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Tausende Menschen gehen über die Autobahn zur österreichischen Grenze.
© picture alliance / dpa

TV-Doku über Flüchtlinge aus Ungarn: Die Macht der Bilder

„Drei Tage im September“: In Torsten Körners Dokumentation über historische Momente in Ungarn im Herbst 2015 werden die Politiker zu „Getriebenen“.

Für die einen war es ein notwendiger humanitärer Akt, für die anderen der Sündenfall: Am 4. September 2015 marschierten tausende Menschen in Ungarn über die Autobahn auf die österreichische Grenze zu. Die meisten wollten nach Deutschland. Am Abend gab die Bundesregierung bekannt, dass sie ihnen die Einreise erlauben werde. „Ich habe uns und der deutschen Öffentlichkeit nicht zugetraut, gegebenenfalls sehr hässliche Bilder von Zurückweisungen von Zehntausenden durchzuhalten und auszuhalten“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Torsten Körners Dokumentation „Drei Tage im September“.

Der Autor und Journalist hatte im Fernsehen zuletzt Angela Merkel („Die Unerwartete“) porträtiert – und konnte das damals geführte Interview mit der Kanzlerin auch für seinen neuen Film nutzen. Merkel übt Selbstkritik, nicht an ihrer Flüchtlingspolitik oder der Entscheidung vom 4. September, sondern daran, dass sie sich in den Jahren zuvor „um die Umstände der vielen, wahrscheinlich fünf bis sechs Millionen Flüchtlinge außerhalb Syriens, zu wenig gekümmert“ habe.

Körner ruft die Chronologie der Ereignisse vom 3. bis 5. September 2015 in Erinnerung, bietet eine Fülle an Fotos und Filmausschnitten sowie Interviews mit den damals direkt Beteiligten auf – mit Flüchtlingen, Journalisten, Politikern, einer deutschen Helferin und einem ungarischen Diplomaten. Rechtspopulisten bleiben außen vor.

In seiner medienkritischen Analyse rückt der Autor die Macht der Bilder ins Zentrum. Der Budapester Hauptbahnhof sei ein „mediales Amphitheater“ gewesen, „wo Bilder entstehen, die die Politik unter Druck setzen“. Was ist in diesem Theater real, was Fiktion? Ein besonders markantes Beispiel bezieht sich auf eine damals weit verbreitete Foto-Serie. Sie zeigt einen Mann, der, eine Frau und ein Kind umklammernd, auf Schienen liegt und schließlich von Polizisten gewaltsam überwältigt wird.

Daraufhin sei er ausgerastet

József Czukor, damals Botschafter Ungarns in Berlin, bezeichnet die Bilder als „die berühmtesten Fake News“, die Polizei habe diese Menschen vor einfahrenden Zügen bewahren wollen. Körner hat die menschlichen Foto-Motive, den Syrer Mohamad Bakkar und seine Frau Samia, aufgetrieben und interviewt. Bakkar berichtet, dass ungarische Polizisten angekündigt hätten, ihn und seine Familie nach Syrien zu schicken, daraufhin sei er ausgerastet.

Für Körner ein Beispiel für die „kommunikative Notwehr“ der Menschen, die nach langer Flucht in Budapest festsaßen. „Durch die Gegenwart der Kameras wird aus der Ohnmacht der Verzweifelten die Macht der Verzweiflung“, kommentiert er etwas pathetisch. Die Szene sei ein „Fanal statt Fake News“ gewesen. Schließlich habe die Politik die Kontrolle verloren, „weil die Bilder sich unkontrolliert verbreiten“.

Auch in Körners Film werden die Politiker also in einem (fernseh-)dramaturgisch auf wenige Tage verdichteten Polit-Krimi zu „Getriebenen“, wie der Titel eines Bestsellers zum September 2015 lautet. Der Buch-Autor, „Welt“-Journalist Robin Alexander, kommt übrigens nicht zu Wort. Diese Verdichtung hat trotz aller Bemühungen Körners um Einordnung einen Haken: Die Ursachen kommen zu kurz.

Das Bild von der bedrohlich diffusen Menschenmasse wird allerdings klarer. Mit dem Syrer Mohamad Zatareih hat Körner einen der Wortführer wiedergetroffen, der mit dem Megafon in der Hand den Marsch aus Budapest in geordnete Bahnen lenkte, mit Polizisten verhandelte, Kontakt zu Journalisten hielt – und unterwegs zur Müllvermeidung aufrief. „Das war neu“, sagt de Maizière, „die Handelnden waren die Flüchtlinge.“ Der September 2015 als historischer Moment, in dem Menschen auf dem Weg nach Europa ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Thomas Gehringer

Themenabend: „Drei Tage im September“, Arte, 20 Uhr 15. „Die Asylentscheider“, 21 Uhr 15

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