgruppe der besser Gebildeten eine Zukunft, ja. Aber nur dann, wenn die Qualität stimmt und die Orientierungswünsche verstanden und ernst genommen werden.
Was halten Sie von Überlegungen, das Überleben der gedruckten Zeitungen durch staatliche Förderung, beispielsweise zur Aufrechterhaltung der Zeitungszustellung, zu sichern?
In den Nachbarländern Schweiz und Österreich gibt es solche Presseförderungen. Aber auch dort bestehen dieselben strukturellen Probleme. Ich fürchte, dass die physische Zustellung der Zeitung per Abo – so schön sie ist – ein Auslaufmodell darstellt. Aus dem Abonnement soll die Flatrate werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Konsumenten lernen, dass die kostbare Kulturleistung Journalismus nicht kostenlos zu haben ist. Andersherum: Solange Medienhäuser ihre journalistische Informationsleistung online verschenken, geht es mit dem Journalismus abwärts, weil seine Gegenfinanzierung fehlt.
Welche anderen Fördermöglichkeiten sind denkbar beziehungsweise sinnvoll?
Die wichtigste ist die Investition in wirklich guten Journalismus. Damit meine ich: Er muss nicht den Journalisten gefallen, sondern die vielfältigen Orientierungsbedürfnisse der Erwachsenenbevölkerung bedienen. Und wenn er dies auf unterhaltsame Weise tut: umso besser.
Das Gespräch führte Kurt Sagatz.
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