Nachruf auf Peter Scholl-Latour: In 90 Jahren um die Welt
Er erzählte von Krisen, Konflikten und Kriegen: Peter Scholl-Latour war eine Reportage-Legende, ein gefragter Experte fürs Fernsehen und ein großer Welterklärer. Nun ist der Journalist und Autor mit 90 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Der Journalismus, hat er einmal gesagt, war ihm nur Mittel zum Zweck: Er wollte was erleben. So wurde Peter Scholl-Latour der berühmteste Weltreisende Nachkriegsdeutschlands, ein Welterklärer und Weltversteher, ein Meister der Recherche, Nahostexperte, Politikberater, ein Mann der Superlative. Deutschlands erfolgreichster Sachbuchautor hat die Welt studiert wie ein Buch und sämtliche Länder des Erdballs bereist, zuletzt noch den Tschad und, auf einem Eisbrecher, die Antarktis. „Vielleicht fehlen noch ein paar Riffe im Pazifik und ein paar kleine Inseln in der Karibik“, sagte er im März im Tagesspiegel-Gespräch anlässlich seines 90. Geburtstags, zu Hause in seiner Dachgeschosswohnung in Berlin-Charlottenburg.
In dieser Wohnung, eigentlich drei nebeneinanderliegenden Apartments, findet sich die halbe Welt. Der Dachgarten vietnamesisch gestaltet, der Teppich orientalisch, an der Wand russische Ikonen und ein Bild aus Aserbaidschan, auf dem Boden Landkarten von Madagaskar, Algerien, Australien. Scholl-Latour führte Besucher gerne herum, besonders stolz war er auf jene Ecke, die seine Frau für ihn eingerichtet hatte. Hier hingen Bilder von den großen Momenten seiner Laufbahn: Scholl-Latour auf einem Pferd in Afghanistan, in die Kluft der Mudschahidin gehüllt, als junger Mann im laotisch-chinesischen Grenzgebiet, mit dem Ajatollah Chomeini im Iran. Er nannte es den „Altar“; sein spöttisches Lachen gehörte zu seinen Markenzeichen wie seine undeutliche Aussprache, der berühmte Scholl-Latour-Sound. Und gleichzeitig dankte er seiner Frau Eva: Sie habe ihn immer reisen lassen...
Im März war ihm sein hohes Alter deutlich anzumerken
Bei der Begegnung im März war ihm sein hohes Alter deutlich anzumerken. Er trug ein Hörgerät, verlor sich oft in seinen Geschichten. Mit Fragen drang man zu ihm, der immer einen Hang zum Monologisieren gehabt hatte, nur noch schwer vor. Altersmilde ist Peter Scholl-Latour bis zum Schluss nicht gewesen. Er schimpfte gern, sah sich als Kämpfer gegen die political correctness, ließ gegenteilige Meinungen kaum gelten. Aber wer seine Thesen hören wollte, mit dem sprach er gern – auch mit der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Es scherte ihn wenig, ob er sich Freunde oder Feinde machte mit seinen Überzeugungen.
Auf den Reisen für seine über 30 Bücher (Gesamtauflage: rund 10 Millionen Exemplare), seine zahllosen Reportagen und Filme hat er sie alle getroffen: Chomeini, Assad, Papa Doc, Gaddafi, Kabila – die Diktatoren und bad guys der Welt. „Ich habe das Talent, mich mit den Ganoven ganz gut zu verstehen“, meinte er kokett. Europa, so lautete sein unkokettes Credo, ob es nun um den Nahen Osten, die Islamisten, den Iran, Russland, China, Haiti oder Mali ging, kapiert nichts, verhält sich naiv oder überheblich, verteufelt seine Gegner, macht vieles falsch. Weil es die Lage und die Leute vor Ort nicht kennt. Weil der Westen nicht tut, was Peter Scholl-Latour zeitlebens tat: Neugierig sein, hinfahren, Menschen treffen, reden, fragen, sich ein Bild machen. Und nicht im Mainstream der veröffentlichten Meinung schwimmen.
Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? In Talkshows und Interviews legte er unentwegt dar, dass die Welt nicht schwarzweiß ist, sondern in allen denkbaren Grautönen schillert. Er war ein Republikaner mit konservativen Zügen, ein Freigeist, der wider den Stachel löckte. Eine Haltung, die nicht zuletzt von seiner Herkunft rührte. Die Mutter stammte aus einer elsässischen jüdischen Familie, der Vater war Arzt in Bochum, so wuchs er gleich mit zwei Ländern auf, mit zwei Pässen und zwei Sprachen. Bis zuletzt blieb Frankreich seine zweite Heimat; er besaß auch ein Haus am Mittelmeer.
Die Schulzeit verbrachte der am 9. März 1924 geborene Sohn wegen der Nazis zeitweise in der Schweiz. Er versuchte, für Titos Partisanen zu kämpfen, wurde jedoch auf der Fahrt in den Balkan von der Gestapo gefangen genommen, bis zum Kriegsende. Das „Dritte Reich“ überlebt zu haben, es machte ihn angstfrei. Gleich 1945 ging er als französischer Fallschirmspringer nach Indochina.
Scholl-Latour konnte komplexe Konflikte gut erklären
Seinen Wissensdurst stillte er dann in Mainz und an der Sorbonne, studierte Philologie und Politikwissenschaft, später Arabistik und Islamkunde in Beirut – um 1948 die journalistische Laufbahn einzuschlagen, bei der „Saarbrücker Zeitung“. Der junge Reisejournalist sah Amerika, Afrika, den Vorderen Orient, Teile Südost- und Ostasiens. Auch mit der Politik versuchte er es kurz, als Regierungssprecher im Saarland, dann zog es ihn wieder in die Welt. Bald wurde das in Deutschland noch junge Fernsehen auf ihn aufmerksam, Scholl–Latour ging 1960 als ARD-Korrespondent nach Afrika, ab 1963 leitete er das ARD-Büro in Paris; seiner Sympathie für Charles de Gaulle verdankt sich das Buch „Im Sog des Generals“. 1969 wechselte er als Fernseh- und Programmdirektor zum WDR, 1971 als Chefkorrespondent zum ZDF, für das er von 1975 bis 1983 zusätzlich das Pariser Studio leitete. Sein Ausflug als Chefredakteur zum „Stern“, dessen Reputation wegen der gefälschten Hitler-Tagebücher gerade erheblich gelitten hatte, war hingegen nach einem Jahr beendet..
Nicht die Leitung eines Medienbetriebs war seine Stärke, sondern die Fähigkeit, komplexe politische, religiöse oder militärische Konflikte einem breitem Publikum zu erklären. Allein von seinem Buch über den Indochina-Konflikt, „Tod im Reisfeld“ verkauften sich bis heute 1,3 Millionen Exemplare. Auch erkannte Scholl-Latour früh, zu welchen Verwerfungen es in der islamisch-arabischen Welt kommen würde. Bereits 1983 beschrieb er die historischen Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten, in „Allah ist mit den Standhaften – Begegnungen mit der islamischen Revolution“. In den politisch-religiösen Grenzregionen, den „Wirren der Gegenwart“, so der Untertitel seines jüngsten Buchs über „Die Welt aus den Fugen“, fühlte er sich immer zuhause.
Sehen Sie hier das Video mit Peter Scholl-Latour zu "Russland im Zangengriff- Putins Imperium zwischen Nato, China und Islam"
„Ich möchte auch gerne in Würde sterben“, wünschte sich Scholl-Latour
Die akademische Welt hat ihn für seine populäre Art, sich den großen Krisenherden in Afrika und Asien zu nähern, nicht gerade geliebt, sie war ihm Vereinfachung der Fakten vor. Was das Fernsehen nicht daran hinderte, Scholl-Latour als Experten vor allem für den Nahen Osten und den Islam zu Christiansen, Maybrit Illner oder Günther Jauch einzuladen und ihn mit zahlreichen Ehrungen auszuzeichnen, vom Grimme-Preis bis zur Goldenen Kamera. Seine Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft wurden 2005 mit der Aufnahme in die Ehrenlegion gewürdigt.
Bei der Begegnung im März sprach er offen über seine Angst vor Schlaganfall und Demenz, davor, „jahrelang an Schläuchen zu hängen“. Ihm, dem gläubigen Katholiken, würde Suizid schwer fallen, trotzdem könne er einen Mann wie Gunter Sachs verstehen, der sich nach einer Alzheimer-Diagnose erschossen hatte. „Ich möchte auch gerne in Würde sterben.“ Es war ihm wohl vergönnt. Peter Scholl-Latour, der Mann, der den Deutschen die Kriege und Krisen der Welt erklärte und seiner Reiselust zeitlebens nachgehen konnte, hat gearbeitet bis zuletzt. Im September bringt der Propyläen-Verlag sein Buch „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient“ heraus. Am gestrigen Samstag ist der 90-Jährige in seinem Haus in Rhöndorf am Rhein gestorben.
Lesen Sie hier auch das Interview mit Peter Scholl-Latour vom März "Ich verstehe mich gut mit Ganoven".
Björn Rosen, Kurt Sagatz, Christiane Peitz
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