TV-Kritik "Anne Will" zur Flüchtlingspolitik: Die Frage des Abends nach zehn Minuten geklärt
Bleibt Angela Merkel im Amt? Klar, da waren sich die Gäste bei Anne Will schnell einig. Und dann begann das Abarbeiten der Flüchtlingspolitik.
„Wir schaffen das“ lautet Angela Merkels Parole in der Flüchtlingspolitik. Mittlerweile stellt sich eher die Frage: Schafft die Kanzlerin das? Nur 46 Prozent der Deutschen sind aktuell noch zufrieden mit ihrer Politik, ergab der jüngste ARD Deutschlandtrend – ein Minus von saftigen 12 Punkten im Vergleich zum Vormonat Januar.
Anne Will wollte am Sonntagabend deshalb wissen, ob Merkel „noch die Kurve kriegt“. Nicht anwesend: Die Kanzlerin selbst. Sie fliegt heute in Sachen Flüchtlingsmanagement in die Türkei, um dort mit Präsident Erdogan zu verhandeln.
Merkels Schicksal als Kanzlerin war schnell geklärt. Keiner der vier Talkgäste (Ursula von der Leyen – CDU; Oskar Lafontaine – Die Linke; Hans-Ulrich Jörges – Stern; Peter Schneider – Schriftsteller) glaubt, dass Merkel demnächst zurücktreten oder gestürzt werden wird. Grund dafür sei – je nach Betrachter – ihre aufopferungsvolle und makellose Politik (von der Leyen), oder der akute Mangel an präsentablen Alternativen (Jörges). Merkel bleibt Deutschland also voraussichtlich erhalten. Talkshowfrage nach zehn Minuten beantwortet.
Was nicht bedeutet, dass sich die Runde nicht anschließend am Dauerbrenner (Merkels) Flüchtlingspolitik und den damit verbundenen Fehlern abarbeiten konnte. Peter Schneider, der unter anderem Redenschreiber im Wahlkampfteam Willy Brandts war, entlarvte den größten Patzer darin, die deutschen Grenzen geöffnet und anschließend nicht mehr zu schließen. Flüchtlinge, so Schneider, seien „keine amorphe Masse“, sondern Menschen, die mit exakten Plänen nach Deutschland kommen würden. Und das merkelsche Verbot des Begriffs „Obergrenze“ störte ihn besonders. Seiner Meinung nach werde sich eine Obergrenze einfach realpolitisch ergeben, auch wenn das Wort nicht benutzt werde.
Von der Leyen hielt als stellvertretende CDU-Vorsitzende dagegen und behauptete, Deutschland wäre zum „Totengräber Europas“ geworden, hätte Merkel die Grenzen geschlossen. Die Verteidigungsministerin legte allerdings weniger Wert auf humanitäre Argumente als auf die deutsche Wirtschaft, die von offenen Grenzen profitiere. Laut von der Leyen bemerke die EU gerade, dass geschlossene Grenzen „keine Lösung seien“. Das klingt allerdings ein wenig naiv, wenn man beispielsweise den Rechtsruck in Polen und Ungarn bedenkt, deren Politiker geschlossene Grenzen sehr wohl für eine hervorragende Lösung halten.
Kommunikationsprobleme und verkopfte Erklärungen
Worauf sich alle irgendwie einigen konnten: Kommuniziert wurde über die „europäische Generationenaufgabe“ der Flüchtlingsfrage zu wenig und zu schlecht. Jörges bemängelte, das Öffnen der deutschen Grenzen sei nie vom Bundestag abgesegnet worden; es habe nicht die Chance auf eine Debatte gegeben. Merkels Vokabular sei verkopft, die meisten Bürger könnten mit Begriffen wir „legaler Migration“ nichts anfangen.
Lafontaine spürte Kommunikationsprobleme nicht nur national, sondern auch international auf: Merkel halte Europa nicht zusammen; sie habe zu oft im Alleingang entschieden und es sich daher mit führenden Regierungschefs anderer Länder verscherzt.
Auch CSU-Chef Horst Seehofer, dessen beständige Querschläger aus der Münchner Staatskanzlei der Will-Redaktion einen extra Einspieler wert waren, wird Merkel wohl kaum stürzen. Er kann die Kanzlerin höchstens ärgern und ihr das politische Leben unangenehm machen– etwa mit seinem jüngsten Besuch bei Wladimir Putin.
Die Frage, warum Merkel ihren Koalitionspartner für solche Aktionen nicht stärker rüffelt, beantwortete am besten Publizist Schneider: Merkel lasse Seehofer machen, weil er das sage, was mittlerweile Prozent der Deutschen dächten. Jörges, der ernsthaft vermutete, Seehofer wolle sich und die CSU so vor der politischen Bedeutungslosigkeit (in Bayern) retten, disqualifizierte sich mit dieser Äußerung als Korrespondent südlich des Weißwurstäquators.
Zum Schluss versuchte Anne Will Ursula von der Leyen das Geständnis abzunehmen, dass auch die deutschen Grenzen irgendwann geschlossen würden. Von der Leyen tat ihr den Gefallen nicht; hatte aber auch keinerlei Antwort auf die Frage, was geschehen wird, sollte sich die EU in Zukunft nicht auf die Zu- und Verteilung von Flüchtlingen einigen können - oder wollen. Angela Merkels politischer „Plan“, der in diesem Talk oft beschworen wurde, könnte spätestens dann an tatsächlich geschlossene Grenzen stoßen.