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Kein Paar, ein Paar? Hauptkommissar Gereon Rath (Volker Bruch) mit Kommissarsanwärterin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries).
© Batier/F Filme

„Babylon Berlin“ Staffel 3: Die Psychologie verdrängt die Massenorgien

„Babylon Berlin“, Staffel 3, ist weniger Überwältigungskino als Menschendrama – und das alles im Simultan-Epos aus Mordermittlung und Weltwirtschaftskrise.

Die erste Frage zur neuen Staffel von „Babylon Berlin“ ist eine Frage der Angst: Wird es wieder so toll? In der Produktion versammeln sich erneut Ambition und Anstrengung, die geschätzt 40 Millionen Euro aus verschiedenen Quellen und wesentlich aus der ARD-Kasse vereinen sich nicht zum Glanz des Etats, nicht zum eitlen Kunststolz – sie finden ihren Ausdruck in den künstlerischen Klassen, in den Gewerken und natürlich in der Ausstattung. „Babylon Berlin“ kann erneut Babylon Berlin.

Die ersten beiden Staffeln waren ein großer Publikumserfolg, sowohl das Pay-TV Sky konnte Profit daraus schlagen wie die öffentlich-rechtliche ARD, ein kommerzieller Gewinn wurde zudem mit Lizenzverkäufen in über einhundert Länder erzielt. Auf grober Zeitachse: Die Serie „Babylon Berlin“ hat endlich den Globalerfolg der Serie „Derrick“ überwunden. Deutschsein heißt nicht länger Derricksein. Und dessen episodische Krimierzählung wurde von dem horizontalen Romanstrang über jetzt 28 Kapitel abgelöst. Vergleichbarkeit mit Amazon Video und Netflix ist hergestellt.

Neues Gemisch im Serientank

Die Erzählmaschine von Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries (Buch und Regie) nach Grundmotiven von Volker Kutschers Roman „Der stumme Tod“, des zweiten seiner bislang sieben Gereon-Rath-Krimis, stottert nicht. Sie ist nur mit einem etwas anderen Gemisch betankt. Auch die Fortsetzung rankt sich um den Kommissar (Volker Bruch) und seine Kriminalassistentin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries). Ihrer persönlichen wie beruflichen Situation wird mehr Raum gegeben. Jetzt wird’s psychologisch, es geht ins Innere der Figuren. Aus dem Kennenlernen wird ein Kennen und ein Lernen.

Gereon Rath kämpft bewusst und vor allem unterbewusst um die Beziehung zu Helga Rath (Hannah Herzsprung), Witwe seines gefallenen Bruders. Der ältere steht unverändert zwischen ihnen. Helga wird zu Alfred Nyssen (Lars Eidinger) finden/gehen. Die Serie setzt fünf Wochen vor dem Börsencrash im Oktober 1929 ein.

Der taucht gleich am Anfang in einer Albtraumsequenz auf. Kommissar Rath taumelt durch eine verwüstete Bankenfiliale, ehe er von einem Mob wütender Kleinaktionäre niedergetrampelt wird. Dabei ist Deutschland zu Beginn der neuen Staffel noch im Börsenfieber. Nur der gern unterschätzte Nyssen ahnt die Aktienblase voraus; der Industrielle, obschon in psychiatrischer Behandlung, erkennt in den emblematisch goldenen zwanziger Jahren die Wasserzeichen des Düsteren, des Schattenhaften. Und am 3. Oktober 1929 stirbt Gustav Stresemann, Reichsaußenminister und Vernunftrepublikaner. Berlin, Politik, Gesellschaft geraten ins Rutschen.

„Dämonen der Leidenschaft“ heißt der Film, der in den Babelsberger Studios gedreht wird. Bis ein herabfallender Scheinwerfer Betty Winter erschlägt.
„Dämonen der Leidenschaft“ heißt der Film, der in den Babelsberger Studios gedreht wird. Bis ein herabfallender Scheinwerfer Betty Winter erschlägt.
© Batier/X Filme

Charlotte Ritter aber will nach oben, von der Assistentin des Kommissars zur Kommissarin aufsteigen. Den praktischen Teil der Prüfung besteht sie, im theoretischen scheitert sie. Eine Frau in der Mordkommission des innovativen und schon legendären Kriminalrates Ernst Gennat (Udo Samel)? Die Zeit ist noch nicht reif, wie es scheint.

Nicht nur im Hintergrund gewinnen die Rechtsnationalen an Kraft, auch an personeller, Regierungsrat Wendt (Benno Fürmann) fordert Polizeipräsident Zörgiebel (Thomas Thieme) zum Rücktritt auf und er wird Greta Overbeck (Leonie Benesch), Freundin von Charlotte Ritter, zu überzeugen wissen, dass die blutige Schießerei nicht von als Kommunisten camouflierten Nationalsozialisten, sondern tatsächlich von Kommunisten provoziert worden sei. Das gibt dem Mord an Regierungsrat August Benda (Matthias Brandt) neue Wendung, neue agitatorische Kraft. Geschichte, auch im Kleinen, wird gemacht.

Matthias Brandt hatte Benda gespielt, Peter Kurth Kommissar Bruno Wolter, den bis zum Mord entschlossenen Gegenspieler von Gereon Rath. Benda und Wolter waren entscheidende Protagonisten der Eröffnung von „Babylon Berlin“, auf je unterschiedliche Weise Treiber und Getriebene der pulsierenden Handlung.

So können Sie die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ sehen:

  • „Babylon Berlin. Die neue Staffel“, zwölf Folgen. Lineare Ausstrahlung ab 24. Januar immer freitags um 20 Uhr 15 auf Sky 1 HD. Am Samstag Wiederholung um 20 Uhr 30 auf Sky Atlantic HD.
  • Nonlineare Ausstrahlung: ab 24. Januar Folgen 1–4, auf Sky Ticket, Sky Go und über Sky Q auf Abruf. Folgen 1–6 am 31. 1., am 7. 2. 1–8 usw.

Beide Figuren fanden den Tod, was auch das Ausscheiden von Brandt und Kurth bedeuten musste. Derartige schauspielerische Kapazität ist nicht mal so eben zu ersetzen? Aber doch. Martin Wuttke als liberaler Chefredakteur, Meret Becker gibt den verdämmernden Stummfilmstar Esther Kasabian, schließlich Ronald Zehrfeld als Walter Weintraub, der als neuer und grober Partner in Crime des „Armeniers“ (Misel Maticevic) zu gerne seine Haifischzähne zeigt und das Stiletto im Knöchelhalter elegant zu zücken weiß, um es in einen Handrücken zu rammen.

Wer manipulierte den Scheinwerfer?

Tonfilm, Börsencrash, der Umschlag der Umstände ins Rechtsextreme, sie gehören zum Panorama der neuen Staffel – und zum Kriminalfall. Wer hat den Scheinwerfer manipuliert, auf dass er die Starschauspielerin Betty Winter erschlug? Wer ist das Phantom im schwarzen Umhang, das Dreharbeiten zu „Dämonen der Leidenschaft“ hintertreibt, ein Filmprojekt, in das der Armenier und Weintraub eine Million Reichsmark investiert haben? Die Studioszenen sind glitzernder Expressionismus.

Überhaupt, das Innen gewinnt gegen das Außen. Die Eröffnung der neuen Staffel ist innig, keine saugenden Massenorgien, wenig Großberlinisches, sondern milieuverhaftete Inspektion und Introspektion der Protagonisten. Charlotte Ritter kümmert sich um sich, ihre jüngere Schwester und ihre sonstige Mischpoke. Ein Bündel nachgelassener Briefe und Postkarten der verstorbenen Mutter bringen die Frage herauf, wer tatsächlich Charlottes Vater ist. Gereon Rath sucht die Mordserie im Filmsektor mindestens so emsig zu lösen, wie seine Beziehung zu Helga zu retten. Lebenshunger trifft auf Lebenskummer, Liebeshunger wird von Liebeskummer unterspült.

Und wer neben Liv Lisa Fries und Volker Bruch auch welche Rolle in „Babylon Berlin“ übernommen hat, der zeigt Klasse. Schauspielerfernsehen, das kein Schauspielerfernsehen sein will.

Raumenge, viel Close-up, Regie und Kamera sind ganz nahe bei den Figuren, schier auf Leibesvisitation aus. Berlin spielt eine wesentliche Rolle, keine Frage, doch die zweite, rauschhafte Hauptrolle spielt die Reichshauptstadt nach sechs von zwölf gesehenen Folgen noch nicht. Das „Moka Efti“, der Taumel-Tempel im „Nassen Fisch“, ist leck, leer geräumt.

Menschen völlern nicht, sie vibrieren

Das gibt der Fortsetzung neue, intensive, konzentrierte Spannung, die Menschen völlern nicht, sie vibrieren, als wollten sie für sich retten und bewahren, was ihnen der 29. Oktober nehmen wird. Menschen am Sonntag? Menschen im Alltag, jeder kämpft für sich allein. „Babylon Berlin III“ bleibt nicht stehen, tritt nicht auf der Stelle, die Serie tänzelt, wo sie im ersten Teil tanzte und stampfte.

Auch die Musik wechselt aus der Svetlana-Ekstase – „Zu Asche, zu Staub“ – zu Songs mit dem innigen Wumms von Kurt Weill. Vom Mitsingen zum Mitsummen.

Die neue Staffel, mindestens so sehr „Tatort“ wie Alexanderplatz, überzeugt, selbst wenn sie anders ist als der Auftakt, sie holt die Luft, die ihr im Finale von I und II fast ausgegangen war. Vom Wow-Effekt geht es nicht zum Wau-Wau rund um die Litfaßsäule, es geht direktemang weiter ins Simultan-Epos aus Berlin und Babylon.

Mit 2020 beginnt ein Jahrzehnt hundert Jahre nach den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Fernsehserie dazu gibt es schon. Vom 24. Januar an beim Pay-TV Sky und im Herbst im Free-TV der ARD.

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