Jubiläum von "3 nach 9": Der zauberhafte Zoo
Es wurde geraucht, getrunken und in den Gesprächspausen knistert es: Die Bremer Talkrunde „3 nach 9“ feiert ihr vierzigjähriges Jubiläum. Eine Hommage an das Kamingespräch im Fernsehen.
Talkshow ist nicht gleich Talkshow, das wissen wir alle. Aber unsere Sehnsucht nach Vereinfachung führt dazu, dass immer, wenn ein paar Nasen beieinander vor der Kamera hocken, das Etikett Talkshow draufgepappt wird. Dabei sind es gerade die Unterschiede, die für Quoten sorgen oder Flops; ob in einer Show gestritten oder getratscht wird, ob Leute über ihr Leben berichten oder über ihre Arbeit, ob es die Kontroverse ist, die das Feld regiert oder die Friedenspflicht, ob Witze zu erwarten sind, politische Statements oder Musik. Solche Vorstellungen charakterisieren eine Show und lenken den Einschaltimpuls.
Es heißt ja: Streit ist spannend und zieht das Publikum an. Da ist was dran. Aber dass nun ein Talk-Format vierzig Jahre alt wird, in dem gute Manieren und das Bedürfnis nach verständnissinniger Kommunikation vorherrschen, sagt uns auch wieder etwas über Programm und Publikum. „3 nach 9“, die einmal im Monat aus Bremen funkende Show, ist längst klassisch, ja, Kult. Bedeutet: Man kann und sollte sie nicht abschaffen. Auch nicht verändern, jedenfalls nicht zu sehr. Wir, das Stammpublikum, die wir das Besondere suchen und das Bewährte schätzen, brauchen sie so, wie sie ist.
Manchmal begossen sich Gäste mit Wein. Meist blieb es friedlich
Unter den mannigfachen Talk-Genres deckt „3 nach 9“ den Typus des Kamingesprächs ab. Die Assoziation dazu: Fremde begegnen sich im Empfangsraum eines Gasthauses, entspannen sich vorm Kamin und erzählen von ihren Reisen. Kamine sind in den letzten Jahren so große Mode geworden, dass der Emissionen wegen schon Auflagen gemacht werden müssen. Beim Kamingespräch ist das nicht nötig, wenn es im Fernsehen läuft. Die besondere Atmosphäre von „3 nach 9“, die für die Beliebtheit der Sendung verantwortlich ist, lässt sich in ein Wort fassen: Wärme.
Es ist diese Laune eines freundlichen Willkommens, die der Show ihren Reiz und ihre lange Lebensdauer beschieden hat. Sicher, es gab Abende, an denen erboste Gäste einander mit Wein begossen oder ein Studiogast zum Kekse-Klau in die Tischrunde einbrach. Aber das hat „3 nach 9“ nicht wehgetan; es waren Signale des Allzumenschlichen, ohne die auch ein Kamingespräch nicht auskommt. Die guten Manieren gewannen schnell wieder die Oberhand, sie waren und sind ja auch kein Krampf, sondern eher Spaß – ganz wie das musikalische Programm, die Sichtbarkeit der Technik, das Gläserklirren und früher der Zigarettenqualm.
„3 nach 9“ hat ein unzerstörbares Wohlfühlklima erschaffen. All jenen, die finden, dass Wohlfühlerei nicht ins Fernsehen gehört, sei erwidert, dass es darauf ankommt, wie man eine solche Atmosphäre nutzt. Gerade beim Kamingespräch kann es ernst zur Sache gehen. Der TV-Gast, der sich von Wellness getragen fühlt, geht aus sich heraus. So können beim Geplauder auch bittere Themen der Zeit anklingen.
Es sind natürlich die Moderatoren, die jene quasi-chemischen Prozesse des Verständnisses, der Einfühlung, der Inspiration und des Widerspruchs erzeugen und lenken. Bei „3 nach 9“ gab es nie den Anspruch, die Welt zu erklären oder zu verbessern, was eine nicht nervöse Heiterkeit im Studio Platz greifen ließ, wie man sie eher selten findet. Zu Beginn 1974 standen neben Marianne Koch als erste Moderatoren die Journalisten Gert von Paczensky und Wolfgang Menge für Humor der hintersinnigen Sorte. Sie haben der Sendung für alle Zeiten diesen programmatischen Stempel verpasst: der Heiterkeit ihrer Epoche zu dienen.
Giovanni di Lorenzo: Ein Wärter im zauberhaften Zoo
Die Nachfolger Lea Rosh, Dagobert Lindlau und Günter Nenning jedenfalls wandelten auf ihren Spuren. Und gab es mal Zoff am runden Tisch unter den Gästen aus allen Gegenden und Branchen, so wurde der Zoff – unterstützt vom Ruf der Sendung und ihrer Wärme – mit charmanter Intervention beigelegt. Am Ende gab es immer Applaus. 1989 übernahm Giovanni die Lorenzo, der heute noch dabei ist, die Moderation, ihm zur Seite standen und stehen Amelie Fried und Judith Rakers. Di Lorenzos Ausdruck ist eher ein skeptischer, Humor steht ihm nicht auf die Stirn geschrieben. Aber was er gut kann und was ein Moderator von „3 nach 9“ auch können muss, ist, sich geschlagen zu geben, wenn ein Gast, den er verbal gezaust hat, dann doch noch einen Punkt macht. Di Lorenzo braucht weder das letzte Wort noch die letzte Pointe. Fast scheu senkt er den Blick, lehnt sich zurück, schaut wieder auf und lächelt in die Runde, als wollte er sagen: Was ist das doch für ein zauberhafter Zoo, dessen Wärter ich hier sein darf.
Der Zoo? Die Gäste? Alle waren sie dort. Beate Uhse, Regine Hildebrandt, Herta Däubler-Gmelin, Fritz Teufel, Peter Scholl-Latour, Mario Adorf, Friedrich Liechtenstein und viele, viele mehr – auch Freaks, die heute keiner mehr kennt. Je heterogener die Runde, so dachte man wohl (und täuschte sich nicht), desto mehr Überraschungen können aus dem Zusammenklang so unterschiedlicher Stimmen entstehen. Am Freitag, zum Jubiläum, werden erwartet: Alfred Biolek, Christiane Hörbiger, Kurt Krömer, Marina Weisband, Campino und Modezar Harald Glööckler. Max Raabe soll singen. Maria Furtwängler gibt die Gastmoderatorin. Das Besondere wird im Bewährten aufgehen und umgekehrt. In den Gesprächspausen wird man es knistern hören.
„3 nach 9“, Freitag, NDR, 22 Uhr
Barbara Sichtermann
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