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Der dauerleidende Polizisten-Hamlet. Inspector Tom Mathias (Richard Harrington, rechts) vernimmt Cal Bowen (James Tomas), bei dem die Tochter des Ermordeten seit Jahren lebt.
© ARD Degeto/Fiction Factory & all

Britischer TV-Krimi "Inspector Mathias": Die Mathias-Passion

Durch Wales zur Hölle, Psychosen, Schuld, Hirngespinste: "Inspector Mathias" oder Warum ist der britische Fernseh-Krimi so gut?

Wir setzen uns begeistert in Tränen nieder. Die Serie „Inspector Mathias –Mord in Wales“, deren neueste Folge „Blutsbande“ am späten Sonntagabend in der ARD lief, zeigte einen Krimi als trostloses Passionsspiel: Düstere Landschaft, ein verzweifelter Held, ewig böse Täter. Passend zur Lage der Welt, passend zu blendend melancholischer Fernsehkunst.

Von Münster, dem schrägen „Tatort“- Stadel, nach Aberystwyth an der Irischen See, wo Richard Harrington als Kommissar bärtig, verbittert und mit verzweifeltem Hundeblick dem Verbrechen hinterherstiefelt, ist es so weit, wie es weiter sich nicht denken lässt. Sicher, von Westfalen bis Wales gibt es Leichen und Ermittler, Zeugen und Lügen, Alibis und Akten, aber die Seelenlandschaften des Genres erscheinen unendlich.

Was Goethe über „das enge Bretterhaus“ Theater sagt, dass darin der „ganze Kreis der Schöpfung“ ausgeschritten wird, gilt auf dem Bildschirm für den Krimi. Es gibt keine Krimischwemme. Der Krimi ist die genuine Sprache des Fernsehens, die Wanderung „mit bedächtiger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“

Vom Himmel allerdings, in dem Inspector Mathias vielleicht gewesen ist, als er noch Kommissar in Scotland Yard gewesen war, glücklich verheiratet, Vater von zwei Kindern, haben wir als Zuschauer noch nie ausführliche Bilder gesehen. Weder in der ersten Staffel, noch jetzt in der zweiten, die am 31. Juli mit dem Stück „Feuernacht“ begann und nun, mit der Folge „Blutsbande“, mit einem Cliffhanger endete, im Flammenmeer. Die Behausung des Kommissars wird abgefackelt, wenn der Vorhang vorläufig fällt. Geht es weiter auf dem Weg zur Hölle? Alle Fragen offen. Nur, dass wir betroffen sind, ist sicher.

Er hat versagt, als eine seiner beiden Töchter ums Leben kam

Denn die suggestive Kraft der ersten wie der zweiten Staffel dieser von der BBC Wales mitproduzierten Serie besteht in der Verflechtung von äußerem und innerem Drama. Inspector Mathias ist ein gebrochener Protagonist. Er hat – wie genau, bleibt offen – Schuld auf sich geladen. Er hat versagt, als eine seiner beiden Töchter ums Leben kam.

Darüber ist die Ehe mit seiner Frau Meg (Anamaria Marinca) zerbrochen. Und wie eine Bußübung gestaltet sich sein hinfort verfluchtes Leben in der Ödnis von Wales. Mörder kann man fassen, aber das Leiden der Opfer niemals heilen. Dieser Mathias, der in allen seinen Fällen dem Elend der Kinder begegnet, hat keine rettende Botschaft mehr, nie ein Lachen, nie eine Hoffnung, nie eine Abwechslung, scheinbar kein erotisches Verlangen, keine Heimat, keinen Nerv für Selbstmitleid. Ein in sich gekehrter Soldat im Dienst der selbst auferlegten Passion.

All die Titel der neuen Folgen neben „Feuernacht“ und „Blutsbande“ lesen sich wie die Stationen auf einem Kreuzweg der Gewalt: „Alte Wunden“, „Treibjagd“ oder „Die Tote im See“. Ein Aufmarsch der Dämonen, rachsüchtige Verwandte, mörderische Einzelgänger, gespaltene Persönlichkeiten, Gefangene ihrer Depressionen.

Sie, die Täter und die Opfer, scheinen dem Hirn des Kommissars entsprungen zu sein. Sie spiegeln seine Psychosen, seine Schuld, seine Hirngespinste wider. Sie werden aber bittere Wirklichkeit: Außen, das Inneres ist, oder umgekehrt, Inneres, das nach außen tritt.

Oft hört man ja die Kritik, die Ermittler in den Krimis möchten sich doch bitte schön mit ihren internen Marotten nicht so sehr in den Vordergrund spielen, damit die Fälle nicht in den Hintergrund treten. „Mord in Wales“ arbeitet da ganz anders.

Oh Haupt voll Schuld und Sünden!

Die Krimi-Serie setzt auf die Diktatur der Befindlichkeit des Kommissar-Helden. Das eigentlich ansehnliche Team um Mathias, die ruppige Blondine Sian Owes (Hannah Daniel), die alleinerziehende Mutter Mared Rhys (Mali Harries) und der clevere Computer-Nerd Lloyd Ellis (Alex Harries) dient stets pflichtbewusst beflissen im Schatten des Leidensmanns. Nur Chief Superintendent Brian Prosser (Aneirin Hughes), der Vorgesetzte von Mathias, lässt sich von der Passionsaura seines untergebenen Kommissars nicht einwickeln. Er benutzt Mathias.

In den Dienst des dauerleidenden Polizei-Hamlets stellen sich die verschiedenen Regisseure der Episoden und vor allem die Kamera von Stuart Biddlecombe. Manchmal versinken die Filme in Statuarik, wenn sich die Bilder dem Darstellergesicht des Protagonisten voller Mitgefühl in Großaufnahme hingeben. Oh Haupt voll Schuld und Sünden!

Dann droht der ikonische Holzhammer. Erbarmt euch seiner, fleht die Szene, zumal die Natur mitzuweinen scheint: Die kahlen Hügel von Wales kommen einem dann noch baumloser vor, das Meer noch abweisender und die fliehenden Wolken am weiten Himmel noch schicksalsschwerer. Dann kann beim Zuschauer ein antipathetischer Widerstand entstehen. Selbst die großartigste Erhabenheit einer den Krimi umgebenden Natur hat manchmal Grenzen.

Wirklich ans Herz gehen einem die kleinen Szenen, in denen der großartige Darsteller Harrington seinen Schmerz geradezu intim zeigen darf: wenn ihn seine Frau verlässt, wenn er, der gescheiterte Vater, sich in „Blutsbande“ um ein Mädchen kümmert, das durch Verbrechen zerstört zu werden droht. So überzeugend kann väterlich keusche Zärtlichkeit in einer eigentlich hoffnungslosen britischen Krimiserie aussehen.

"Inspector Mathias - Mord in Wales: Blutsbande", Sonntag, ARD, 21 Uhr 50

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