Die "Tatort"-Kommissarinnen: Das Leben bestraft ehrgeizige Frauen immer noch
Nicht nur Jagd auf MörderInnen, sondern auch Bezug auf brennende Genderfragen: Im "Tatort" haben sich die Frauen als Ermittlerinnen durchgesetzt.
Als es anfing mit Frauen im TV-Polizeidienst, war die Aufregung groß. Was, in dieser Männerdomäne, da können weibliche Kandidaten doch nur untergehen, ob nun im Leben oder in der Fernsehfiktion. Die Erste, die bis heute durchhielt, war Lena Odenthal aus Ludwigshafen, sie ist tätig im „Tatort“ seit 1989, und sie galt als Ausnahme: supersportlich, immer ernst, Kämpferin für die Gerechtigkeit, toll gespielt von Ulrike Folkerts. So eine durfte mal sein.
Aber dann kamen sie alle hinterher: die Lindholm (Maria Furtwängler) in Niedersachsen, die Lürsen (Sabine Postel) in Bremen, die Ringelhahn (Dagmar Manzel) in Franken, die Fellner (Adele Neuhauser) in Wien, die Bönisch (Anna Schudt) in Dortmund, die Rubin (Meret Becker) in Berlin, die Janneke (Margarita Broich) in Frankfurt/Main und noch viele andere. Sogar die junge Generation ist am Start: Mila Sahin (Amila Bagriacik) in Kiel, Johanna Stein (Lisa Bitter) in Ludwigshafen, Lisa Marx (Elisabeth Brück) in Saarbrücken, die Winkler (Cornelia Gröschel) und die Gorniak (Karin Hanczewski) in Dresden, Anais Schmitz (Florence Kasumba) in Niedersachsen...
Und das wird aller Voraussicht nach so weitergehen. Ohne Ermittlerinnen läuft im „Tatort“ nichts, da muss irgendwann mal eine geheimnisvolle Quote gewirkt haben, wahrscheinlich war das einfach die Zuschauergunst. Von 46 Kommissaren sind 19 Frauen – wobei die Zahlen nur näherungsweise stimmen, weil immer wieder eine Polizistin irgendwo aufhört und eine neue am anderen Ende der Republik gerade anfängt.
Aber es lässt sich sagen: Die Frauen haben sich im „Tatort“ als ermittelnde Hauptfiguren fast pari durchgesetzt. Das ist mehr als man einstmals erwartete und ein gutes Zeichen für die Emanzipation. Oder? Gucken wir noch mal genauer hin. Und fragen: Wie geht es unseren Kommissarinnen beim „Tatort“ denn eigentlich so? Kommen sie gut klar? Haben sie noch ein Privatleben? Möchten sie lieber aufhören? Muss man sich Sorgen um sie machen? Oder darf man sagen: Sie sind nicht nur emanzipiert, sondern glücklich?
Tja, das ist so wie im wahren Leben auch. Ein Knochenjob, der Durchsetzungsvermögen erfordert, kostet Nerven, und das Privatleben leidet fast immer, ob nun bei Männern oder Frauen. Frauen sagen öfter mal: Das ist es mir nicht wert, Männer hätten die Alternative gar nicht. Nur Privatleben – wie soll das gehen? Jemand muss doch für die Gerechtigkeit kämpfen. Außerdem Geld verdienen.
Ein Plus an Lebensqualität
Tja, und das machen Frauen beim „Tatort“ jetzt auch, alle haben das mitgekriegt und sich abgefunden oder zusammengerauft. Größere Reibereien aufgrund des Geschlechtes werden von den Revieren kaum noch gemeldet. Und dass die Kommissarinnen mit widrigen Umständen und zuweilen schwierigen persönlichen Verhältnissen zu kämpfen haben, das ist wie im Leben, das spricht für den Realismus der „Tatort“-Serie. Aber spricht es auch für die Emanzipation? Will sagen, bringt die Gleichberechtigung den Frauen im „Tatort“ ein Plus an Lebensqualität, wie es ja eigentlich sein soll? Bestrafen die Drehbuchautoren unsere Kommissarinnen nicht doch hin und wieder ganz gerne dafür, dass sie so taff und so unabhängig sind?
Inga Lürsen aus Bremen hört erst einmal auf. Nach 20 Jahren ist es genug, sagt Schauspielerin Sabine Postel. Aber was ist mit Frau Lürsens Rente? Muss sie Abschläge in Kauf nehmen? Oder liegt sie ihrer Tochter, die auch Polizistin geworden ist, auf der Tasche? Hört die Tochter etwa auch auf? Irgendwie bleiben da Fragen offen.
Überhaupt aufhören. Das könnte man von den männlichen Uralt-Duos in München, Köln oder Münster erwarten, aber Batic und Leitmayr ermitteln schon bald 30 Jahre und ein ernst gemeinter Versuch, sie als ausgedient abzuqualifizieren, indem man ihnen einen jungen Computerexperten an die Seite gestellt hat, ist gescheitert. Die beiden lösten alles analog. Auch Ballauf und Schenk sind in Köln seit über 20 Jahren aktiv und kriegen es immer noch hin. Lürsen hat weniger Jahre auf dem Buckel und schon genug. Offenbar sind sie doch nicht ganz so belastbar, die Frauen.
Sarah Brandt aus Kiel, deren Darstellerin Sibel Kekilli immer mal wieder die Chance hatte, den unüberbietbaren Axel Milberg als Partner Borowski an die Wand zu spielen, geht weg, einfach so. Statt ihrer kommt „Fallanalytikerin“ Mila Sahin, von der Spree an die Ostsee, mal sehen, wie lange die durchhält. Charlotte Lindholm ist immerhin noch im Dienst. Aber sie hat es schwer und schwerer. In der Vergangenheit musste sie alleinerziehend Job und Bub auf die Reihe kriegen, kürzlich hat sie einen Fall verpatzt, wurde strafversetzt – nach Göttingen!
Dort stellt man ihr als Partnerin Anais Schmitz zur Seite, die mindestens ebenso eigensinnig ist wie sie. Da ist böses Blut programmiert, in Lindholms Haut möchte man nicht stecken. Nina Rubin in Berlin lebt praktisch in einer Dauer-Ehekrise. Dann ist sie auch noch mit einem Partner geschlagen, Robert Karow, der ihr nie sagt, was Sache ist und mit dem sie im Dauerclinch liegt. Dass die beiden sich im Grund mögen, nützt Ninas Nerven nichts.
Das ist es schon, das Glück
Martina Bönisch (Anna Schudt) hat es in Dortmund mit zwei Söhnen und einem nicht eben hilfreichen Mann auch schlecht getroffen, sie lässt sich bloß nichts anmerken, die Unentwegte. Karin Gorniak, in Dresden im Einsatz, hat das Standardschicksal der Kommissarinnen erwischt, die Mütter werden. Sie ist nicht nur alleinerziehend, ihr Sohn ist auch noch in der Pubertät. Das muss sein um der Dramatik willen, aber wenn Gorniak durchhält, kommt der Knabe ja aus der Pubertät raus, wird aber mit Sicherheit abgelöst von einem anderen 13-Jährigen irgendwo im „Tatort“-Universum, der seine Mutter zur Weißglut treibt. Wenn er so viel Glück hat wie Gorniak dann doch, passt der Kommissariatsleiter manchmal auf ihn auf.
Was nun das Unglück betrifft, das unseren Kommissarinnen auflauert, so ist Bibi Fellner in Wien die ehrlichste. Sie gibt einfach zu, dass sie den Alkohol braucht, weil im Leben und im Job zu viel scheiße läuft. Deshalb ist sie so beliebt. Es gibt aber auch zufriedene Kommissarinnen. Unangefochten hält die Spitze auf einer Skala von eins bis zehn mit der Überschrift: Bin ich glücklich? unser allererster Lady-Cop: Lena Odenthal, seit 30 Jahren dabei. Zwar hatte auch sie einen schweren Schlag zu verkraften, ihr langjähriger Kollege Kopper hat sie verlassen. Aber sie hat das gut weggesteckt und mit Johanna Stern eine prima neue Partnerin bekommen. Wobei man hinzufügen sollte, dass Odenthal keine ganz realistische Figur ist, sondern eher eine Art Überkommissarin, ein Erzengel im Himmel der Krimifiguren, der dem ganzen Zirkus immer wieder seinen Segen gibt.
Realistisch hingegen ist die Schieflage, in der sich die meisten anderen Kommissarinnen befinden. Wenn der „Tatort“ die Aufgabe hat, außer Krimispannung herzustellen auch noch abzubilden, was in unserer Zeit so los ist, dann kann man sagen, dass er sie erfüllt, und zwar auch in Bezug auf brennende Genderfragen. Das Leben bestraft ja ehrgeizige Frauen immer noch und immer wieder mit Ehekrisen und Betreuungsnöten, insofern ist der „Tatort“ nah dran an den Realitäten. Was den Zuwachs an Glück betrifft, den die Emanzipation ja bringen soll, so braucht man das Szenario nur umzukehren. Der Kampf für die Gerechtigkeit, die Jagd nach den Bösen, die ganze Verantwortung, die damit zusammenhängt, inklusive der häuslichen Krisen, die daraus folgen – da dazuzugehören als Frau und nicht ständig befragt zu werden: Kann die das auch? Das ist es schon, das Glück.