"Tatort" aus Köln: Der Flüchtlings-"Tatort"
"Was macht einer wie Sie bei der Bürgerwehr?" Schon wieder widmet sich der "Tatort" dem Flüchtlingsproblem - und das ist auch gut so.
Wann immer das Erfolgsgeheimnis des „Tatort“-Krimis diskutiert wird, ist von der gesellschaftlichen Relevanz des Formats die Rede. Der „Tatort“ wird gerne als politisches Fernsehspiel, in dem gesellschaftliche Realität verarbeitet werden kann, gelobt. Viel mehr gesellschaftliche Realität als die Flüchtlingsproblematik gibt es offenbar derzeit nicht, mit dem Kölner „Tatort“ – „Wacht am Rhein“ liefert zum dritten Mail in Folge, zum sechsten Mal in den vergangenen Monaten, der Streit über die Aufnahme von Flüchtlingen den Hintergrund für einen Mordfall in der ARD-Sonntags-Primetime.
Läuft da was schief, oder muss das so sein? Den wie stets aufrechten Kölner Ermittlern Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ist am wenigsten ein Vorwurf zu machen. Auch nicht Autor Jürgen Werner, dem mit „Wacht am Rhein“ eine spannende, zutiefst ausgewogene Krimigeschichte um mangelnde Integration und wachsende Kriminalität gelungen ist, in der es kein Schwarz-Weiß gibt. Der beste „Tatort“ zum Thema in jüngster Zeit (Regie: Sebastian Ko), mitten aus der Stadt mit der unrühmlichen Silvesternacht und der Aufregung im Jahr drauf um angemessene Polizeieinsätze und das Thema „Nafris“.
Was man dem Plot auf den ersten Blick gar nicht ansieht. Nach dem Mord am Sohn eines Zoo-Händlers gerät ein junger marokkanischer Kleinkrimineller unter Verdacht – der vorher die Schwester des Toten belästigt hatte – und damit ins Visier einer selbst ernannten Bürgerwehr, die ihr „Veedel“ vor Überfremdung und vermehrten Einbrüchen schützen will. Ihr Anführer: Dieter Gottschalk (Sylvester Groth), ein Ex-Cop, der die Stimmung mit rechten Parolen aufheizt. Na klar, der Marokkaner war’s.
„Was macht einer wie Sie bei der Kölner Polizei?“
Ohne die Unverfrorenheit, mit der Ausländerclans sich über deutsches Recht erheben und Vorurteile der Populisten auf der anderen Seite kleinzureden – der Riss geht hier nicht nur zwischen den Kulturen. Am Ende stehen sich, ohne zu viel zu verraten, Marokkaner und Deutsche selbst im Weg. Ein Strudel aus Vorurteilen, Halbwahrheiten.
Passend dazu der Dialog zwischen dem dunkelhäutigen Assistenten von Schenk und Ballauf, Tobias Reisser (Patrick Abozen), und einem Mitglied der Bürgerwehr, einem marokkanischen Ladenbesitzer, der lange im „Veedel“ lebt: „Was macht einer wie Sie bei der Bürgerwehr?“ Antwort: „Was macht einer wie Sie bei der Kölner Polizei?“
Merke: Mit „einer wie Sie“ kommen wir nicht weiter. Wahrlich ein politisches Fernsehspiel. Und damit zurück zu den Fragen an den ARD-„Tatort“. Nicht bei jeder gesellschaftlichen Realität ist der „Tatort“ so nahe dabei wie bei den Flüchtlingen. Der geplante Dortmunder Terror-„Tatort“ am Neujahrstag wurde nach dem Lkw-Anschlag vom Breitscheidplatz gegen den Rostocker „Polizeiruf 110“ ausgetauscht.
Das war und ist vor allem auch deswegen verwunderlich, weil einen Tag später in der ARD ein Krimi mit Heiner Lauterbach lief, „Spuren der Rache“, in dem es einen Bombenanschlag am Gendarmenmarkt gab, mit etlichen Toten.
Der „Tatort“ könne als Fernsehfilm mit aktuellen Themen im Gegensatz zum „normalen“ Krimi immer schneller von der schrecklichen Wirklichkeit eingeholt werden, sagt Gebhard Henke, der „Tatort“-Koordinator der ARD verweist auch darauf, dass der Krimi „Spuren der Rache“ Feiertagsprogramm war und von der ARD-Programmdirektion geplant wurde.
„Der Respekt vor den Opfern und der Schock, unter dem wir tagelang standen, verdient aber auch Sensibilität in der Platzierung von einem ,Tatort‘ mit einem Terroranschlag. Alle haben mitbekommen, dass diese Entscheidung in der ARD intensiv und auch mit unterschiedlichen Haltungen diskutiert worden ist. Ich finde das angemessen.“ Werte unterlägen einem stetigen Wandel. Noch in den 80er Jahren war an hohen kirchlichen Feiertagen das Senden eines Krimis tabu. Heute gebe es sogar „Tatort“-Gottesdienste in der Kirche.
Das Thema Flüchtlinge wird den „Tatort“ weiterverfolgen. Die „Tatort“-Redaktionen, so Henke, hätten mit ihren Stoff- und dadurch auch Themenentscheidungen sowie einem zeitlichen Vorlauf von eineinhalb Jahren inhaltliche Schwerpunkte wie journalistische Redaktionen auch. „Aufgrund der sich oft verschiebenden Fertigstellung der Filme und einem sinnvollen Rhythmus der Teams können, leider, thematische Massierungen nicht so entzerrt werden, wie es wünschenswert wäre.“ Wenn das Flüchtlingsthema so differenziert aufgegriffen wird wie in diesem „Tatort“, läuft da nichts schief.
„Tatort – Wacht am Rhein“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15