Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Die Senderchefs haben die falsche Agenda
Die öffentlich-rechtlichen Medien sind selbst schuld, dass sie kritisiert werden. Statt um bessere Sendungen kümmern sie sich um Karrieren, Gehälter und Pensionen. Ein Kommentar.
Passgenau zur Volksabstimmung in der Schweiz über die Rundfunkgebühren hat der WDR eine Umfrage publiziert. Danach halten 83 Prozent der Deutschen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für „nicht verzichtbar“. Lediglich 15 Prozent votierten mit „verzichtbar“.
83 Prozent Zustimmung? Bombe! Da muss doch alle Kritik an ARD, ZDF und Deutschlandradio verstummen, alle Übelwollenden schauen und hören jetzt vielleicht auch besser mal öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und zahlen nach 2021 ohne Genöle einen höheren Monatsbeitrag als den aktuellen von 17,50 Euro.
Eine Umfrage ist eine Umfrage ist eine Umfrage. Sie hat ihren eigenen und damit exklusiven Wert, zugleich sie keinerlei Aussage darüber zulässt, was jeder Beitragszahler tatsächlich von ARD, ZDF und Deutschlandradio erwartet. Da spreizt sich das Meinungsfeld in tausendundeine Erwartung. In den Reaktionen auf die Programme zeigt sich zuerst und am besten, was die gebührenfinanzierten Sender zum Erregungsthema macht.
Alles für alle und für jeden etwas, das ist das Signum, unter dem die Öffentlich-Rechtlichen über die Jahre und Jahrzehnte ihre Programmexpansion betrieben haben. Gestützt auf eine zugeneigte Rundfunkpolitik, die ihnen erst über die gerateabhängige Gebühr und dann über den nutzungsunabhängigen Haushaltsbeitrag ein milliardenschweres Einnahmeprivileg garantiert hat, veranstalten die drei Sender zusammen 21 Fernsehprogramme, 66 Radiowellen, 22 Desktop- und über hundert Mobile-Angebote. Fernsehen, Hörfunk, Internet.
Und doch reicht es nicht, um alle zu erreichen, und wird auch nie reichen. Links und rechts, oben und unten hat sich längst weitere Konkurrenz versammelt. Die privatwirtschaftlich organisierten Wettbewerber haben bei Radio und TV bedeutende Marktanteile gewonnen, ein Pay-TV wie Sky, die Streamingdienste von Amazon bis Netflix sind in der Erfolgsspur. Bundesliga beim Live-Stream-Service Dazn, Olympische Winterspiele bei Eurosport sind Ausfluss massiver Konkurrenz im angestammten öffentlich-rechtlichen Programmfeld. Ermöglicht haben es die Zuschauer und Zuhörer. Die audiovisuelle Mediennutzung fragmentiert sich. Bei den Jüngeren verliert das lineare Fernsehen mehr und mehr an Reichweite, wenn öffentlich-rechtliche Nachfrage, dann werden nicht Programme, sondern Inhalte wie „Tagesschau“ und „Tatort“ auf den Screen geholt.
Wissens- und Bildungsangebote wird die private Konkurrenz niemals anbieten
ARD und ZDF meinen, sie könnten den Wettlauf von Hase und Igel als Staffelhase gewinnen. Ein bemerkenswerter Irrtum, schwerwiegend zudem, weil im Mainstream der immergleichen Formate – Krimi! – der Auftrag, für den der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegründet wurde, viel von seiner Sichtbarkeit verlor. Als Konsequenz daraus muss die Expansion gegen Konzentration eingetauscht werden. Der Bildungskanal Alpha, der unter anderem über Berufsorientierung informiert, wird bald sein 20-jähriges Bestehen feiern können. Alpha ist der Bonsai unter den öffentlich-rechtlichen Programmen. Betrieben allein vom Bayerischen Rundfunk, der dafür elf Millionen Euro pro Jahr ausgibt. Ein Witz, so viel kosten sechs „Tatorte“ oder zwei Länderspiele.
Wissens- und Bildungsangebote wird die private Konkurrenz niemals anbieten, damit ist kein Profit zu machen. Trotzdem steht der Wert von Bildung außerhalb jeder Debatte. Bildung und Information müssen ARD, ZDF und Deutschlandradio unbedingter Programmauftrag sein. Umfragen belegen, dass eine rasant wachsende Zahl von Nutzern von Internet, und hier insbesondere von sozialen Medien, den Nachrichten und Fakten aus dem Online-Sektor mit Misstrauen begegnen. Die Fake News führen zu Unsicherheit, was wahr, was falsch ist, und bieten Einfallstore für Desinformation und Irreführung.
Fakten können keine Wahnvorstellungen vertreiben, und doch können es nur Fakten sein, die Meinungsbildung auf gesicherter Grundlage ermöglichen. Hier müssen die Informationsleistungen von Deutschlandradio, von ARD und ZDF möglichst hohen Qualitätsmaßstäben genügen. „Tagesschau“ und „Heute Journal“ gehören ausgebaut. Ein Krimi, eine Quizshow, eine Fußballübertragung weniger sind kein Verlust.
Die Senderchefs betreiben die falsche Agenda. Sie sollten nicht die Altersversorgung der Mitarbeiter, das Zusammenlegen von IT-Abteilungen, die eigenen Gehälter, ihre Wiederwahl als Arbeitsleistung priorisieren. Ihr Sinnen und Trachten muss der Sinn und Zweck öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein: ein Programmauftrag, der Qualität herstellen und garantieren will. „Nicht verzichtbar“, dieser Status heißt schlichtweg auch, auf Verzichtbares, weil anderswo und mehrfach verfügbar, zu verzichten.
ARD, ZDF und Deutschlandradio haben sich in die Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst hineingesendet. Mehr Allerlei-Programm, mehr Beitragsmilliarden werden sie da nicht wieder herausführen. Sondern ein einzigartiges Programm.
Joachim Huber