ZDF-Drama mit Maria Simon: Die Hölle, das sind nicht die Anderen
Von einem völlig normalem Leben im schönen Eigenheim zu einer schrecklichen Gewalttat: Ein erschreckender, sehenswerter ZDF-Film über das Innenleben einer Amokläuferin.
Ein Schuss. Noch einer, rechts daneben. Und noch einer, wieder rechts daneben. Fünf Schüsse insgesamt, alle getroffen, alle Blättchen fallen. Der Traum eines jeden Biathleten, auch der von Silvia, einer Hausfrau und ehemaligen Leistungssportlerin, die ihr Können öfters auf der Schießanlage testet. Warum tut sie das? Was hat sie vor?
Bis dahin sind schon einige Minuten vergangen in „Silvia S. – Blinde Wut“, einem der erschreckendsten Fernsehfilme der vergangenen Monate. Ein Film, der zu zeigen versucht, wie das angehen kann: von einem völlig normalem Leben mit Kleinfamilie in einem schönen Eigenheim – Vater hat eine eigene Firma, Mutter kümmert sich um die Tochter – zu einer schrecklichen Gewalttat.
Silvia (Maria Simon) und der Unternehmer Andreas Schubert (Florian Lukas) führen eine scheinbar harmonische Ehe, Tochter Laura (Paula Hartmann) feiert gerade Geburtstag. Doch das reicht Silvia nicht mehr. Sie möchte in ihren alten Beruf als Architektin zurück. Ihre ältere Schwester Uta (Sophie von Kessel) stellt sie nach zehnjähriger Pause wieder in ihrem Architekturbüro ein. Silvia stürzt sich Hals über Kopf in die Arbeit. Doch schon mit ihrem ersten Entwurf geht sie zu weit.
Ihre Schwester lehnt den Entwurf ab. Silvia hat nicht nur, wie gewünscht, eine Hotellobby entworfen, sondern ein ganzes Hotel, um zu zeigen, was sie drauf hat. Alte Gräben brechen auf. Silvia reagiert mit ersten kleinen Ausrastern. Von ihrer Mutter Eva (Ulrike Kriener) wird sie für untauglich gehalten, ihr liebevoller Mann kommt nicht mehr an sie heran. Sie kapselt sich ab, zieht aus dem Haus und holt schließlich ihre Waffe aus dem Schrank. Ihre eigene Familie ist in höchster Gefahr.
Flucht in die Wahnwelt
Eine Grenzgänger-Rolle. Man fragt sich mehrmals während des Films, ob das in Deutschland überhaupt hätte jemand anderes spielen können als Maria Simon, zurzeit vor allem bekannt als Kommissarin Olga Lenski im „Polizeiruf 110“ . Schon in „Es war einer von uns“ (Regie: Kai Wessel) ging sie als Opfer einer Vergewaltigung von einem nahen Verwandten an Grenzen. Unter der Regie von „Weißensee“-Regisseur Friedemann Fromm gelingt es Maria Simon erschreckend glaubhaft und präzise, sich in die Psyche einer Frau hinein zu versetzen, die permanent überfordert und gekränkt wirkt.
Fromm und die Autorin Katrin Bühlig leisten sich den verstörenden Luxus, dem Zuschauer gänzlich Identifikationsangebote mit der tragischen Heldin zu verweigern. Jener schlägt die Hände über den Kopf zusammen, wenn diese Silvia S. jegliche, gut gemeinten Hilfsangebote ausschlägt und sich in ihre Wahnwelt flüchtet, nur noch einen Ausweg zu sehen glaubt. Kein klassischer Amoklauf, eher Ausdruck einer schweren psychischen Störung.
Friedemann Fromm sagt, es sei „die Geschichte einer vermeintlich ganz normalen Familie“. Einer Frau, die versuche, alles richtig zu machen und auf furchtbare Weise scheitere am Druck, alle Erwartungen zu erfüllen, die die Gesellschaft an Frauen hat: „Dem Druck, perfekt zu sein. Sein Leben zu leben wie in einem Werbespot für Marmelade.“ Ein Funke reicht, um alles in Brand zu stecken. Die Hölle sind in diesem Film nicht die anderen, die Hölle ist die Welt, in der man selbst gefangen ist.
„Silvia S. - Blinde Wut“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15