zum Hauptinhalt
Der „Tatort“ aus Münster geht immer, in der ARD-Mediathek darf er jedoch nur eine Woche nach Ausstrahlung stehen.
© WDR

Öffentlich-rechtliche Mediatheken: Die Zuschauer verstehen die Löschregeln nicht mehr

Amazon, Netflix, Maxdome - alles wird ins Netz gestreamt, bloß die Öffentlich-Rechtlichen müssen ihre Inhalte nach sieben Tagen löschen. Die Mediatheken brauchen dringend neue Regeln.

Die Mediatheken von ARD und ZDF sind für die meisten Beitragszahler ein Mysterium. Es gibt eben eine Vielzahl an Regelungen, was die Sender einstellen dürfen und was nicht – und vor allem wie lange. Zum Beispiel dürfen angekaufte Filme und Serien wie „Sherlock“ oder „Mad Men“ gar nicht auftauchen, die Öffentlich-Rechtlichen sollen den kommerziellen Markt für diese Produktionen nicht stören. Erlaubt sind nur Eigen- und Koproduktionen von ARD und ZDF. Zudem wird den Produzenten und Urhebern durch die in der Regel auf sieben Tage angelegte Verweildauer die Chance gegeben, über Zweitverwertungen weitere Erlöse zu generieren.

Diese Einschränkungen für öffentlich-rechtliche Mediatheken sind mehr als zehn Jahre alt und sie führen zu immer größerem Unmut bei den Beitragszahlern. Die Nutzung von Video-on-Demand ist selbstverständlich geworden, das Argument – wieso darf ich nicht nutzen, was ich bezahlt habe? – gewinnt an Durchschlagskraft.

Was verbindet Jan Böhmermann mit dem „Pubertier“? Sowohl das „Neo Royale Magazin“ des umtriebigen Satirikers als auch die neue TV-Serie werden zuerst im Internet und erst danach im regulären Fernsehprogramm ausgestrahlt – oder besser gesagt: in der ZDF-Mediathek online zum Abruf bereitgestellt. Während jedoch Böhmermanns TV-Show in der Mediathek nur einige Stunden vorher gezeigt wird – zur Prime Time –, geht der Mainzer Sender bei der „Pubertier“-Serie noch erheblich weiter. Sie läuft gut zwei Wochen vor der linearen TV-Ausstrahlung bereits online.

Doch warum wagt der Sender solche Experimente? Muss er nicht befürchten, durch das vorzeitige Ausspielen das eigene TV-Programm zu kannibalisieren? „Vorab“-Angebote in der Mediathek sind ein spannendes Thema. Anders als ursprünglich angenommen, nehmen sie dem Fernsehen keine Zuschauer weg, sondern sammeln zusätzliche Nutzung. Das ist belegt. Mit „Pubertier“ testen wir eine weitere Variante“, erklärte Eckart Gaddum, Leiter der Hauptredaktion Neue Medien beim ZDF, das Vorgehen.

Mediatheken haben längst eine eigenständige Rolle

Neben dem ZDF-Hauptprogramm unterhält der Sender die beiden Digitalprogramme ZDFneo und ZDFinfo – und eben die ZDF-Mediathek, die zunehmend zu einem weiteren Verbreitungskanal wird. „Die Nutzung von Vorab- und Binge-Angeboten (alle Teile einer Serie zeitgleich verfügbar, Anm. d. Red.) zeigt, dass die Mediathek längst eine eigenständige Rolle im Angebots-Portfolio des ZDF spielt. Sie ergänzt die Komposition aus Hauptprogramm und Digitalkanälen um eine weitere für die Menschen attraktive Möglichkeit, das ZDF zu nutzen“, gibt Gaddum unumwunden zu. Doch bis zum Online-only wird nach seiner Meinung noch etwas Zeit vergehen. „Eines Tages werden wir exklusive Inhalte für die Mediathek anbieten. Da bin ich ganz sicher.“ Noch aber gehen Fernsehen und Internet für das ZDF Hand in Hand. Eine TV-Ausstrahlung löst nach wie vor eine für die Nutzung der Mediathek signifikante Sogwirkung aus. Das zeigen alle Zahlen und das ist völlig in Ordnung, so Gaddum. „Das ZDF ist sein eigenes Video-Netzwerk.“

ARD und ZDF nutzen die Mediatheken auch dafür, wie bei der Frauen-EM, einige Begegnungen – im Bild Schweden gegen Italien – exklusiv im Internet zu übertragen, weil parallel das Spiel der deutschen Frauen lief.
ARD und ZDF nutzen die Mediatheken auch dafür, wie bei der Frauen-EM, einige Begegnungen – im Bild Schweden gegen Italien – exklusiv im Internet zu übertragen, weil parallel das Spiel der deutschen Frauen lief.
© dpa

Von zentraler Bedeutung für Experimente wie mit der „Pubertier“-Serie ist allerdings, dass solche Versuche nicht beliebig sind. „Vorab ist vor allem dann erfolgreich, wenn die Leute wissen, wann genau sie zum Beispiel eine Serienfolge vorabschauen können. Berechenbarkeit und Ritualisierung sind Erfolgstreiber.“ Und auch dann sind TV und Mediathek vorerst nicht losgelöst voneinander zu sehen. Haben die Zuschauer eine Folge einer Serie gerade im TV gesehen, möchten sie die nächste Folge möglichst gleich online abrufen, wenn sie dazu die Möglichkeit haben.

Ein großer Hemmschuh für die weitere Entwicklung der Mediatheken ist die Sieben-Tage-Regel, nach der die öffentlich-rechtlichen Angebote einen Großteil der Online-Inhalte wieder aus dem Netz nehmen müssen. Doch wie zeitgemäß sind solche Regeln, die vor über zehn Jahren aufgestellt wurden? „Die ehrlichste Antwort bekommt, wer versucht, diese Regel den Menschen zu erklären. Sie verstehen sie nicht. Es ist gut, dass die Medienpolitik aktuell über eine Reform spricht“, sagt Gaddum und will zugleich den Produzenten die Angst vor einem Wegfall der Regel nehmen. Das ZDF habe sich etwa bei Auftragsproduktionen selbstverpflichtet, bei längerer Verweildauer in der Mediathek einen Gegenwert zu leisten. „Das ist doch in Ordnung.“

Auch die Rundfunkpolitik will Veränderungen

Auch die Medienpolitik hat den Reformbedarf erkannt. Heike Raab, die Medienstaatssekretärin in der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz, wo die Rundfunkkommission der Länder ressortiert, sagte dem Tagesspiegel: „Ich kann Nutzer verstehen, die sich fragen, warum beispielsweise eine bestimmte ,Sendung mit der Maus’ nicht mehr in der Mediathek des WDR zu finden ist, aber bei Youtube.“ Daher hätten die Länder bereits vor vier Jahren in der Rundfunkkommission angeregt, notwendige Präzisierungen des „Online-Auftrags“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorzunehmen. Zu den Zielen der eingesetzten Arbeitsgruppe gehört unter anderem, dass eingekaufte Filme und Serien – anders als bisher – bei vorhandenen Rechten in die Mediatheken eingestellt werden dürfen; zudem sollen die gesetzlichen Fristen bei der 7-Tage-Regel erweitert werden. Die Argumente liegen für die Medienpolitikerin auf der Hand: „Wenn sich die Mediennutzung ändert, ist auch logisch, dass sich auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk ändern muss. Denn sonst erreicht er nicht mehr alle Bürgerinnen und Bürger.“ Die Rundfunkkommission hat deswegen einen Prozess für einen neuen Rundfunkstaatsvertrag aufgesetzt. Bis zum 7. Juli konnten alle Betroffenen und Interessierten sich im Netz zu den geplanten Änderungen äußern. Diese Beiträge werden jetzt ausgewertet und der Rundfunkkommission im September vorgelegt. „Ich hoffe“, sagte Heike Raab, „der Rundfunkstaatsvertrag könnte noch im November unterzeichnet werden.“

Interessenausgleich von öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern

Die Rundfunkpolitik will und wird dabei im Sinne der dualen Medienordnung handeln. „Dieses pluralistische, vielfältige und staatsferne Mediensystem hat in Europa ein Alleinstellungsmerkmal“, sagte Raab. Deshalb sei es den Bundesländern aus Überzeugung ein Anliegen, „dass die Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die der privaten Wettbewerber sorgfältig ausbalanciert werden müssen und zugleich auch Raum für Entwicklung in Zeiten der Digitalisierung eröffnet wird.“ Die Interessen der beteiligten Parteien will die Politik im Dialog zusammenführen. Die Äußerungen der rheinland-pfälzischen Medienstaatssekretärin lassen klar erkennen, dass es für die Mediatheken von ARD und ZDF neue Rahmenbedingungen geben wird. Eine Reform wird kommen, eine Revolution nicht.

Zur Startseite