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Die Entscheider Michael Schwieger (links) und Dan-Marvin Frosting beraten sich.
© ZDF und Marcus Winterbauer

ZDF-Doku: „Die Asyl-Entscheider“

Schicksal spielen im Graubereich des Ermessens: Ein ZDF-Film beschreibt die Arbeit im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Im Asylverfahren werden die Krisen der Welt in deutschen Amtsstuben vorstellig. Nicht als abstraktes Problem, sondern von Angesicht zu Angesicht. Männer und Frauen erzählen bei den Anhörungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ihre Geschichten und hoffen auf Anerkennung, Dolmetscher übersetzen, „Entscheider“ arbeiten sich durch einen Fragenkatalog, hören zu, fragen nach, machen sich Notizen. Idealerweise gebe es ein lockeres Gespräch, sagt Dan-Marvin Frosting.

Der junge Mann, kurzes Haar, dunkel umrandete Brille, ist seit 2015 Asyl-Entscheider. Auf seinem Schreibtisch in der Bamf-Außenstelle Bingen steht ein Hochzeitsfoto, irgendwo klebt der mit drei Ausrufezeichen versehene Satz: „Du entscheidest über die Zukunft dieses Menschen.“ Er habe anfangs Bedenken gehabt, diese Stelle anzunehmen, erzählt Frosting. Mittlerweile wirkt er wie einer, der mit Leib und Seele dabei ist. Weil es das Asylrecht geben müsse, müsse es eben auch Leute geben, die „selektieren“. „Und wenn ich der Überzeugung bin, dass es die Selektion geben muss, dann darf ich mir auch nicht zu schade sein, den Job auszuführen“, sagt Frosting.

Der Dokumentarfilm „Auf dünnem Eis – Die Asyl-Entscheider“ wartet mit aussagekräftigem, oft unbehaglichem Anschauungsmaterial auf. Es geht beispielhaft um drei Flucht- und Lebensgeschichten: des iranischen Christen Ashkan, des Afghanen Hamid und des Somaliers Ali. Im Zentrum stehen die Anhörungen. Man bemüht sich um eine „neutrale Gesprächsatmosphäre“. Zugleich ist unverkennbar, dass die Entscheider nach Widersprüchen suchen, die Antragsteller geraten schnell in die Rolle von Verdächtigen. Die Entscheider spielen erst Detektiv, dann Schicksal. Es mag bemerkenswert sein, dass das Amt die Dreharbeiten gestattete. Freilich behielt man die Angelegenheit im Auge. In einer Szene sieht man, wie sich die Entscheiderin Sybille Thomsen an einen Unbekannten außerhalb des Kamera-Blickfelds wendet und flüsternd fragt: „Darf ich das sagen?“

Kommentierende Montage

Die Autorinnen Sandra Budesheim und Sabine Zimmer kommentieren nicht und treten nicht in Erscheinung. Allenfalls die Montage (Julia Wiedwald) lässt ein gewisses Befremden erahnen. Wenn etwa Thomsen aus dem Off die Ablehnung eines Antragstellers begründet, werden dazu Bilder hineingeschnitten, wie sie in aller Seelenruhe die Blumen in ihrem Büro gießt. Bis die Entscheiderin entschied, dauerte es sieben Monate. Allein im Jahr 2016 wurde die Zahl der Entscheider von 370 auf 1775 aufgestockt. Die Autorinnen durften zwar bei der Ausbildung im Bamf-Qualifizierungszentrum Nürnberg drehen. Was die Teilnehmer für diesen Schlüsseljob qualifiziert, nach welchen Kriterien sie ausgewählt werden, erfährt man jedoch nicht. Der Film legt nahe, dass sie überfordert sein werden, vielleicht sein müssen. Die Entscheider verweisen auf die gesetzlichen Vorgaben, aber Frosting spricht auch von einem „sehr großen Ermessensspielraum“. Sein Kollege Michael Schwieger erklärt: „Oft sind die Sachen in einem Graubereich.“ Er müsse die Entscheidungen häufig unter Unsicherheit treffen.

Am Ende berichtet die Jesidin Salizar von den Gräueltaten des IS im Irak. Die Anhörung muss unterbrochen werden, weil auch dem Dolmetscher die Tränen in die Augen steigen. Salizar erhält Flüchtlingsschutz, dem Asylantrag des Iraners Ashkan wird ebenso stattgegeben. Dan-Marvin Frosting ließ ihn die Zelle zeichnen, in der er mehrere Jahre ohne Gerichtsverfahren festgehalten wurde. Fünf Betten, ein Schrank, ein Teppich. Die Skizze trug zu Frostings positivem Beschluss bei. Er sagt, er habe diesen Kniff in einem „Glaubhaftigkeitsseminar“ gelernt. Thomas Gehringer

„Auf dünnem Eis – Die Asyl-Entscheider“, ZDF, Montag, 0 Uhr 05

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