"Tatort" aus München: Die Kraft der Freundschaft
In ihrem 75. Münchener „Tatort“ müssen die alt gewordenen Freunde Franz und Ivo leiden. Die Folge "Der Tod ist unser ganzes Leben" knüpft direkt an den "Wahrheit"-Fall an.
Die Münchener Kommissare klingen wie ein altes Ehepaar: „Wie soll das weitergehen – mit uns?“, fragt Franz seinen Ivo. Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) gehen in ihrer 75. „Tatort“-Folge nach 26 gemeinsamen Jahren buchstäblich am Stock. Allerdings nicht aus Altersgründen. Batic wurde angeschossen, Leitmayr ein Nagel ins Bein gerammt. Derart angeschlagen stellen sich grundsätzliche Fragen: „Was kommt noch?“, fragt Ivo seinen Franz. „Keine Frau, kein Leben, nur Leichen. Der Tod ist unser ganzes Leben.“
Dieser Satz ist auch der Titel dieses packenden, wenn auch etwas gewagt konstruierten Films. Zu Beginn wird endlich der Täter gefasst, der in der Folge „Wahrheit“ wahllos auf offener Straße einen Mann erstach. Thomas Barthold (großartig: Gerhard Liebmann) greift wieder zum Messer, wird diesmal aber von Zeugen identifiziert. Die Tat wird als Rückblende erzählt: Leitmayr muss vor einer internen Untersuchungskommission Auskunft geben über die Ermittlungen gegen Barthold und über das Blutbad, das sich bei dessen Überführung vom Gefängnis ins Gericht ereignet hat. Batic steht unter Verdacht, Barthold und eine Justizbeamtin erschossen zu haben. Aus Rache für Ayumi (Luka Omoto), die Witwe des ersten Opfers, mit der er sich angefreundet hatte. Noch liegt Batic im Koma, doch als er aufwacht, geschieht das für Leitmayr Unfassbare: Sein Freund gesteht.
Trotz Fortsetzung keine Vorkenntnisse vonnöten
„Der Tod ist unser ganzes Leben“ knüpft an den „Wahrheit“-Fall an, bleibt aber auch ohne Vorkenntnis verständlich. Erneut wirft der Film die Frage auf, ob eine Lüge nicht manchmal der Wahrheit vorzuziehen sei. Auch dann, wenn man damit das Vertrauen seines besten Freundes bricht? Gelogen hat Batic in jedem Fall. Das Vorgehen der Ermittler erscheint zwar nicht immer logisch. Batic zum Beispiel ist, obwohl schwer am Bein verletzt, dann doch erstaunlich gut zu Fuß. Doch neben der spannend erzählten Rekonstruktion der haarsträubenden Abläufe treibt vor allem der Konflikt zwischen den Kommissaren den Fall an. Wir Zuschauer folgen der Handlung aus der Perspektive Leitmayrs, der sich über Batic ärgert und dessen Version nicht einfach hinnehmen will. Gemeinsam mit Kalli (Ferdinand Hofer) versucht er den wahren Ablauf und die Hintergründe zu rekonstruieren. Leitmayr will Batic nicht hängen lassen. Den Vertrauensbruch beantwortet er mit einem ungebetenen Freundschaftsdienst.
Stark, was sich auch nach 26 Jahren noch aus dem Münchener Team herauskitzeln lässt. Alt sind sie geworden, der Franz und der Ivo, gezeichnet von den Abgründen des Berufs, auch innerlich verwundet, einsam. Dazu verspottet von Tätern wie Barthold, diesem unscheinbaren Museumswärter, der mit seinen wahllosen Gewalttaten beweisen will, dass es keinen höheren Sinn gibt, nur den Zufall. Der 34 Jahre junge Regisseur und „Tatort“-Debütant Philipp Koch („Picco“) setzt das Leiden und das Alter der Kommissare schonungslos in Szene. Doch dem Barthold’schen Nihilismus halten er und die Autoren Holger Joos und Erol Yesilkaya die Kraft der Freundschaft entgegen. „Was ist schon die Wahrheit?“, fragt Batic resigniert. „Die Wahrheit ist, dass wir beide noch ein paar Jahre vor uns haben“, antwortet Leitmayr. Hoffentlich.
„Tatort – Der Tod ist unser ganzes Leben“; ARD, Sonntag, 20 Uhr 15