Erste Bilanz des NetzDG: Overblocking?: Digitales Hausrecht
Facebook, Google & Twitter löschen seit Januar zehntausende Hass-Beiträge. Kritiker sehen die Gefahr, dass das Löschen von rechtlich zulässigen Inhalten nicht erkannt werde.
Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen Hass im Netz haben Facebook, Google und Twitter eine erste Bilanz gezogen. Die drei großen Internetkonzerne löschten seit dem 1. Januar zehntausende Beiträge, wie sie am Freitag mitteilten.
Das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist seit Anfang des Jahres in Kraft. Es verpflichtet Betreiber sozialer Netzwerke zur Löschung etwa von Falschnachrichten und Hass-Posts.
Auf Googles Video-Plattform Youtube meldeten Nutzer und Beschwerdestellen fast 215 000 umstrittene Beiträge, davon wurden rund 58 000 gelöscht. Der Kurzbotschaftendienst Twitter erhielt fast 265 000 Beschwerden, von denen das Unternehmen knapp 29 000 aus dem Netz entfernte. Deutlich geringer sind die Zahlen beim Online-Netzwerk Facebook: Der Konzern erhielt 886 Meldungen, die sich auf 1704 Beiträge bezogen. Davon wurden 362 Beiträge gelöscht.
Dem Gesetz zufolge müssen offensichtlich rechtswidrige Inhalte in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder gesperrt werden. Ist die Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich, gilt im Grundsatz eine Sieben-Tages-Frist. Innerhalb dieser Zeit kann auch dem Urheber der gemeldeten Botschaft Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden. Kommen die Online-Konzerne den Vorgaben nicht nach, drohen ihnen Bußgelder in Millionenhöhe. Kritiker befürchten, dass deswegen eher zu viele Beiträge entfernt werden und somit die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird.
Bei Löschungen berufen sich Facebook und Google auf Community Standards
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) sprach angesichts der von den Internetkonzernen vorgelegten Zahlen von einem „Overblocking“ legaler Inhalte. Offensichtlich habe der durch die Strafandrohung bestehende Druck dazu geführt, „dass die Unternehmen viele Inhalte gelöscht haben, die eigentlich legal sind“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Sie wollen damit sichergehen, nicht nach dem NetzDG bestraft zu werden.
Bei den Löschungen berufen sich Facebook und Google auf ihre Community Standards. Darin legen sie selbst fest, was Nutzer auf ihren Plattformen teilen dürfen und räumen sich das Recht ein, auch Inhalte zu entfernen, die von den Kommunikationsfreiheiten gedeckt sind.
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„Die Bundesregierung hat mit dem NetzDG private Unternehmen zu Richtern über die Presse- und Informationsfreiheit im Netz gemacht, ohne eine öffentliche Kontrolle des Löschverfahrens sicherzustellen“, so Mihr. Eine solche unabhängige Prüfinstanz brauche es aber, um ein Overblocking, also das Löschen von rechtlich zulässigen Inhalten, zu erkennen. „Facebook und Google löschen nach eigenen Regeln, weil sie sich allein als private Unternehmen begreifen und eine Art digitales Hausrecht durchsetzen wollen. Ihre Plattformen sind jedoch ein Teil der modernen Öffentlichkeit geworden, so dass Menschen dort alles sagen können müssen, was nicht gegen Gesetze verstößt.“ Google/Youtube bietet Nutzern relativ einfach die Möglichkeit, sich auf das NetzDG zu berufen: Soll ein Video gemeldet werden, kann ein Häkchen im Formular gesetzt werden. Google prüft dann zunächst, ob das Video gegen die eigenen Community Standards verstößt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, erfolgt eine Prüfung anhand des NetzDG. Bei Facebook könne in einer Beschwerde können mehrere Inhalte gemeldet werden. Allerdings ist der Meldevorgang deutlich komplizierter, zum Beispiel müssen Nutzer die konkreten Straftaten in einem gesonderten Formular benennen. Facebook löschte 21 Prozent der nach dem NetzDG gemeldeten Inhalte. Wie viele Inhalte Facebook aufgrund eigener Standards in Deutschland löschte, ist unbekannt – es dürften jedoch um ein Vielfaches mehr sein.
Reporter ohne Grenzen sieht die Bundesregierung durch die nun veröffentlichen Zahlen in der Pflicht, das NetzDG umgehend zu korrigieren. ROG plädiert dafür, eine unabhängige Aufsicht zu schaffen, die über die Löschverfahren der Unternehmen wacht. Darin wären neben Betreibern, Justizvertretern und Strafverfolgern zum Beispiel auch „Anwälte der Nutzer“ und zivilgesellschaftliche Akteure vertreten. Der Aufsicht käme insbesondere die Rolle zu, die Verfahren der privaten Betreiber im Ganzen, also über Einzelfallentscheidungen hinaus, zu überwachen und Leitlinien für den Umgang mit Inhalten zu entwickeln, die als illegal gemeldet werden. meh/AFP