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Mit Corona-Abstand bei „hart aber fair“: Anchormen wie Frank Plasberg (rechts) versuchen, zumindest für eine gewisse Zeit Ruhe in die Unruhe zu bringen.
© Tsp

Fernsehen in Zeiten des Virus: Das Medium der Massen

In der Stunde der Katastrophe zeigt sich, welchen Medien die Menschen am meisten vertrauen - und was vertrauenswürdige Fernsehgesichter ausmacht.

Von Stanislav Jercy Lec stammt der Satz: „Vergessen wir nicht, dass auch uns die Bakterien – von der anderen Seite des Mikroskops – betrachten.“ Nehmen wir einmal an, diese ironische Metapher würde Realität beschreiben – was würde das Virus beim Blick durch die Linse zu sehen bekommen, wenn es sich für Fernsehen interessierte? Dass es in minimaler Zeit maximale Aufmerksamkeit gefunden hat: eine große Zahl von Sendungen mit großen Quoten. Das Virus sähe uns mit gewaschenen Händen voller Spannung vor dem Schirm sitzen. Doch nicht nur uns, die Treuen, sondern auch hartleibige Fernsehverächter, die heimlich zuschauen, was sie nie zugeben würden. Das Virus würde Alexander Kluge recht geben, wenn er sagt, dass das Leitmedium immer das Medium ist, um das sich das Publikum im Angesicht der Katastrophe schart. Das Virus würde ergriffen raunen: Fernsehen – ein tolles Medium! Da kommen wir vor.

Ist es also wie immer? Schiffbruch mit Zuschauer (Hans Blumenberg), so wie bei Lengede und Winnenden, bei 9/11 und dem Tsunami? Auf den ersten Blick: ja. Die Menschen suchen im Moment des Schreckens Halt und Verlässlichkeit. Die finden sie in den Autoritäten, denen sie im Zweifel vertrauen. Die ihnen erklären, was da gerade passiert. So wie der Notstand für die Politik die „Stunde der Exekutive“ ist (Carl Schmitt), so ist das Fernsehen in der Stunde der Katastrophe das Medium der Massen, die Stunde der Anchorwomen und Anchormen. Sie vereinfachen, bündeln, suggerieren Überblick und haben ihn vielleicht auch. Es ist die Stunde der säkularen Hohepriester, die uns sonst gelegentlich durch ihr Gehabe auf den Geist gehen können, deren Geist jetzt aber Konjunktur hat, solche wie Marietta Slomka, Claus Kleber und Harald Lesch, Caren Miosga, Ingo Zamparoni und Frank Plasberg, die für eine halbe Stunde oder eine ganze Ruhe in die Unruhe bringen (wollen). Die man jetzt plötzlich auch mit milderen Augen sieht. Die sich kümmern. Denen man die Anstrengung anmerkt.

Nicht neu, aber anders

Die verbindende Kraft der Katastrophe, die Versammlung der Mediennomaden am elektronischen Lagerfeuer ist zunächst nichts Neues. Und doch ist es diesmal anders. Nicht nur, dass man sich nicht zu Gottesdiensten versammeln kann. Nicht nur, dass jeden Zuschauer das treffen kann, wovon er da hört. Neu ist, dass das Virus nicht erkennen lässt, wie lange es uns und wen unter uns es quälen wird. Das kennen wir so nicht. Und das nicht nur, weil wir 1918/19 nicht dabei waren, als die Spanische Grippe tobte. Sondern auch, weil wir zum ersten Mal in aller Schärfe erleben, was es heißt, wenn das Analoge am Ende alles Digitale sticht.

Zunächst freilich protzt das Digitale, nicht nur mit dem Homeoffice oder der Digital Hall; und mit Igor Levit über Twitter, sondern auch als der breite Strom der Information. Er quillt aus dem Netz und mischt sich. Es gibt seriöse Nachrichtenportale und eine Menge weniger seriöse Wichtigtuer, von denen man nicht weiß, ob sie faken, sich lustig machen oder einfach ihren Verschwörungstheorien die Sporen geben. Das Gerücht mischt kräftig mit. Publizistische Trittbrettfahrer lassen es krachen. Mehr als sonst stößt man auf Gefühlsprosa („Schreib! Deine! Gefühle!“), die sich als Information verkleidet. Ein Video jagt das andere.

Doch je mehr davon zu haben ist, desto wichtiger wird das Leitmedium Fernsehen. Es muss die Antwort auf die Frage geben, was von alledem als wichtig und richtig übrig bleibt: auch hier eine Triage, die sortiert, von Relevanz bis Müll. Das ist zugleich die Güteprüfung für ein Fernsehen in schweren Zeiten. Mein Eindruck ist: bisher hat das Fernsehen diese Prüfung bestanden. Dem Virus, das durch die Linse blickt, kann das nicht recht sein. Denn es mindert seinen Einfluss. Auf dem schmalen Grat zwischen Panikmache und verlegener Schweigsamkeit bewegen sich ARD und ZDF nur selten zu schnell und zu aufgeregt. In der Regel halten sie ihr Publikum mit dem Wichtigsten und mithilfe der Wichtigsten, der Virologen und der politischen Entscheider, auf dem Laufenden.

Warum sind die Sender sonst nicht so flexibel?

Da mag man sich an dem Gockelgehabe mancher Experten stören, denen ihr Image wichtiger ist als das Publikum. Oder an den immer gleichen sprachautomatischen Politikern. Und wie immer ist das den einen alles zu viel, und die anderen können nicht genug davon bekommen. Doch das bleibt am Ende belanglos. Denn bei allen Verboten existiert noch immer die persönlich verfügbare Freiheit des Ein- und Ausschaltens. Zudem zeigen sich ARD und ZDF – weshalb nur jetzt? – erstaunlich flexibel. Gert Scobel rühmt, was für ihn das Normale wäre: dass „der Programmablauf einfach geändert“ wird. Dabei geht es diesmal nicht um Sport, den man erst vermisst und dann vergisst. Ein so einfaches wie geniales Format wie der NDR-Podcast (ja, auch das Radio blüht auf) mit Christian Drosten fesselt mehr als der dritte Fehlschuss im vierten Biathlon am fünften Wochenende. Es gibt neue Zielgruppenprogramme, ausgegraben aus dem sonst eher ausgetrockneten Boden der redaktionellen Fantasie, die daran erinnern, was Fernsehen auch noch kann.

Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann allenfalls ein Defizit an Programmen, die das Kollaterale dessen behandeln, was der Virus sonst noch alles an- und hinrichtet, was neben Medizin, Hygiene und Börse im Verborgenen passiert. Was macht der Virus aus einer reisefreien Gesellschaft, die gestern noch nahezu überall hinfliegen konnte? Welche Daseinsfragen werfen Quarantäne, Kontaktsperre, Ausgangssperre, Notstand usw. auf? Lec warnt: „Die Verfassung eines Staates sollte so sein, dass sie die Verfassung der Bürger nicht ruiniert.“ Was wird aus jenem Schöpferwort, dass es nicht gut sei, wenn der Mensch allein ist? Woher kommt die Bereitschaft, sich staatlichen Verboten plötzlich widerspruchslos zu fügen? Wie kommt es, dass die „alten (bösen) weißen Männer“ plötzlich Teil einer „Risikogruppe“ werden und Objekte einer kollektiven Zuwendung? Was ist mit Kant und seiner Handlungsmaxime? Wie kann es dazu kommen, dass das Wappentier einer Zivilgesellschaft vorübergehend der Hamster wird? Und wenn das alles von der Angst kommt, woher kommt dann diese Angst? Steht das Virus für diese bedrohliche Mischung aus Unsichtbarkeit und Fremdheit unverschämt und offen – als eine Mischung, die sonst im Verborgenen hockt? Sicher sind das keine Themen für Anne Will oder Maybrit Illner. Aber wer kümmert sich dann darum?

Das Virus kennt solche Probleme nicht. Es hat auch keinen Plan. Es mästet sich an der Aufmerksamkeit nicht nur seiner Opfer, sondern auch der Medien. Was aber, wenn als Resultat seiner Verbreitungswut das Fernsehen, einer seiner wichtigsten natürlichen Feinde, eines Tages nicht mehr senden kann, weil es nicht mehr genug gesunde Menschen gibt, die wissen, wie man das macht? Das kann dem Virus nicht egal sein. Denn ohne das Fernsehen – und viele andere Qualitätsmedien – wird es nicht mehr genügend beachtet. Wäre es da nicht logisch, es würde seine Verbreitung sofort einstellen? Aber seit wann wären Viren logisch?

Norbert Schneider

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