Noch neun Mal, dann ist Schluss: Der Tagesspiegel-Countdown zum Ende der „Lindenstraße“, Teil Zwei
Züge an den Niederrhein und Ratten-Tattoos von Beate Flöter: Klaudia Wick erinnert sich mit der „Lindenstraße“ an Elternbesuche.
Klaudia Wick kuratierte die Präsentation „Leben, sterben, Hochzeit feiern - die Lindenstraße“ in der Deutschen Kinemathek. Am Sonntag läuft die neuntletzte Folge der Familienserie [ARD, 18 Uhr 50], deren Countdown bis zum 29. März wir hier abzählen (in der ersten Folge mit Michael Meisheit).
Als im Winter 1985 die erste Folge der „Lindenstraße“ ausgestrahlt wurde, war ich gerade vom Niederrhein nach West-Berlin gezogen. Gut neun Stunden benötigte der Zug – Transitstrecke und Lokwechsel inklusive. Nach München wären es „nur“ sechs gewesen.
Die „Lindenstraße“, die zwar in München spielt, aber in Köln gedreht wurde, erwies sich für mich unerwartet als ein Stück Heimatfernsehen: Der rheinische Singsang der Kinderdarsteller klang vertraut in meinen Ohren – Else Klings Bühnen-Bayerisch dagegen fern und fremd. Beate Flöter mochte ich deshalb am meisten. Auch weil sie so motzig war.
Zum zehnjährigen Jubiläum der Serie fuhr ich – inzwischen Medienredakteurin der „taz“ – für Recherchetage in die Studios nach Bocklemünd – mit dem Auto über die A2 dauerte das 1995 rund sieben Stunden. Bei aller professioneller Distanz fiel es mir schwer, nicht „Hallo Herr Beimer!“ zu rufen, wenn Hermann Luger aus der Maske kam.
Beate Flöter interessierte mich nicht mehr. Dass sie Robert Engel eine Ratte auf den Hintern tätowiert haben sollte, fand ich albern. Überhaupt verlor ich die „Lindenstraße“ aus den Augen: Ab und zu schaltete ich am Sonntagabend ein, das war wie ein Elternbesuch: Man wundert sich, wie wenig sich im Dorf verändert hat.
Heute braucht der ICE nach Köln viereinhalb Stunden. Auch die „Lindenstraße“ und ich sind wieder näher aneinander gerückt. Als Kuratorin der „Sammlung Lindenstraße“ habe ich mir Folgen nochmals angesehen und festgestellt: Es wird viel Bayerisch gesprochen! Es ist in meiner Abwesenheit viel passiert.
Am Niederrhein habe ich nun keine Verwandten mehr – alle tot. Aber wenn ich dort bin, fängt meine Stimme an zu singen.