Zukunft der Zeitung: Die Aufmacher
Ebay-Gründer Pierre Omidyar plant journalistische Großprojekte, Amazon-Macher Jeff Bezos kauft die „Washington Post“. Das muss nicht schlecht sein. Bereits jetzt stehen hinter vielen europäischen Tageszeitungen Unternehmer, die ihren Hauptgewinn in anderen Branchen erzielen.
Es war die spannendste Branchen-Nachricht der vergangenen Woche: Der milliardenschwere Ebay-Mitgründer Pierre Omidyar will mithilfe des Snowden-Reporters Glenn Greenwald ein neues Medienunternehmen aufbauen. Das Online-Angebot solle sich nicht auf Enthüllungsjournalismus beschränken, sondern ein breites Themenspektrum abdecken, kündigt Omidyar an. Die zentrale Mission sei, unabhängigen Journalisten aus vielen Bereichen eine Plattform zu geben. Er investiere zunächst 250 Millionen Dollar, sagte Omidyar dem Journalismus-Professor Jay Rosen. Die Organisationsstruktur und Details des neuen Unternehmens seien noch unklar. Auch ein Name soll erst später bekannt gegeben werden.
Das Vermögen des 46-jährigen Omidyar, der sich nach seinem Ausstieg bei Ebay nach Hawaii zurückzog, wird auf rund 8,5 Milliarden Dollar geschätzt. Omidyar hat seit geraumer Zeit Interesse an journalistischen Projekten gezeigt. So finanzierte er ein lokales Nachrichtenprojekt auf Hawaii. Außerdem beschäftigte er sich in den vergangenen Monaten stark mit Greenwalds NSA-Enthüllungen und äußerte sich wiederholt besorgt über Behinderungen für investigativen Journalismus in den USA.
Mit den Plänen des Ebay-Gründers erreicht das Silicon-Valley-Denken den Journalismus, der sich seit einigen Jahren den unterschiedlichsten wirtschaftlichen Interessen und Unterstützern ausgesetzt sieht. Omidyar selbst habe im Frühjahr über das Angebot nachgedacht, die „Washington Post“ zu kaufen, sich dann aber doch für ein eigenes Projekt entschieden. Die „Washington Post“ übernahm Amazon-Gründer Jeff Bezos, für 250 Millionen Dollar. In Europa springt nicht das Silicon Valley, sondern eher die traditionelle Wirtschaft in die Bresche des Journalismus. Beispielsweise in Italien. Fiat, genauer gesagt, die Turiner Unternehmerfamilie Agnelli, stellt zwar hauptsächlich Autos her. Nebenbei ist sie auch Herausgeber von Italiens drittgrößter Tageszeitung, der „La Stampa“. Im Gegensatz zu Omidyar und Bezos, die neu im Verlagsgeschäft sind, sind die Agnellis schon lange im Besitz der „La Stampa“. Die Geschichte, wie die Familie die Zeitung bekam, hat einen faden Beigeschmack. Der ursprüngliche Besitzer wurde 1924 gezwungen, an die Agnellis zu verkaufen, weil er einen durch Mussolini lancierten politischen Mord kritisiert hatte. Die Agnellis dagegen galten als regimetreu – und halten seitdem 100 Prozent des Verlagskapitals. Heute gilt die „La Stampa“ als liberal, wobei liberal vor allem wirtschaftsliberal bedeutet. Die Autofabrikanten lassen den Journalisten zwar freie Hand bei der Berichterstattung, wirklich kritische Artikel findet der Leser aber selten. Der frühere Bonner Büroleiter des Tagesspiegel, der heute in Italien lebt und arbeitet, beschreibt die „La Stampa“ so: „Behäbig, wenig kampfesfreudig – etwas für Intellektuelle“.
Undurchsichtige Konzerne
Ob man für oder gegen Automobilunternehmen in der Verlagsbranche ist – die Agnellis machen kein Geheimnis aus ihrem Nebenverdienst. Bei anderen Konzernen, die als Medienunternehmen auftreten, sind die Verhältnisse deutlich undurchsichtiger. So ist in Italien und Spanien die RCS MediaGroup aktiv, die unter anderem den „Corriere della Sera“ sowie die zweitgrößte spanische Tageszeitung „El Mundo“ publiziert. Auf den ersten Blick wirkt die Mediengruppe wie ein reinrassiger Verlag. Doch hinter ihr stehen ebenfalls große Unternehmen, allen voran einmal mehr der Fiat-Konzern. Im Aufsichtsrat sitzt außerdem die Mailänder Investmentbank Mediobanca, die Teil von Berlusconis Fininvest-Holding ist. Gleichzeitig gibt auch Berlusconis Bruder Paolo mit „Il Giornale“ eine Tageszeitung heraus. Die NGO „Reporter ohne Grenzen“, die jährlich die Pressefreiheit in fast 180 Ländern vergleicht, listet Italien unter anderem deshalb momentan auf Platz 57. Damit ist es um die italienische Pressefreiheit schlechter bestellt als um die des Nigers oder Moldawiens. Spanien dümpelt seit Jahren auf unterschiedlichen Rängen in den Dreißigern herum. Schuld daran ist aber keinesfalls nur die RCS-Publikation „El Mundo“, sondern auch die Tatsache, dass es in Spanien kein Informationsfreiheitsgesetz gibt. In Frankreich sind sowohl Tages- als auch Wirtschaftszeitungen in der Hand von Unternehmern, die der konservativen Politik sehr nahe stehen. Bestes Beispiel war im Jahr 2004 die Übernahme des „Le Figaro“ durch Serge Dassault, konservativer Politiker sowie Luftfahrt- und Rüstungsunternehmer. Neben seinem Kerngeschäft besitzt Dassault rund 70 französischsprachige Zeitungen und Zeitschriften.
Kurz nach der Übernahme gab er die Weisung aus, der „Figaro“ dürfe keine Artikel mehr veröffentlichen, die seinen Unternehmen schaden könnten. Ein harter Schlag für eine Tageszeitung, die neben der „Le Monde“ als führendes Meinungsmedium Frankreichs gilt. Die Journalisten mussten sich fügen – bis auf 54 Redakteure, die ihre Anstellung bei „Le Figaro“ kündigten. Vom Chefredakteur, der Dassaults Linie unterstützte, gab es dafür wenig Verständnis: „Wir machen eine Zeitung für Leser, nicht für Journalisten.“ Auch mit Handtaschen und Cognac lässt sich so viel verdienen, dass man in die Presse investieren kann. Vorgemacht hat es Bernard Arnault, der nicht nur reichster Franzose und viertreichster Mensch der Welt ist, sondern auch Nicolas Sarkozys Trauzeuge war. Sein Imperium LVMH, das die Luxusmarken Louis Vuitton, Moët et Chandon sowie Hennessy umfasst, wirft im Jahr über 20 Milliarden Euro Gewinn ab. 2007 konnte Arnault deshalb 250 Millionen Euro in die französische Wirtschaftszeitung „Les Échos“ investieren. Die Journalisten streikten. Sie befürchteten, Arnault werde Einfluss auf die Zeitung nehmen, obwohl er ihnen redaktionelle Unabhängigkeit zugesichert hatte.
Ganz unrecht hatten sie nicht: In der Vergangenheit gab es immer wieder Streit zwischen Arnault und der Chefredaktion, wenn „Les Échos“ in den Augen des Unternehmers zu kritisch über seine Firmen berichtet hatte. Andererseits hatte Arnault als Geschäftsmann einen Riecher, wohin sich Zeitungen entwickeln müssen. Als Weltpremiere führte er 2007 das kostenpflichtige E-Paper ein. „Les Échos“, die bereits vor der Übernahme schwarze Zahlen schrieb, geht es nun noch besser. In Frankreich scheinen vor allem Übernahmen Erfolg zu haben, die durch Landsmänner forciert werden. Weniger Glück hatte 2009 Sergej Pugatschow, in Russland auch als „Putins Rasputin“ bekannt. Er kaufte die Boulevardzeitung „France Soir“, die in ihren Spitzenzeiten täglich bis zu zwei Millionen Leser erreichte. Pugatschow, dem unter anderem die Kriegswerften von Sankt Petersburg gehören, ging mit viel Enthusiasmus, aber wenig Sachkenntnis an den Relaunch der „France Soir“ heran. Er machte seinen 23-jährigen Sohn Alexander zum Chef der Zeitung, der mit der Aussage: „Wenn ich Trash produzieren muss, um Geld zu verdienen, produziere ich Trash“ weltweit für Aufsehen sorgte.
Die „France Soir“, die ein eher gemäßigtes Boulevard-Blatt war, sollte auf Skandal und Crime getrimmt werden. Dafür holte sich Pugatschow junior Inspiration in den Redaktionen des „Daily Mirror“ oder der „Bild“. Zusätzlich verfolgte das Vater-Sohn-Gespann die „Ein-Drittel-Strategie“: Nur noch ein Drittel der ursprünglichen Journalisten sollte seine Arbeit behalten, der Preis der „France Soir“sank von 1,50 Euro auf 50 Cent. Es half nichts: Weder eine sechs Millionen schwere Werbekampagne noch konzeptionelle Unterstützung durch Holger Wiemann, Ex-Manager von Gruner und Jahr, konnten „France Soir“ vor der Pleite retten. 2012 wurde die Zeitung aufgelöst. Generell konnte man 2009 und 2010 den Eindruck bekommen, der Tageszeitungsmarkt sei ein Spielplatz russischer Oligarchen und ihrer Söhne. Alexander Lebedew, im Gegensatz zu Pugatschow entschiedener Putin-Gegner, kaufte gleich zwei englische Tageszeitungen. Der Unternehmer, der früher KGB-Spion war und später mit Banken und Fluglinien sein Geld machte, setzte seinen Sohn Jewgenij als Herausgeber des eben erworbenen „Evening Standard“ ein.
Ein Jahr später investierte Lebedew senior erneut in die britische Tagespresse und kaufte „The Independent“. Auf sein Engagement angesprochen, sagte er: „Zeitungen sind nicht mein Geschäft. Sie sind meine Verantwortung.“ Lebedew hielt Wort: Der „Independent“ blieb unabhängig. In den vergangenen Jahren hat sich die Zeitung in Großbritannien mit aufklärerischem Journalismus profiliert. Dieser blieb den Lesern nicht verborgen: Täglich verkauft der „Independent“ 30 000 Exemplare mehr als vor der Übernahme. Der „Evening Standard“ wurde unter Lebedew zur Gratiszeitung umgewandelt, um der Konkurrenz standzuhalten. Der Qualität seiner Artikel scheint dies keinen Abbruch getan zu haben. Er wird wegen seiner Lokalnachrichten nach wie vor geschätzt. Man könnte die Liste der Unternehmer, die nebenbei im Tageszeitungs-Geschäft sind, endlos fortführen. Allein in der Türkei gibt es zwei HoldingGesellschaften, die ihre Wurzeln in Branchen wie Pharma, Textilien oder Baugewerbe haben und dann die Hand nach türkischen Zeitungen und TV-Sendern ausstreckten. „Es ist keine Ausnahme, dass sich Branchenfremde eine Zeitung zulegen“, sagte Publizist Lutz Hachmeister im Deutschlandfunk. Warum? Sein Kollege Michael Haller glaubt die Antwort zu kennen: „Viele Unternehmer sind der Meinung, dass Printmedien im crossmedialen Kontext eine Zukunft haben.“ Ob Pierre Omidyar auch daran glaubt? Die Ideen des institutionellen Journalismus lösen sich bei dem Großprojekt des Unternehmers gerade auf. Interviewanfragen blockt der Ebay-Gründer ab. So viel ist bekannt: Es gehe ihm um den Schutz der Demokratie. Sie sei bedroht, wenn Politiker Journalisten als Terroristen oder deren Unterstützer brandmarkten und Behörden Redaktionen aufsuchten, um die Vernichtung von Daten zu verlangen.
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