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Hoffnungsvoll.  Was Lilli Jahn aus Köln an ihren späteren Mann Ernst schreibt, strahlt vom Glauben an eine Liebe, die alle Schwierigkeiten der Zeit überwinden wird.
© ZDF und Privat

ZDF-Doku über Judenverfolgung: Die Briefe der Lilli Jahn

Mein verwundetes Herz: Eine ZDF-Doku über Lilli Jahn erinnert an schlimmsten Antisemitismus während der NS-Zeit.

Damit eine Tragödie wie die der in Auschwitz ermordeten jüdischen Ärztin und fünffachen Mutter Lilli Jahn zur besten Sendezeit im Fernsehen um 20.15 Uhr zu sehen wäre, müsste nach Stand der Dinge Einschneidendes passieren: die Verwandlung eines historischen Stoffes in ein das Geschehen nachspielendes TV-Movie. Das ist allerdings immer eine Auslieferung historischer Wahrheit, und sei die Nachinszenierung auch noch so gut.

Der Zeitgeist der Gegenwart würde sein Gestaltungsrecht einfordern, als durchschaute das Heute das Gestern. Fragen müssten um der Drehbuchform willen beantwortet werden, die sich nicht beantworten lassen. Das Interessanteste entfiele – die Rätsel, die Widersprüche im Leiden, das heute naiv erscheinende Hoffen auf Rettung.

Es gibt aber die Freiheit, sich den Bedürfnissen des weltweiten Fiktionstheaters zu verweigern. Die Nachfahren der Lilli Jahn haben sich so entschieden. Das heißt: Ihr müsst die unter dem Titel „Mein verwundetes Herz“ 2002 erschienene Briefsammlung lesen, um von uns zu erfahren. Unsere zurückhaltenden Erklärungen akzeptieren. Uns gehört noch unsere Geschichte. Wir wachen über ihre Verbreitung.

Die Dokumentation „ZDF-History: Die Geschichte der Lilli Jahn“ von Annette von der Heyde wahrt die Ehrfurcht vor der von „Spiegel“-Redakteur Martin Doerry – einem Enkel Lillis – zusammengestellten und knapp und klug kommentierten Briefsammlung. Eine Lese-Ermutigung vom Bildschirm ist das. Etwas Ergreifenderes wird der Interessierte nicht finden als die Lektüre. Kein Rummel, kein Eventgetöse, kein Betroffenheitsquark von Schauspielerstars können ablenken.

So riskant und hoffnungsvoll ist richtiges Leben

Die Briefe wirken wie die Live-Schaltung in ein Leben, von dem nur die Nachwelt weiß, dass es in einer Katastrophe endet. Was Lilli aus ihrer Heimatstadt Köln an ihren späteren Mann, Ernst Jahn, schreibt, strahlt vom Glauben an eine Liebe, die alle Schwierigkeiten der Zeit überwinden wird.

Die promovierte Ärztin, eine der ersten in Deutschland, schildert dem Bräutigam Ernst - wie Lilli auch Arzt - ihr Leben als Tochter aus gutbürgerlichem Hause. Sie liebt die Kultur, sie fürchtet sich vor der hessischen Provinz, in der Ernst arbeitet. Sie spürt die Reserve ihrer Eltern gegen einen nichtjüdischen Mann, geht aber mutig dagegen an.

Der Bräutigam Ernst – seine Antworten sind nicht erhalten – hat wohl Vorbehalte gegen eine Berufstätigkeit seiner künftigen Frau. Dass sie Jüdin ist, nicht superfromm, aber entschlossen, dem Glauben der Väter treu zu bleiben, teilt Lilli einem Mann mit, der als Protestant zum Katholizismus konvertieren möchte und sich mit dem Marienkult beschäftigt. So riskant und hoffnungsvoll ist richtiges Leben, so sperrt es sich einer möglichen altklugen Drehbuchvorlage, die nur auf das bittere Ende hinarbeitet. Man muss diesen Beginn kennen, um das Entsetzliche des Endes zu spüren.

Verrat und unausgesprochenes Entsetzen

Die Sendelänge der History-Dokumentation reicht nur, sich auf die Tragödie zu konzentrieren: den Verrat an der fünffachen Mutter Lilli, deren seelische und physische Vernichtung. Eine unglaublich grausame Geschichte: Erst erhält die nach den Nürnberger Gesetzen in einer „Mischehe“ lebenden jüdische Frau Berufsverbot, dann wird nicht nur sie, sondern auch die ganze Familie ausgegrenzt.

Der politischen folgt die private Katastrophe. Der Ehemann und Marienforscher Ernst schwängert eine in seiner Praxis arbeitende „arische“ Helferin, lässt sich trotz Warnungen 1942 scheiden und verhindert nicht, dass die nun schutzlose Lilli durch Denunziation ins Lager kommt.

Die Kinder müssen sich selbst helfen. Sie schreiben der Mutter liebevolle Briefe in das naheliegende Arbeitserziehungslager Breitenau, in das die Mutter gebracht wurde. Schicken Päckchen mit alldem, um das die Mutter bittet, neben den Dingen des Alltags auch Stifters „Nachsommer“ zum Trost.

Wie gut, dass in der Dokumentation zum ersten Mal die jüngeren Schwestern zu Wort kommen. Eva, damals zehn, spricht heute Englisch. Nur wenn sie das Wort „Mischling“ ausspricht oder dieses Schild beim Bäcker zitiert – „Für Juden und Polen kein Verkauf“ – geht ihr die Muttersprache über die Lippen, und man schämt sich.

Das größte Geheimnis dieser Briefe ist, was sie nicht aussprechen: das Entsetzen.

„Die Geschichte der Lilli Jahn“, Sonntag, ZDF, 23 Uhr 30

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