Tour de France in der ARD: „Das Publikum wollte die Tour zurück“
Die ARD sieht den Radsport beim Dopingkampf auf dem richtigen Weg. Mehr Tour gibt es bei Eurosport, denn der Sender will „Home of Cycling“ bleiben.
Die einen nennen sie „rollende Apotheke“, für die anderen ist es das größte Sportereignis des Jahres und zugleich ein vorgezogener Frankreichurlaub vor dem Fernseher. Vom Sonnabend an rollt die Tour de France wieder drei Wochen lang durch Deutschlands Nachbarland und die ARD berichtet nach dreijähriger Pause wieder live von der Strecke. „Für uns war sehr wichtig, dass das Publikum immer mehr den Wunsch geäußert hat, die Tour de France wieder bei uns zu sehen. Die Leute sind teilweise massiv auf uns zugekommen“, begründete ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky den Wiedereinstieg.
Mindestens genauso wichtig war für den öffentlich-rechtlichen Sender allerdings, dass der Radsport sichtbar etwas gegen Doping unternimmt. „Der Verband ist da weiter, als viele andere“, sagte Balkausky dem Tagesspiegel. Natürlich gebe es auch heute noch Doping im Radsport. „Wir sind ja nicht naiv, aber der Weg, den die Sportart geht, der ist richtig“. Zudem habe Deutschland sehr erfolgreiche Fahrer einer neuen Generation, die sich eindeutig gegen Doping positionieren. Entsprechend erfreut sind die Radler über die ARD-Rückkehr. „Das ist eine super Sache, eine Gipfelbezwingung. Das ist ein riesengroßer Gewinn für den Radsport“, lobt Radprofi John Degenkolb.
Früher teilten sich ARD und ZDF die Tour-Berichterstattung, doch das Zweite hatte die Mittel bereits anders verplant. Auch bei der ARD gilt eher die Devise Kleckern statt Klotzen. „Wir übertragen, grob gesagt, die Zielankünfte und die letzte Rennstunde davor. Bei den großen Bergetappen weiten wir den Zeitrahmen natürlich etwas aus“, sagt Balkausky. Im Livestream auf der Webseite überträgt das Erste hingegen deutlich länger, hier geht es mitunter bereits kurz nach 13 Uhr los.
Früher unterhielt sich Marcel Wüst mit Monica Lierhaus, jetzt verzichtet die ARD auf einen Experten
Auf einen Experten aus dem Profibereich verzichtet die ARD dagegen, kommentiert wird wie zuvor von Florian Naß, im Ziel wird Michael Antwerpes moderieren. „Ich denke mal, dass wir maximal ein Drittel des Aufwandes betreiben, den wir früher gestemmt haben“, so der ARD-Sportchef. Das entspricht der Entwicklung der Zuschauerzahlen vor dem Ausstieg von ARD und ZDF. Zu Jan Ullrichs Hochzeiten lagen die Marktanteile bei 30 Prozent, nach den immer neuen Doping-Skandalen sank die Quote auf acht Prozent. Der neue Vertrag mit dem Tour-Veranstalter ASO soll entsprechend eine Doping-Klausel enthalten, dennoch lehnt die ARD eine Kopplung von Berichterstattung und Doping ab. „Wir werden auch jetzt nicht sagen, wenn es bei der Tour zwei Dopingfälle gibt, steigen wir wieder aus. Das wäre absurd“, sagte der Sportkoordinator.
Die ARD-Doping-Redaktion mit Hajo Seppelt wurde bei der Entscheidung zum Tour-Wiedereinstieg einbezogen. „Natürlich reden wir mit unserem Anti-Doping-Experten, der im vergangenen Jahr eine Dokumentation über den Radsport gedreht hat. Die Kernaussage darin war klar: Der Kampf gegen Doping im Radsport ist noch lange nicht zu Ende, aber die Maßnahmen gegen die pharmazeutische Manipulation sind deutlich weiter, als in vielen anderen Sportarten.“
Ein nach wie vor konfliktgeladenes Thema ist die Unabhängigkeit des Senders. Die ARD war lange Co-Sponsor des Team Telekom. In diesem Jahr bucht der bayerische Küchenzubehör-Hersteller Bora, der mit dem kanadischen Radhersteller Argon 18 Sponsor des Radteams Bora-Argon 18 ist, Presenter-Spots bei der ARD-Werbung. Für Balkausky kein Problem: „Genau wie im Printjournalismus ist auch innerhalb der ARD durch strikte strukturelle Abgrenzung der kommerziellen Tätigkeit von der journalistischen Berichterstattung im Sport und überall sonst sichergestellt, dass Sponsoren- und Werbeinteressen keine Relevanz für die journalistische Arbeit und die programmliche Unabhängigkeit haben“, sagte er.
Wie reagiert Eurosport auf die ARD-Rückkehr?
Von der Tour-de-France-Abstinenz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in den vergangenen drei Jahren hat in Deutschland der Spartensender Eurosport profitiert, der in dieser Woche durch eine IOC-Entscheidung von sich reden gemacht hat, nach der die Medienrechte für die Olympischen Spiele 2018-24 an Eurosport und dessen Muttergesellschaft Discovery verkauft wurden. Was es für Eurosport bedeutet, wenn das Erste nun wieder von der Frankreichrundfahrt berichtet, darüber will der Sender nicht spekulieren. Ohne die ARD kam Eurosport mit der Tour auf einen Marktanteil von drei bis vier Prozent. Den größten Erfolg hatte der Sender 2009 mit 1,2 Millionen Zuschauern während einer Tour-Etappe. Damals hatten ARD und ZDF nur ein Rumpfprogramm gesendet.
Doch wie reagiert Eurosport auf die Rückkehr des Konkurrenten? Als Sender, der sein Programm gleichzeitig in 50 Ländern ausstrahlt, kann sich Eurosport nicht an den Programmplanungen und Strategien einzelner nationaler Sender orientieren – „selbst wenn es sich um einen wichtigen und renommierten Anbieter wie das Erste im größten Eurosport-Einzelmarkt Deutschland handelt“, wie der Sender dem Tagesspiegel sagte. Die Strategie sieht hingegen so aus, „die bestmögliche und umfassendste Berichterstattung zu liefern“, so der Sender.
Das Tour-Programm von Eurosport hat einen Umfang von 330 Stunden, davon 90 Stunden live. Experten wie Greg LeMond und die deutschsprachigen Reporter Karsten Migels und Jean-Claude Leclercq werden bis zu sechs Stunden täglich live berichten. Für die arbeitende Bevölkerung gibt es am späteren Abend Highlight-Sendungen. Anders als das Erste überträgt Eurosport zudem andere Radsport-Events wie den Giro d’Italia, die Spanienrundfahrt sowie eine Vielzahl von Radsport-Klassikern. Insgesamt kommt Eurosport so auf 1800 Stunden Radsport. „Wir sehen uns deshalb als ,Home of Cycling‘ in Europa.“
Die Unterschiede zwischen Eurosport und ARD sind allerdings nicht nur quantitativer Natur. Beim Spartensender steht das sportliche Geschehen und die Analyse der Taktik der Teams im Vordergrund. Land und Leute spielen eine untergeordnete Rolle. Auch im Umgang mit der Doping-Problematik gibt es Unterschiede. Doch während das D-Wort den Eurosport-Kommentatoren früher nur schwer über die Lippen kam, machen Migels und Leclerq inzwischen deutlich, hinter welchen Erfolgen sie ein Fragezeichen setzen. Offiziell lautet die redaktionelle Richtlinie: „Die Journalisten bei Eurosport und die Experten müssen die Ereignisse mit der notwendigen Sorgfalt, Objektivität und kritischen Distanz zum Event und den Protagonisten begleiten. Dieser Leitlinie fühlen wir uns bei allen Sportarten und Events verpflichtet.“ Allerdings sind nicht die Sender für eine saubere Tour verantwortlich, sondern die Sportler und die Teams.
„Tour de France, 1. Etappe Einzelzeitfahren“, Samstag, Eurosport, 14 Uhr; ARD, ca. 16 Uhr 05
Jürgen Löhle, Kurt Sagatz