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Man hat ihm auch vieles nachgesehen. Thomas Gottschalk und seine Auftritte in „Wetten, dass..?“. Er gilt als einer der letzten Entertainer der alten Schule.
© Foto dpa

Thomas Gottschalk wird 70: Der ewige Thommy

Über 40 Jahren eine Größe im Showbiz und dabei die Abendunterhaltung revolutioniert – eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Thomas Gottschalk.

Das Alter ist ein schwindsüchtiges Wesen. Ende der Achtziger war 40 das neue 30. Zehn Jahre später wurde die 50 im Jugendwahn der Best Ager zur neuen 40. Im Jungbrunnen des Millenniums galt die 60 als flotte 50. Und dass nun selbst jene, die Ende der Achtziger Greise waren, so manchen Thirtysomething von damals an Fitness übertreffen, beweist am Sonntagabend ein Mann, der die Messlatte des Alterns seit vier Dekaden tieferlegt: Thomas Gottschalk.

Am Montag wird der zeitloseste Kindskopf im Showbiz 70. Und wenn ihm das ZDF eine Party schenkt („Happy Birthday, Thomas Gottschalk!“, Sonntag, ZDF, 22 Uhr 15), muss man sehr nah am Bildschirm sitzen, um das wahre Alter von Thommy zu erkennen. Thommy, die blonde Frohnatur, wie ihn der Boulevard feierte. Thommy, der „göttliche Bub“, wie ihn Martin Walser mal pries. Thommy, eine Art King Father jenes Quotenkaiserreiches, in dem sonst nur König Fußball freien Zutritt hatte.

In all seiner Frische war Thommy stets die Chiffre bundesdeutscher Nachkriegsläuterung. Ein instinktives Showtalent, dem das Publikum lange Zeit noch das peinlichste Bühnenoutfit nachsah, die dünnsten Interviews, sogar den neunten Auftritt von Joe Cocker. Aber auch eines, das mit Hingabe öffentlich geschlachtet wurde, wenn es mal wieder Couchgäste begrabbelt oder dummes Zeug gesabbelt hatte. Denn Thommy dient der alten German Angst vor Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft parallel zur allgemeinen Vergötterung auch als Boxsack, seit er vor 38 Jahren den Durchbruch feierte.

Seinerzeit trat das Radiogewächs („Pop nach acht“) aus der Nachmittagsnische („Telespiele“) ins Rampenlicht dessen, was später access prime time getauft wurde: Jenes Vorabendprogramm, das die Republik dreier Kanäle fürs Lagerfeuer nach der „Tagesschau“ anwärmen durfte. In der Kraut- und Rübenrevue „Na sowas!“, machte der charmante Bilderstürmer ab 1982 alles zugleich, aber nichts mehr wie die Showfossile von Kulenkampff bis Ilja Richter, der bei aller Schnodderigkeit noch ziemlich strukturkonservativ entertainte.

Thommy verabschiedete einen Wünschelrutengänger aus dem Bauch heraus mit „ich wünschel ihnen alles Rute“, begann Altvordere zu duzen und qualifizierte sich im brandneuen Stroboskopgewitter des dualen Systems für die Moderation der Ifa 87 namens „Na siehste!“, wo ein gewisser Herr Jauch mitmischte.

Begleitet. Nicht gelenkt

Von dort aus dauerte es nur Wochen, bis Gottschalk auf Frank Elstners verwaister Wettcouch saß und die Abendunterhaltung revolutionierte. Mit Ende 30 stand Gottschalk mit „Wetten, dass?“ auf dem Gipfel der Unterhaltungsgenüsse.

Und das bis 2011, ein Jahr nach jener schicksalhaften Sekunde, die einen seiner Kandidaten in den Rollstuhl brachte und den goldbefrackten Showmaster zu unerwarteter Demut. Doch was heißt unerwartet: Trotz und wegen missratener Genrewechsel, die ihn vom ZDF übers Kino zu RTL führte, von den „Supernasen“ über seine Late-Night-Misere in die Quarantäne-WG, trotz und wegen der folkloristischen Selbstverwaltung des eigenen Erbes: im multimedialen Krieg der LED-Wände bleibt Gottschalk der letzte Mohikaner einer Zeit, als Reflexion nicht nur gespiegeltes Scheinwerferlicht war und Esprit mehr als ein Moderatorenausstatter.

Wenn er sein Sitzfleisch mit dem der Queen oder Fidel Castros vergleicht, wenn er sich als „Grüßaugust“ bezeichnet, der „platzende Seifenblasen präsentiert“, wenn er einräumt, „immer nur geliebt werden“ zu wollen, wenn er bei jeder Gelegenheit seinen Altersstarrsinn persifliert und dabei die Lockenpracht schüttelt, dann steckt darin jene Selbstironie, an deren Mangel ein Markus Lanz so krachend gescheitert ist.

In einer Zitatsammlung des ZDF zum Jubelfest klingt das so: „Ich bleibe zwei Generationen als Mensch in Erinnerung, der sie samstagabends mit mehr oder minder guten Sprüchen zu mehr oder minder guten Wetten mehr oder minder berühmter Menschen“ begleitet habe. Begleitet. Nicht gelenkt.

Mehr dabei als mittendrin also. Dass er sich dennoch als „Ausnahmeerscheinung unter Stammlern“ bezeichnet und als „König des Radios“, für das er sein Exil in Florida wieder öfter mal in Richtung seiner oberfränkischen Heimat verlässt – geschenkt.

Wer auf so opulenten Bühnen so viel Erfolg hatte und dennoch fähig zur kritischen Sicht auf sich selbst ist, darf sich ein wenig Eigenlob gönnen. Schließlich gibt es keine Figur des deutschen Fernsehens, die davon mehr verdient hätte als dieser Scheinriese aus Bamberg.

Jan Freitag

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